Missglückte EU-Kampagne:Mit Minirock und High Heels ins Labor

Intention gut, Umsetzung unterirdisch: Die EU will mit einer Werbekampagne mehr junge Frauen in Labore und Forschungseinrichtungen bringen. Doch das Video zum Projekt lässt kein Klischee aus. Es wird im Netz heftig kritisiert - vor allem von Wissenschaftlerinnen.

Verena Wolff

Die EU-Kommission wollte offenbar einen für eine Behörde ultra-modernen Weg beschreiten, um mehr Mädchen und junge Frauen für technische Fächer und Naturwissenschaften zu begeistern. "Science: It's A Girl Thing!" heißt die Kampagne. Ein Video soll die jungen Damen in Stimmung bringen, den Weg in die Wissenschaft zu beschreiten. Rosa und lila sind die dominierenden Farben in dem knapp einminütigen Streifen, kein Klischee wird ausgelassen - und die Empörung im Netz ist groß. So groß, dass man inzwischen das Video nur noch über Schleichwege findet. Bei Youtube ist der Status zu "privat" geändert worden, die Kommission wirbt auf der Webseite jetzt mit einem anderen Werbefilm.

"Die Kampagne soll Frauen und Mädchen zeigen, dass man sich unter Wissenschaft nicht nur alte Männer in Laborkitteln vorstellen sollte", sagte die für Wissenschaft zuständige EU-Kommissarin Maire Geoghegan-Quinn bei der Vorstellung. Man wolle demonstrieren, dass Wissenschaft Spaß macht.

Soviel zur Idee.

Aber dann: Softrockige Rhythmen, der große Auftritt für drei junge Damen. Politisch korrekt ist die eine rotblond, die andere dunkelhaarig, die dritte hat dunkle Haut. Sie alle haben Modelmaße und sie tragen Stöckelschuhe. Die Damen marschieren ins Bild, wie bei den einschlägigen Casting-Shows für die Supermodels von morgen. Einzig der vermeintliche Wissenschaftler am Mikroskop - Laborkittel, Pseudo-Brille, ansonsten jung und gutaussehend - zeigt sich verwundert ob der Invasion in seine Wissenschaft. Oder wundert es sich einfach nur, dass da auf einmal drei hübsche, junge Frauen vor ihm stehen?

Nach dem Catwalk im Labor folgt viel Stereotypisches in pastelligen Farben, es blubbert, es raucht, eine Frau schreibt unablässig mit bunten Stiften Formeln an eine gläserne Wand. Dazwischen, immer wieder: Nagellack, Lippenstift, Sonnenbrillen, High Heels. Und blaue, rote, weiße und schwarze Kugeln, die unvermittelt durch das Bild hüpfen - sie sollen wohl Atome oder Moleküle darstellen.

Es gibt Alternativen

So soll sie also aussehen, die neue Generation der europäischen Wissenschaftlerinnen - meint man offenbar in Brüssel. Denn eines hat man zumindest erkannt: Zwar machen derzeit Frauen in der EU 45 Prozent aller PhDs und Doktoranden aus, doch nur etwa ein Drittel der Damen geht in die Forschung.

Ob die Kampagne daran etwas ändert, ist höchst fraglich. Besonders Frauen, die in der Wissenschaft arbeiten, sind entsetzt, wie zahlreiche Twitter-Einträge zeigen. Und sie fühlen sich verhöhnt. Sharon Hill, eine Geologin, schreibt: "Das ist, als ob die männlichen Disney-Chefs sich für eine Fernsehserie eine Wissenschafts-Barbie ausdenken." Die Astronomin Meghan Gray von der Universität in Nottingham bringt die Empörung auf den Punkt: "Das ist eine Parade der Stereotypen", sagt sie in einem Video-Blog. "Und das ist genau das, wogegen die Frauen arbeiten, die schon in der Wissenschaft sind."

Das Video sende eine negative Botschaft aus und es setze junge Mädchen und Frauen gleich doppelt unter Druck: "Es zeigt doch, dass sie im Licht der Öffentlichkeit nicht nur hübsch sein müssen, sondern dass sie hübsch und gleichzeitig hochintelligent sein müssen." Die Astronomin zitiert eine Studie, wonach genau diese Art von vermeintlicher Werbung einen gegenteiligen Effekt auf junge Frauen habe.

Hohe Hacken und pinkfarbener Lippenstift bringen junge Frauen also nicht in die Labore von Universitäten und Forschungseinrichtungen, da sind sich Wissenschaftlerinnen einig. Aber: Wie überzeugt man Abiturientinnen davon, dass Wissenschaft spannend ist? "Man muss ihnen zeigen, was Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler machen. Man muss ihnen zeigen, welche unbeantworteten Fragen sie beantworten und welche Probleme sie lösen können. Man muss ihnen erzählen, was die Forscher dazu gebracht hat, Forscher zu werden", sagt Astronomin Gray. Auf Twitter hat sich eine Gegenbewegung zu der EU-Kampagne initiiert, #realwomeninscience.

Auch die EU-Kommission bietet als Alternative zum sorgsam versteckten rosa Werbevideo die Möglichkeit, Frauen bei ihrer echten wissenschaftlichen Arbeit über die Schulter zu schauen. Interessierte können in kleinen Videos erfahren, was die jungen Wissenschaftlerinnen an ihrer Arbeit interessiert. Und sie sehen, dass frau im Labor nicht in High Heels und Minirock über dem Bunsenbrenner arbeitet - sondern in Jeans und T-Shirt.

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