Namen und Bildungschancen:König schlägt Bauer

Kindernamen

Experten raten Eltern zu klassischen Namen, da die seltener mit Negativ-Assoziationen belegt sind.

(Foto: picture alliance / dpa)

Ob in der Schule oder im Job: Menschen hören einen Namen und sofort entsteht ein Bild. Nicht immer ist das positiv - manche Eltern geben hier ihrem Nachwuchs mit dem Namen eine Hypothek mit auf den Weg.

Von Ulrike Heidenreich

Ahmet Aydin und Hakan Yilmaz hatten von Anfang an schlechte Karten. Trotz überdurchschnittlicher Noten, deutschen Passes und vergleichbarer Qualifikation luden die Personalchefs von 1800 Unternehmen lieber Jugendliche wie Tim Schultheiß und Lukas Heumann zu Bewerbungsgesprächen ein - weil deren Namen nicht türkisch klingen. Diskriminierung aufgrund des Namens zieht sich durch alle Bereiche der Gesellschaft.

Wer Kaiser heißt, kommt leichter in Vorstandsetagen. Politiker mit einem Doktortitel werden eher gewählt als Nichtakademiker, trotz Guttenberg. Die Chantals und Kevins dieser Welt haben es in der Schule schwerer. Hören Menschen einen Namen oder Titel, haben sie sofort ein Bild im Kopf - es leben die eigenen Vorurteile. Psychologische Studien zeigen, dass manche allein aus einem Namen Rückschlüsse auf Alter, Intelligenz und Aussehen einer Person ziehen und dann selten davon abrücken.

Der Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration (SVR) hatte für eine Studie 3500 Bewerbungsbriefe verschicken lassen. Das Ergebnis: Jugendliche aus Zuwandererfamilien mussten sieben Bewerbungen schreiben, ihre deutschen Mitbewerber nur fünf, um eingeladen zu werden.

Ein akademischer Titel steht für Fleiß

Personalchefs sollten doch bitte schön ganz ehrlich darüber nachdenken, ob sie frei von Vorurteilen seien, fordert darum Aydan Özoğuz, die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung. Die SPD-Politikerin hat es mit ihrem Namen türkischer Provenienz bis zur Staatsministerin gebracht, 2009 war sie als Abgeordnete in den Bundestag eingezogen. Hätte Aydan Özoğuz auf den Stimmzetteln damals einen Doktortitel voranstellen können, wäre ihr Wahlergebnis womöglich besser ausgefallen.

Falsche Doktortitel können, wie man aus Plagiatsaffären weiß, die Karriere immens beschädigen. Dass akademische Grade als Namensbestandteil jedoch trotzdem gut ankommen und offenbar Fleiß versprechen, zeigt eine Untersuchung der Universität Oldenburg. Unter dem Titel "Dr. Right und Dr. Wrong" hatten Wissenschaftler die Ergebnisse der knapp 2200 Kandidaten für den Bundestagswahlkampf 2009 verglichen. Auch wenn die Parteizugehörigkeit die größte Rolle spielt, schnitten Kandidaten mit einem Doktortitel besser ab. Ein Titel erhöhe den durchschnittlichen Erststimmenanteil um fast zehn Prozentpunkte.

All dieser Vertrauensvorschuss läuft unbewusst in den Köpfen ab, mit den erstaunlichsten Resultaten. An der Universität Cambridge etwa haben sich zwei Forscher im vergangenen Jahr die Mühe gemacht, den Einfluss des Nachnamens auf die Karriere zu untersuchen. Denn auch beim Nachnamen läuft bei den Menschen spontan ein Film im Kopf ab. Deutschland diente den Wissenschaftlern als Versuchsfeld, weil hier, anders als in den USA , die Kollegen in den Büros seltener zum Du übergehen. Man bleibt beim Sie und Nachnamen.

