Mint-Fächer:Berufswunsch Informatikerin? Na klar!

Mint-Fächer: Im "Smart Gardening"-Kurs der TU München basteln sich Mädchen eine App, die anzeigt, ob eine Pflanze genug Wasser bekommt. Sprüche wie "Typisch Mädchenfrage" gibt es nicht.

Im "Smart Gardening"-Kurs der TU München basteln sich Mädchen eine App, die anzeigt, ob eine Pflanze genug Wasser bekommt. Sprüche wie "Typisch Mädchenfrage" gibt es nicht.

(Foto: Catherina Hess)

Hartnäckige Stereotype tragen dazu bei, dass viel weniger Frauen als Männer sich für Technik interessieren. Doch mit neuen Kursen und Unterrichtsformen hat ein Wandel begonnen.

Von Sebastian Jannasch

Ganz sicher ist sich Luise nicht, wohin das rote Kabel gehört. Das eine Ende führt in den Pflanztopf, für das andere sucht die 17-Jährige den richtigen Anschluss auf dem Minicomputer, der neben einem Bündel bunter Drähte vor ihr liegt. "Wofür ist noch mal der analoge und wofür der digitale Signaleingang?", fragt sie. Die angehende Abiturientin hakt nach, wenn sie nicht weiterkommt.

In ihrem Physikkurs an einem Münchner Gymnasium kostet sie das mehr Überwindung; dort gibt es neben ihr drei andere Mädchen - und 18 Jungen. Sprüche wie "Typisch Mädchenfrage!" hören sie da schon, erzählt Luise. Auch Anna, 15, kennt das Phänomen. "Wenn es um Technik geht, sagen die Jungs: Gib mal her, ich mach das für dich. Egal, ob sie es wirklich können."

Heute kann das nicht passieren, in dem Seminarraum an der Technischen Universität München (TUM) sitzen nur Schülerinnen - freiwillig und in ihren Ferien. Der Kurs "Smart Gardening", in dem die 16 Mädchen zwischen 13 und 17 Jahren lernen, wie sie mithilfe von Sensoren und einer selbstprogrammierten Software Zimmerpflanzen vorm Vertrocknen oder Ersaufen bewahren, ist Teil der Seminarreihe "Mädchen machen Technik". Wie bei vielen ähnlichen Hochschulangeboten geht es darum, Schülerinnen für Mint-Themen zu gewinnen: für Mathe, Informatik, Naturwissenschaften oder Technik - jene Disziplinen, in denen der Fachkräftemangel der Wirtschaft besonders groß ist.

Naturwissenschaftlicher Unterricht ist oft zu abstrakt

Der jährliche Girls' Day, bei dem Mädchen in traditionelle Männerberufe hineinschnuppern, Roboter-Kurse an Schulen, Studiengänge nur für Frauen - solche Initiativen sind wichtig, reichen jedoch nicht aus. Mit der generellen Zunahme an Studierenden steigt zwar auch die Zahl von Mint-Studentinnen, ihre Quote aber bleibt klein: 50 Prozent aller Hochschulabsolventen sind Frauen, im Mint-Bereich stellen sie nur 30 Prozent.

Laut Initiative "Komm, mach Mint" ist im ersten Semester Maschinenbau jeder Fünfte eine Frau, in der Elektrotechnik kümmert die Quote bei 15 Prozent. Positive Ausnahme: Im Mathestudium ist fast jeder Zweite weiblich.

Es fehlt nicht am Können, sondern am Interesse, wie die jüngste Pisa-Studie zeigte. Obwohl die naturwissenschaftlichen und mathematischen Leistungen deutscher Schülerinnen über dem Durchschnitt der OECD-Industriestaaten liegen, kann sich nicht einmal jedes siebte Mädchen eine Karriere in diesem Bereich vorstellen.

Manch einer argumentiert deshalb, die Technik liege Frauen eben nicht. "Wenn es eine biologische Ursache gäbe, müssten wir überall auf der Welt das gleiche Bild sehen. So ist es aber nicht. In Portugal, Kanada und Singapur sind naturwissenschaftliche Berufswünsche unter Schülerinnen viel verbreiteter", sagt der Techniksoziologe Ortwin Renn. "Eine große Rolle spielen Stereotype und fest verankerte Rollenbilder." Bei gleichen Leistungen würden Eltern ihren Söhnen viel öfter zu einem technischen Beruf raten als Töchtern, auch weil sie fürchten, sie würden es im Berufsleben schwerer haben.

