Nach dem Abitur:So helfen Unis bei der Studienwahl

Dass das Wunschfach nicht passt, merken viele Abiturienten erst nach Studienbeginn. Die Abbrecherquote liegt bei etwa 30 Prozent. Dagegen wollen die Unis jetzt etwas tun - mit Online-Tests und "Miet-Studenten".

Von Julian Rabe und Johann Osel

Die Eintrittskarte fürs Studium ist gelöst, Deutschlands Abiturienten haben seit Kurzem ihre Zeugnisse. Darauf prangt der sperrige Begriff: Hochschulzugangsberechtigung. Nun muss also noch der passende Zugang gefunden werden - und das in einem für Neulinge schier unüberschaubaren Angebot an Studiengängen, Orten und Hochschulformen. Bald steht der Bewerbungsstichtag an den meisten Unis an, zumindest für die begehrten Fächer; für Studiengänge ohne Zulassungsbeschränkung kann man sich oft bis zum Oktober immatrikulieren.

Die Abiturienten sind gefordert, sich richtig zu entscheiden - überfordert, könnte man sagen. Das legt zumindest die Quote der Studienabbrecher nahe, die bei circa 30 Prozent liegt. Der Hauptgrund: Scheitern am Fach, Studenten streichen freiwillig oder nach verpatzten Prüfungen die Segel. Der Ursprung liegt dann aber eher in einer falschen Wahl des Studiengangs.

Im Jahr 2013 wird es erneut eine halbe Million Studienanfänger geben. Die Hörsäle bleiben voll, der Einzelne kann schnell in der Masse untergehen - wer bei der Studienwahl gedankenlos war, bekommt da schnell ein Problem. Wo aber liegen die Probleme genau?

Studentin in der Münchner Universität, 2010

Plötzlich auf sich allein gestellt: Für manchen Abiturienten ist der Studienstart schwer.

(Foto: Robert Haas)

Die Erkenntnis kommt erst nach Studienbeginn

Hierzu hat die Frankfurter Goethe-Universität ihre Fachwechsler begefragt. Fehlerwartungen an das Studium sind die häufigste Ursache dafür, dass nach einigen Semestern wieder umgesteuert wird. Inhalt und Aufbau des Fachs würden doch nicht so recht zu den Neigungen passen, hieß es meist. Was man leider erst nach Studienbeginn erkannt habe.

Genau diesem Informationsdefizit sagen nun viele Hochschulen den Kampf an. Erreicht werden sollen die Studieninteressierten noch vor der Einschreibung - via Internet. Das neue Zauberwort lautet: Online-Self-Assessment. Mit Tests, die mittlerweile von einigen Dutzend Hochschulen angeboten werden, sollen sich Abiturienten selbst einschätzen - und erkennen, ob das Wunschfach wirklich passt. Im

Repertoire sind Aufgaben zum Verständnis von geometrischen Figuren und Texten. Auch individuelles Verhalten sollen manche Tests aufzeigen, etwa die Reaktion, wenn zur Klausur ein Berg von Fachliteratur auf Englisch wartet. Wer kein Blut sehen kann, sollte nicht Chirurg werden - das ist klar, die Hochschulen wollen aber mehr aufbieten als den gesunden Menschenverstand. Eines ist dabei unerlässlich: Ehrlichkeit.

In Baden-Württemberg schreibt das Landeshochschulgesetz sogar ein "Orientierungsverfahren" für alle Bewerber vor. Ob die Hochschulen Online-Tests verwenden, klassische Beratung oder andere Instrumente bleibt ihnen aber überlassen.

"Viele Studienanfänger haben eine unklare Vorstellung von dem, was sie erwartet. Maßnahmen wie Self-Assessments helfen bei einer besseren Passung", sagt Andreas Schlüter, Generalsekretär des Stifterverbands für die Wissenschaft. Dieser zeichnet regelmäßig Projekte gegen Studienabbruch aus. Im Blick ist die volkswirtschaftliche und die soziale Komponente: Bildungspotenziale gingen dem Land verloren, und oft scheiterten Kinder aus bildungsfernen Schichten und Migranten.