Kaiser und König machen Karriere

Wer Koch oder Bauer heißt, kommt in Deutschland schwerer in die Vorstandsetagen als die Kollegen Kaiser oder König, haben die Arbeits- und Organisationspsychologen Raphael Silberzahn und Eric Luis Uhlmann herausgefunden. Sie durchforsteten 222 924 Datensätze des Karriere-Netzwerks Xing und verglichen Nachnamen mit der jeweiligen Funktion. Menschen mit nobel klingenden Namen wie Fürst, Baron und Graf waren im gehobenen Management überdurchschnittlich vertreten. Diese Nachnamen kamen 27-mal so häufig vor, wie es nach der statistischen Verteilung zu erwarten wäre. Frau Schuster und Herr Bauer haben beruflich im Durchschnitt einen niedrigeren Status. Hier sind uralte Assoziationen im Spiel. Offenbar, so die Forscher, trauen Chefs ihren Untergebenen mit hochtrabend klingenden Namen mehr Führungsqualitäten zu.

Unter dem sprechenden Titel "Ein Vorname sagt mehr als tausend Worte" hat das Institut für Psychologie an der Technischen Universität Chemnitz vor einigen Jahren akribisch belegt, wie sich Vorurteile anhand von Namen kultivieren lassen. "Hören wir einen Vornamen, so schlussfolgern wir daraus das Alter der Person und darüber auch deren Attraktivität und Intelligenz", so der Psychologe Udo Rudolph.

Hat man es mit einem Thomas, einem Detlef oder einer Sabine zu tun, kann man davon ausgehen, dass sie in den 1960er-Jahren geboren sind. Sigrid und Horst klingen ein paar Jahrzehnte älter. Wer Laura oder Leon hieß, wurde von 150 Testpersonen automatisch jünger eingeschätzt. "Das wahrgenommene Alter ist die zentrale Information im Vornamen" so der Wissenschaftler. Es gelte: Je jünger, desto attraktiver, und je attraktiver, desto intelligenter. Die Psychologen raten werdenden Eltern zu zeitlosen Namen, damit deren Kinder es später leichter haben: Alexander, Michael, Anna oder Claudia kämen immer gut an.

"Kevin ist kein Name, sondern eine Diagnose"

Dass Bildungschancen stark von Vornamen abhängen, belegt eine viel zitierte Untersuchung der Universität Oldenburg. Darin plauderten Grundschullehrer offen über ihre Assoziationen: Chantal, Mandy oder Justin sahen sie als stereotype Vornamen für verhaltensauffällige Schüler. Eine der 2000 befragten Pädagoginnen prägte in der Studie das Zitat: "Kevin ist kein Name, sondern eine Diagnose." Auch gegen Maurice oder Marvin hegen Lehrer Vorurteile, sie ordnen sie einem bildungsfernen Milieu zu. Nur nach Lektüre der Klassenliste schätzten die Pädagogen hingegen Kinder wie Charlotte, Hannah, Lukas oder Maximilian als fleißig und begabt ein.

Dass sich der bei Soziologen mittlerweile etablierte Begriff Kevinismus auch in späteren Jahren unglückselig auswirken kann, zeigen Untersuchungen der Humboldt-Universität Berlin: Die Klickraten von 47 000 Nutzern eines Online-Dating-Portals belegen, dass Männerseiten mit dem Namen Alexander doppelt so häufig aufgerufen werden wie jene von Kevin. Die Vorurteile sitzen überall tief. Um bei Job-Angeboten die Chancen für alle gleich zu halten, dringt die Antidiskriminierungsstelle des Bundes auf anonymisierte Bewerbungsverfahren. Weder Foto noch Name sollen zählen, nur die Qualifikation.

Die Webseite "Chantalismus. Achtung - Kinder mit schlimmen Namen an Bord" sammelt Aufkleber und Namensanzeigen. Dem kleinen Joona-Siam gratulieren hier seine Geschwister Kevin, Dano-Philippe und Charlotte-Elois-Sidonie. Für sie besteht Hoffnung: Die Wissenschaftler sind sich einig, dass sich die Assoziationen zu Namen mit der Zeit ändern, so wie eine Modeerscheinung. Etwa 50 Jahre dauere es, bis ein inakzeptabel gewordener Name wieder gesellschaftsfähig werde.

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