Mint-Fächer:Lernen ohne Männer

Exotin im Hörsaal - Als Frau Elektrotechnik studieren

Im Fach Elektrotechnik sind Frauen noch immer eine Minderheit - spezielle Studiengänge sollen das ändern.

(Foto: dpa-tmn)
  • Sieben Studiengänge gibt es in Deutschland, in denen nur Frauen zugelassen sind.
  • So sollen mehr Studentinnen für Mint-Fächer gewonnen werden, doch das Konzept ist umstritten.

Von Gianna Niewel

Sie schließen die Sonden an das Multimeter an. Das Gerät misst Strom und Spannung, 112, 113, es piept. Der Anzeige zufolge hat der metallische PT100-Widerstand bei 40 Grad einen Widerstandwert von 115,41 Ohm. Kann das sein? Die zwei Studentinnen blättern in "Grundlagen der Elektrotechnik", Kapitel "Temperaturabhängige Widerstände". Kurzes Nicken, stimmt. Der Dozent zeichnet an der Tafel einen weiteren Punkt in die dazugehörige Kurve. Neue Temperatur, nächste Messung, jetzt ist die andere junge Frau an der Reihe. Zwei Studentinnen, mehr werden es nicht werden an diesem Tag in diesem Seminar an der Ernst-Abbe-Hochschule (EAH) in Jena - den Bachelor-Studiengang Elektrotechnik/Informationstechnik gibt es hier in den ersten zwei Semestern auch nur für Frauen.

Es ist einer von sieben Studiengängen deutschlandweit, in dem laut dem Wissenschaftsportal Scientifica nur Studentinnen lernen können. Die Uni Bremen bietet bereits Informatik an, die FH Stralsund Wirtschaftsingenieurwesen, es gibt Frauenstudiengänge in Berlin und Furtwangen. Nun also testet auch die EAH männerfreie Seminare, adressiert an "Women of Vision", der dazugehörige Slogan lautet schlicht: "Mut zur Technik". Eben jenen Mut aufzubringen, soll den Studentinnen dadurch erleichtert werden, dass sie einige Semester lang unter sich lernen können. Es ist ein Stemmen gegen die Statistik, der Frauenanteil in technischen Fächern ist noch immer gering. Und ein Konzept, das umstritten ist.

Als Frau in der Unterzahl

Kathrin Müller ist eine der beiden Frauen im Jenaer Seminar, sie steht im Labor im fünften Stock, vor ihr eine Wand aus Oszilloskopen, Thermostaten, Netzteilen. Müller, 23 Jahre alt, stöpselt ein Kabel um, das hier "Strippe" heißt, die Anzeige hat nicht gestimmt, jetzt geht sie wieder. Solche Probleme zu bemerken und Lösungen zu finden, das ist für sie nichts Neues. Müller hat vor ihrem Studium bereits eine Ausbildung zur Elektrotechnikerin abgeschlossen. Von 20 Auszubildenden waren damals nur drei weiblich. Als Frau in der Unterzahl zu sein, habe sie kaum gestört: "Die Jungs waren in Ordnung." Bis auf ein paar Kleinigkeiten: Wenn sie als Frau besser gewesen sei als ihre männlichen Kollegen, neideten die ihr in der Prüfung jeden Punkt. War sie schlechter, hatten "die Jungs" ohnehin nichts anderes erwartet.

Die Ausbildung hat Müller bestanden, Note 2, und weil sie nicht das Gefühl hatte, schon ausgelernt zu haben, hat sie ein Studium angeschlossen. Aber an welcher Uni? Natürlich, auch das eine Lehre der Ausbildung, mache es formal keinen Unterschied, ob sie neben einer Frau oder einem Mann in der Vorlesung über "Elektronische Bauelemente" sitzt und wie überhaupt das Geschlechterverhältnis in den Kursen ist. Gefühlt aber eben doch. Und deshalb hat sie sich vor knapp einem Jahr in Jena eingeschrieben, deshalb der Frauenstudiengang.

Eine Art Anschubhilfe für Studentinnen

An der EAH ist der Studiengang noch in der Testphase, die Studentinnen sind im zweiten Semester. In den insgesamt sieben Vorlesungen - etwa Physik, Mathe, Informatik - sitzen sie mit ihren männlichen Kommilitonen im Hörsaal. In den Übungen sind sie unter sich, zumindest in den ersten beiden Semestern; ein Programm für Gleichstellung des Landes Thüringens finanziert dieses eine Jahr das Lernen ohne Männer. Ab drittem Semester studieren dann alle gemeinsam.

Die Idee dahinter ist, dass sich Studentinnen ohne ihre männlichen Kommilitonen besser an einer neuen Universität oder Fachhochschule eingewöhnen können, dass sie selbstbewusster werden, sich Aufgaben zutrauen. Eine Art Anschubhilfe. Sie soll die Studentinnen stärken, die glauben, sie passten nicht in technische Berufe, die noch immer männlich dominiert sind - selbst dann, wenn sie sich für Technik interessieren. Sie soll auch diejenigen abholen, die schlicht keine Lust haben, vielleicht die einzige Frau in einer Gruppe von Männern zu sein. Bereits 1997 wurde in Wilhelmshaven der erste Frauenstudiengang gegründet, Wirtschaftsingenieurwesen.

