Medizinstudium:"Ich musste das Lernen erst wieder lernen"

Wo ein Medizinstudium auch ohne Super-Abitur starten kann

Ein Medizinstudent nimmt in der Medizinischen Hochschule in Neuruppin (Brandenburg) während einer Prüfung Blut ab.

(Foto: dpa)

Einen Medizinstudienplatz zu bekommen, kann ohne 1,0-Abitur viele Jahre dauern. Zwei angehende und ein studierter Mediziner erzählen, wie es ihnen auf dem Weg ins Studium ergangen ist.

Protokolle von Larissa Holzki und Matthias Kohlmaier

Philipp Bornemann, Medizinstudent in Tübingen:

13 Semester, also sechseinhalb Jahre habe ich auf meinen Studienplatz gewartet. Das war zeitweise schon extrem frustrierend, zumal es nach meinem Abitur 2006 noch hieß, acht Wartesemester wären das Maximum. Die Zahl der Wartesemester stieg dann in den nächsten Jahren stetig. Trotz des Ärgers war mir aber immer klar, dass ich auf jeden Fall Medizin studieren und die Wartezeit in Kauf nehmen will. Das hat hauptsächlich mit dem Job zu tun, mit dem ich die Zeit überbrückt habe.

Ich habe nach dem Abi meinen Zivildienst beim Deutschen Roten Kreuz in Stuttgart im Rettungsdienst absolviert. Danach bin ich hauptamtlich in dem Job geblieben und habe auch die Ausbildung zum Rettungsassistenten absolviert - und mich parallel jedes Semester wieder für einen Studienplatz beworben. Für den Arztberuf ist es natürlich von Vorteil, dass ich vor dem Studium schon eine Menge Praxiserfahrung gesammelt habe. Ich muss nicht mehr lernen, wie man mit Patienten spricht, weil ich das zig Mal in der Notfallrettung gemacht habe.

Trotzdem finde ich es nicht unbedingt ideal, dass viele junge Menschen die Wartezeit bis zum Medizinstudium mit Ausbildungen im Rettungsdienst oder der Pflege überbrücken. So nehmen sie anderen Menschen die Ausbildungsplätze weg und es entsteht eine große Fluktuation in diesen Jobs. Solange man die aber nicht attraktiver und auch lukrativer gestaltet, wird das wohl so bleiben.

Wie sich die Misere mit den ewigen Wartezeiten auf den Studienplatz in der Medizin beenden lässt, ist natürlich schwer zu sagen. Auf der einen Seite beklagen wir ständig den Ärztemangel, auf der anderen Seite gibt es zu wenige Studienplätze für die vielen Bewerber. Man könnte das Dilemma vielleicht dadurch lösen, dass jeder Abiturient das Medizinstudium nach einer maximalen Wartezeit von maximal acht Semestern beginnen darf und generell mehr Studienplätze angeboten werden müssen. In jedem Fall ist es nicht akzeptabel, dass junge Leute sieben und mehr Jahre auf einen Studienplatz warten müssen, um dann unter Umständen herauszufinden, dass das Medizinstudium doch nichts für sie ist.

Henrike A., Medizinstudentin in Wien:

Wenn man etwas unbedingt erreichen will, findet man einen Weg. Davon bin ich überzeugt. Meiner begann in einer Messehalle mit 10 000 jungen Menschen, die wie ich Medizin oder Zahnmedizin in Wien studieren wollten. Wer die Studienplätze bekommt, wird in einer Aufnahmeprüfung entschieden. Als ich 2011 teilgenommen habe, wurde dabei vor allem getestet, wie viel sich die Kandidaten merken können, wie gut sie im logischen Denken und Kalkulieren sind. Inzwischen gibt es auch einen naturwissenschaftlichen Teil, auf den man sich mit Lernen vorbereiten kann. Wie viele Punkte man dabei erreichen muss, kann vor dem Test niemand sagen: Die 600 besten Medizinkandidaten werden genommen. Ich war dabei.

"Ich habe hier fast so etwas wie eine zweite Familie"

In einem anderen Land zu studieren, eine neue Kultur kennenzulernen, das ist natürlich eine Bereicherung, und ich bin sehr gerne in Wien. Aber ich finde es schade, dass ich im Prinzip keine andere Wahl hatte, als so weit weg von Familie und Freunden zu studieren. Immerhin ist man in dieser Situation nicht allein: Weil auch viele Kommilitonen weit weg von Zuhause studieren, habe ich hier fast so etwas wie eine zweite Familie gefunden. Das Medizinstudium dauert ja viele Jahre und ein Wechsel ist kaum möglich, weil die Studiengänge in Deutschland anders aufgebaut sind.

Ich kann nachvollziehen, dass die Zahl der Studienplätze in der Medizin begrenzt wird. Aber wenn das schon so sein muss, sollte die Vergabe auch möglichst gerecht gestaltet werden. Das Verfahren in Wien finde ich deshalb gut: Die Abschlussnote zählt nicht, alle haben die gleiche Ausgangschance. Das ist in Deutschland ganz anders, wo die Abinote so entscheidend ist: Schulen beurteilen sehr verschieden, da ist auch viel Subjektivität dabei.

Zurzeit mache ich ein PHD, ein Doktoratsstudium, weil ich mich wissenschaftlich noch weiterentwickeln will. Das Tolle an der Medizin ist, dass man immer dazulernen kann. Und man kann in so vielen Bereichen arbeiten: in der Klinik, in der Wissenschaft, in der Politik, in der Wirtschaft... Momentan kann ich mir aber nicht vorstellen, die Arbeit am Patienten ganz aufzugeben. Besonders fasziniert mich das Herz. Deshalb habe ich die Spezialisierung Kardiologie gewählt.

Benjamin N., Assistenzarzt:

Ich würde die elf Wartesemester jederzeit wieder auf mich nehmen - wenn ich nicht noch mal durch die Vorklinik müsste. Im ersten Abschnitt des Medizinstudiums müssen Medizinstudenten ja die naturwissenschaftlichen Grundlagen lernen. Das ist unheimlich viel Theorie. Weil ich so lange aus der Schule raus war, musste ich das Lernen erst wieder lernen und habe mich am Anfang ziemlich gequält.

Weil mein Notenschnitt nicht reichte, um in absehbarer Zeit einen Studienplatz zu bekommen, hatte ich lange überlegt, ob ich nicht etwas anderes machen sollte. Aber mir war einfach nichts eingefallen. Die Zeit habe ich unter anderem mit einer zweijährigen Ausbildung zum Rettungsassistenten überbrückt und mehrere Jahre in dem Beruf gearbeitet. Das Gute am deutschen Verfahren ist ja, dass irgendwann jeder die Chance auf ein Medizinstudium bekommt.

Als endlich der Brief kam, in dem stand, dass ich einen Studienplatz in Mainz bekomme, habe ich mich natürlich sehr gefreut. Aber ich hatte auch ein mulmiges Gefühl: Jetzt hatte ich so lange gewartet - würde ich das Medizinstudium überhaupt schaffen? Oder war alles umsonst? Nein, war es nicht. Ich bin Arzt geworden. In Ingelheim am Rhein mache ich gerade die Facharztausbildung Innere Medizin.

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