Arbeit mit Akten oder mit Menschen

Als ein Pionier bei den Tests gilt das "BOrakel" der Universität Bochum. Ein Schwerpunkt liegt auf Präferenzen im späteren Arbeitsleben. Wie dominant man in Gruppenarbeiten auftrete, ob man über eigene Fehler lache oder wie gut man sich unter Zeitdruck konzentrieren könne. Anhand solcher Angaben soll man herausfinden, für welche Arten von Tätigkeiten man sich eignet, etwa eher für die Arbeit mit Akten oder mit Menschen, im Innendienst oder im Vertrieb. Ein weiterer Test liefert Hinweise, welche Fächer infrage kommen. Dabei wird nach Stärken in der Schule gefragt.

Auch die Arbeitsweisen werden einbezogen: Wie viele Stunden gedenkt man, in den Semesterferien pro Woche für das Studium aufzuwenden? Löst man Aufgaben lieber mit Hilfsmitteln oder durch Improvisation? Das alles möchte das Online-Orakel von Bochum gern wissen.

An der Uni Bonn wird neben der fachlichen Eignung auch das Lebensgefühl einbezogen. Ob man sich vorstellen könne, in einer mittelgroßen Stadt und auf einem zentral gelegenen Campus zu studieren, wird gefragt. Denn, wie Studienmanagerin Vera Häckel weiß, kann auch das Privatleben ein Grund für Abbruch sein. Viele Studenten versuchten zunächst, den Studienort mit ihrer Heimat zu vereinbaren; aber Pendeln liegt nicht jedem, und nicht selten erhält die Heimat den Vorzug.

Frühzeitiges Einstimmen auf den Studienort

Sie mahnt jedoch zur Vorsicht: Ein standardisierter Test könne zwar die Erwartungen an das Studium präzisieren. Für zuverlässige Aussagen über die Persönlichkeit sei jedoch die Studienberatung am Ort besser. Dort treten die Bewerber dank der Tests allerdings "aufgeklärter" auf, sagt Häckel.

Frühzeitiges Einstimmen auf den Studienort gilt neben den Fragebögen als weiteres Hilfsmittel, um Abiturienten die Wahl zu erleichtern. Die Dauerpräsenz sozialer Medien im Alltag vieler Schüler wird genutzt, Studienbewerber sollen erst virtuell, dann körperlich an der künftigen Hochschule anwesend sein.

"Raum zum Querdenken" heißt zum Beispiel das Kampagnenportal der Universität Bielefeld, es stellt die Hochschule und die Stadt vor, ist verlinkt mit Kanälen wie Facebook und Youtube. Da kann man in Filmen den künftigen Kommilitonen beim Lernen in der Bibliothek ebenso zusehen wie bei der Hüpfgymnastik. Ältere Studenten beantworten zudem online Fragen.

Dem steht die Kampagne der Uni Halle kaum nach, sogar eine 3D-Brille wurde da mal verschickt - um eine "virtuelle Schnitzeljagd" durch die Stadt absolvieren zu können. Ohnehin setzen die Hochschulen in den neuen Ländern, die wegen der demografischen Entwicklung um Studenten aus dem Westen buhlen, stark auf soziale Netzwerke.

An der Hochschule Bremen geht man noch weiter. "Rent a Student", übersetzt: "Miet dir einen Studenten", heißt dort ein Projekt. Abiturienten begleiten Studenten einen Tag lang, zum Schnuppern - gratis, anders als der flotte Name suggeriert. Eine Lektion über Hubschraubertechnik im Hörsaal und den Hackbraten Jägerart mit Salzkartoffeln in der Mensa gibt es da - so soll der Nachwuchs erkennen, ob er sich später wohlfühlt.

Die Schüler wollen einen realistischen Einblick in ihr Wunschstudium, sagen die Organisatoren. Rechtzeitige Informationen seien ein gutes Rezept gegen Studienabbruch. Und natürlich, geben die Bremer zu, wolle man gern die klügsten Köpfe ins eigene Haus ziehen.

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