Mädchen interessiert Informatik mit gesellschaftlicher Relevanz

"Es ist nicht unser Ziel, aus jedem Mädchen eine Informatikerin zu machen", sagt Robert Heininger, der das Sommerprogramm der Informatik-Fakultät an der TUM koordiniert. "Aber besonders den Mädchen, die begabt, aber unsicher sind, wollen wir die Möglichkeit bieten, ihre Stärken weiterzuentwickeln."

Dennoch zucken beim "Smart Gardening" viele Schülerinnen mit den Schultern, wenn man sie nach ihrem Berufswunsch fragt. Luise spielt seit der vierten Klasse Klarinette. "Ich kann mir auch vorstellen, Musik statt Informatik zu studieren." Anna meint: "Reine Physik oder Informatik sind nichts für mich, aber vielleicht Medieninformatik oder Spieldesign."

Solche Aussagen überraschen den Soziologen Renn nicht. "Maschinenbau und Elektrotechnik klingen für viele junge Frauen abschreckend theoretisch und unkreativ", sagt er. "Sobald es aber um Umwelttechnik, Medizintechnik oder erneuerbare Energien geht, steigt ihr Anteil an Bewerbern enorm." Tatsächlich lag an der TUM 2015 die Frauenquote bei Erstsemestern in Bioinformatik bei 55 Prozent, in klassischer Informatik bei 14 Prozent. "Für viele Frauen ist es wichtiger als für Männer, dass ihre Arbeit eine gesellschaftliche Relevanz hat, dass sie Menschen helfen und Probleme lösen", sagt Renn.

Die Abneigung entsteht oft schon in der Schule. "Naturwissenschaftlicher Unterricht ist in Deutschland häufig sehr abstrakt", sagt Andreas Schleicher, Bildungsdirektor der OECD. Statt lebensnahe Fragen zu stellen, würden Gesetzmäßigkeiten gelehrt - und so die Neugier abtrainiert. Um die Fantasie anzuregen, müsse man "fächerübergreifend an Problemen der täglichen Welt arbeiten", so Schleicher.

Dabei stärker Gesundheits- und Umweltaspekte zu thematisieren, kann Ortwin Renn zufolge auch helfen, Selbstzweifel auszuräumen. "Bei einer schlechten Note sagen sich Jungs: Da war ich wohl ein bisschen faul. Mädchen denken: Ich kann's eben nicht. Besonders, wenn ihnen seit frühester Kindheit eingeredet wurde, dass sich der Bruder um die Technik kümmern soll", sagt der Techniksoziologe. Deshalb plädiert er auch dafür, etwa in Informatik, anfangs geschlechtergetrennt zu unterrichten.

Mint-Fächer: Mit Sensor, Mikrochip und der Programmiersprache Snap! müssen sich die Mädchen im Kurs auseinandersetzen - hier greift kein Junge helfend ein.

Mit Sensor, Mikrochip und der Programmiersprache Snap! müssen sich die Mädchen im Kurs auseinandersetzen - hier greift kein Junge helfend ein.

(Foto: Catherina Hess)

Rollenbilder halten sich hartnäckig

Doch lässt sich überhaupt feststellen, welche Mint-Förderung tatsächlich wirkt? Das sei kaum möglich, weil zwischen den Angeboten und der Studien- und Berufswahl meist viel Zeit vergehe, sagt Susanne Ihsen, Professorin für Gender Studies in den Ingenieurwissenschaften an der TUM. "Außerdem spielen viele andere Faktoren wie Familie, Freunde oder praktische Erfahrungen eine Rolle."

Die Forscherin glaubt, dass der Frauenanteil in technischen Studiengängen nur allmählich wachsen wird, weil sich tradierte Rollenbilder nicht abrupt ändern. Wichtig sei der kontinuierliche Kontakt mit Technik. "Mentorinnen, die beim Übergang an die Uni und während des Wechsels in den Beruf zur Seite stehen, sind auch sehr wertvoll."

Im Workshop zur Pflanzen-App sind es Informatik-Studentinnen, die den Mädchen das Programmieren und den Stromkreis näherbringen. Nach dem dreitägigen Seminar steht bei Luise ein Minicomputer zu Hause auf der Fensterbank, der anzeigt, ob ihre Blume es zu feucht, zu trocken oder zu hell hat. Keine technische Lösung gibt es für die Frage, was Luise nach dem Abitur im nächsten Jahr studieren will. Da ist sie sich auch nach dem Ferienkurs noch unsicher.

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