Hanno Kahnt hat den Studiengang Elektrotechnik in Jena mitaufgebaut. Schon sein Onkel hat bei Zeiss gearbeitet, jenem Unternehmen, dem die Hochschule die Räume verdankt und der Fußballverein den Namen, FC Carl Zeiss Jena. Gemeinsam mit dem Onkel also hat Kahnt nach der Schule an Gegensprechanlagen getüftelt, sein erstes selbstgebautes Radio hat er noch heute: eine Kiste aus dunklem Holz, darin eine Spule, ein Kondensator, ein Ausgang für die Antenne.

Und so war der Studiengang schnell gefunden: Elektrophysik. Damals, in Lemberg in der Ukraine, hätte er fast 50 Prozent Kommilitoninnen gehabt. Weil in der Schule der naturwissenschaftlichen und mathematischen Bildung mehr Zeit gewidmet worden sei, als dies heute der Fall ist. Und auch, weil es selbstverständlich war, dass Frauen arbeiten, und weil ohnehin weniger Tamtam darum gemacht worden sei, was sie angeblich dürfen und können und wofür sie sich zu interessieren hätten. Und wofür nicht.

Bringen Frauenstudiengänge vielleicht einfach nichts?

Tatsächlich studieren zwar immer mehr Frauen, zum Wintersemester 2014/2015 haben sich erstmals mehr Studentinnen an deutschen Universitäten eingeschrieben als Studenten. In den technischen Fächern aber hat sich kaum etwas am Geschlechterverhältnis geändert. Nur 36 Prozent der Studierenden in Wirtschaft, Mathe und Informatik sind weiblich; in den Ingenieurswissenschaften liegt der Frauenanteil bei 19 Prozent.

Bringen Frauenstudiengänge vielleicht einfach nichts? In Jena haben sich im vergangenen Wintersemester nur drei Studentinnen eingeschrieben, davon kommt eine nur unregelmäßig. Elektrotechnik in gemischten Gruppen lernen immerhin vier Frauen. An der EAH erklärt man sich die niedrige Zahl der Interessentinnen damit, dass der Studiengang noch jung ist, noch nicht bekannt genug sei. Das mag ein Grund sein. Ein anderer ist der Ruf.

"Kuschelwirtschaft" oder "Studium light"?

Manche nehmen die Frauenstudiengänge schlicht nicht ernst, "Kuschelwirtschaft" oder "Studium light" zählen noch zu den harmloseren Bezeichnungen. Dabei sind die Zugangsvoraussetzungen für Frauen und Männer gleich, die Studieninhalte, die Prüfungen ohnehin. Andere sagen, solche Studiengänge zementierten das Klischee der schwachen Frau, die es aus eigener Kraft nicht schafft.

Hanno Kahnt kann die Aufregung nicht verstehen. Frauen? Männer? Für den 65-Jährigen gibt es nur Studierende. Sicher, die Männer seien manchmal praxisorientierter, bauten drauflos und müssten das Modell dann korrigieren, weil sie nicht richtig geplant hätten. Frauen überlegten länger, das Bauen gehe aber zügiger, weil der Plan stimmt. Die Lösungswege mögen sich also unterscheiden, die Ergebnisse aber seien meist gleich - gleich gut.

Was es für ein gelungenes Studium in einem technischen Bereich braucht, sagt er, sei jedenfalls nicht ein bestimmtes Geschlecht. Sondern ein Verständnis für Mathematik, Neugierde auch. Denn natürlich könne man auf seinem Smartphone rumtippen, auf "senden" klicken und es als gegeben hinnehmen, dass die Wörter ihren Weg durch die Luft finden und auf dem Bildschirm des Gegenübers aufploppen. Man könne aber auch fragen, wie das funktioniert. Und damit sei man bei der Elektrowissenschaft.

Das Multimeter piept

Die Chancen auf dem Arbeitsmarkt sind für Frauen in diesen Berufen nicht schlecht; Politik, Wirtschaftsverbände und Industrie ringen seit Jahren um den weiblichen Nachwuchs. Die Schülerinnen sollen sich für Mint-Fächer begeistern, es gibt den Girl's Day, Mentoring Programme. Die fertigen Ingenieurinnen sollen bei Ford arbeiten oder Siemens. So weit, so theoretisch. Praktisch aber haftet diesen Berufen noch immer das Manko an, Frauen nicht unbedingt zu beflügeln: Da ist die Kollegin, die strukturell benachteiligt wird, wenn es darum geht, einen Führungsposten zu besetzen. Da ist die Mutter, die sich zwischen Job und Familie zerreißen muss.

Kathrin Müller kennt diese Einwände, sie hat sie alle schon gehört und alle schon zu entkräften versucht. Sie denkt in Etappen: Ausbildung und Fachabitur hat sie gemeistert, das Studium läuft, der Rest wird sich ergeben. In zehn Jahren will sie als Ingenieurin arbeiten, Kinder haben. Jetzt jedenfalls piept das Multimeter, sie stellt die Temperatur höher, die Zahlen an der Anzeige klettern noch weiter. Müller schaut zu Kahnt. Kahnt nickt.

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