Nachhilfe:Der Kontostand entscheidet

Eltern geben immer mehr Geld für die private Nachhilfe ihrer Kinder aus - nur knapp ein Drittel kann kostenlose Angebote von Halb- und Ganztagsschulen nutzen. Das vergrößert die soziale Bildungskluft.

Von Susanne Klein

Eine Eins vor dem Komma, damit es später mit der Zahnarztpraxis klappt, eine gefährdete Versetzung oder einfach nur Mathefrust: Nach Gründen für Nachhilfestunden müssen Eltern in Deutschland nicht lange suchen. Mehr als eine Milliarde Euro geben sie jährlich dafür aus, ihren Kindern auf die Sprünge zu helfen.

Diese Summe nennt die gewerkschaftsnahe Hans-Böckler-Stiftung in ihrer jüngsten Studie, für die sie fast 400 Nachhilfeinstitute befragen ließ. Vor einem Jahr, in einer Erhebung der Bertelsmann-Stiftung, war noch von 880 Millionen Euro die Rede. Sehr viel Geld, laut Bertelsmann investieren zahlende Eltern im Schnitt etwa 90 Euro monatlich. Nur knapp ein Drittel der Eltern von insgesamt 1,2 Millionen Nachhilfeschülern zahlt nichts, da diese kostenfreie Angebote von Halb- und Ganztagsschulen nutzen können.

Zu wenig - zu diesem Schluss kommt der Böckler-Report. Denn die bezahlte Nachhilfe habe seit den 70er-Jahren zugenommen - das vergrößere zwangsläufig die soziale Kluft. Nur jeder zehnte Schüler bei kommerziellen Anbietern komme aus einer Familie, die über wenig oder sehr wenig Geld verfügt. Alle anderen haben Eltern mit höheren Einkünften, am stärksten ist die mittlere Mittelschicht vertreten. Auch wenn die Erkenntnisse nicht repräsentativ sind, so sind sie den Autoren doch Anlass genug, sich um das "öffentliche Gut Bildung" zu sorgen.

Nachhilfegeld aus dem Bildungspaket beziehen nur 3,5 Prozent

Heinz Hilgers erstaunt diese Sorge nicht. Um den Zusammenhang von Armut und schlechter Bildung zu sehen, müsse man nur die Armutsquote neben die Pisa-Studie legen, sagt der Präsident des Deutschen Kinderschutzbundes. "Bundesländer mit niedrigen Sozialhilfequoten bei Kindern, Bayern zum Beispiel, schneiden immer gut ab, Länder mit hohen Sozialhilfequoten wie Bremen und Berlin schneiden dagegen schlecht ab."

Schon seit Jahren boome die Nachhilfe, hat der ehemalige Politiker beobachtet. Und das, obwohl der Bereich völlig unreguliert sei. "Jeder kann das anbieten, keiner setzt Standards oder prüft die Qualität." Was ihn außerdem ärgert, ist das Versagen des staatlichen Bildungspakets. Seit 2011 können Eltern, die Hartz IV beziehen, für ihre Kinder Kosten für Nachhilfeunterricht beantragen, wenn auf deren Zwischenzeugnis im Januar zwei Fünfen stehen, die Versetzung also gefährdet ist. Den Antrag stellten aber nur sieben Prozent der Berechtigten, und von denen werde die Hälfte abgewiesen, erklärt Hilgers. "Hat der kleine Rest dann endlich die Bewilligung, wird in den Osterferien eine Lernhilfe organisiert. Wenn die ein Zauberkünstler ist, kriegt sie das Kind noch auf zwei Vieren - und dann wird die Förderung wegen Erfolg wieder eingestellt." Ein schlechter Witz sei das, schimpft der Sozialdemokrat.

Schulen in armen Stadtteilen brauchen mehr Pädagogen

Der Präsident des Kinderschutzbundes fordert, Armut zum Inklusionsfaktor zu machen. Neben Kindern mit physischen oder geistigen Handicaps bräuchten auch jene aus armen Elternhäusern Förderung. "Aus armen Kindern werden zu 90 Prozent arme Eltern", mahnt Hilgers. Um den Kreislauf zu durchbrechen, müssten Schulen in Stadtteilen mit vielen bedürftigen Familien deutlich besser ausgestattet werden: "Eine Schule in Köln-Chorweiler braucht mehr Lehrer und Sozialpädagogen als eine Schule im feinen Köln-Lindenthal".

Der Bildungsforscher Wilfried Bos plädiert zudem für mehr Ganztagsunterricht. Der Nachhilfeboom sei "eine Bankrotterklärung für die Schule", sagt er. In "gut gemachten Ganztagsschulen, in denen nachmittags auch wirklich Lehrer sind", sei so viel Nachhilfe nicht nötig.

Dass ausgerechnet Kinder aus höheren Schichten die meiste Nachhilfe bekommen, obwohl der Schulerfolg in Deutschland ohnehin stark mit der sozialen Herkunft korreliert, erklärt die Böckler-Studie nicht nur mit dem Geldbeutel. Die dazugehörigen Eltern seien "häufig von Abstiegsängsten geplagt, die sie auf ihren Nachwuchs projizieren", so die Autoren. Der hohe Leistungsdruck und verschärfte Wettbewerb in der Arbeitswelt steigerten den Ehrgeiz und die Unzufriedenheit mit dem öffentlichen Schulsystem.

Das Ergebnis der Studie passt ins große Bild: In Deutschland eröffnen immer mehr private Schulen und Universitäten. Der wachsende Wohlstand erlaubt mehr Eltern denn je, ihre Kinder an Bildungseinrichtungen zu schicken, wo sie in kleinen Klassen individuell geschult werden. Die Eltern bezahlen Summer Schools, engagieren Hauslehrer für Kunst und Musik oder stellen Nannys ein, die mit den Kindern Fremdsprachen sprechen. So entstehe nach und nach ein paralleles Bildungssystem, warnen Experten. Die öffentlichen Schulen könnten nur mit Qualität dagegenhalten.

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