Leseranekdoten zu kreativen Lehrmethoden:Aha-Erlebnisse im Klassenzimmer

Bruchrechnen mit Schokolade und der mathematische Hammelsprung: Gute Pädagogen werden kreativ bei der Wissensvermittlung. SZ.de-Leser berichten, wie ihre Lehrer sie zum Lernen gebracht haben.

Quadratisch praktisches Bruchrechnen

Nach dem Lesen des Rechercheblogs habe ich mich an meinen von uns sehr geschätzten Mathelehrer Herrn Nichau erinnert. Er war klein, drahtig und vor seiner Ausbildung zum Lehrer im Bergbau tätig. Bei der Addition und Subtraktion von Brüchen pflegte er wiederholt zu sagen: "Schauen Sie, über der Tafel steht doch: Differenzen und Summen kürzen nur die Punkt, Punkt, Punkt!" Wörter wie "Dummen" sprach er nie aus. Aber der Spruch ist mir im Gedächtnis geblieben.

Recherche

"Welche Bildung brauchen unsere Kinder wirklich?" Diese Frage hat unsere Leser in der zweiten Abstimmungsrunde unseres Projekts Die Recherche am meisten interessiert. Dieser Text ist einer von zahlreichen Beiträgen, die sie beantworten sollen. Alles zur Bildungsrecherche finden Sie hier, alles zum Projekt hier.

Als wir bei einer Berechnung einmal zum Ergebnis kamen, auf einer Baustelle arbeiteten 6,7 Arbeiter, ließ er uns bestimmen, wie 0,7 Menschen aussehen. Er hatte die Gabe, alles immer sehr anschaulich darzustellen und hat uns auch daran erinnert, dass Denken manchmal mehr hilft als Rechnen.

Als ich Jahre später als Lehrerin an meine alte Schule kam, wurde der Matheraum meiner Jugend mein Klassenraum. Oft hatte ich das Gefühl, Herr Nichau würde jeden Moment um die Ecke kommen. Wenn ich mit meinen Schülern Bruchrechnen durchnahm, habe ich seine markanten Sätze gerne als Ratschläge weitergegeben.

Mir ist bei der Einführung der Bruchrechnung aufgefallen, dass Schüler sie mit Essen und Geld am besten verstehen. Eine quadratisch praktische Schokoladensorte, die man im Anschluss sogar gemeinsam naschen konnte, war dabei der Favorit. Aber auch Erdbeertorten, Baguettes, Äpfel oder der Inhalt von großen Smarties-Schachteln waren gern gesehen.

Ich könnte noch tagelang weiterschreiben, meine Geschichtslehrerin Frau Mittag zum Beispiel verpackte den Geschichtsstoff in fantastische Geschichten und der Chemielehrer Herr Hoffmann hatte wohl den meisten Spaß daran, wenn es bei Experimenten fürchterlich stank oder wahnsinnig explodierte. Ich hatte ein tolle Schulzeit und bin wohl auch deshalb selbst Lehrer geworden.

Füße und Küsse

An unserer Schule, einer Europaschule in Gladenbach in Mittelhessen, stand ich im Deutschunterricht vor dem Problem, wie sich Schüler merken können, wann seit der Rechtschreibreform ein Wort mit "Doppel-s" oder mit "ß" geschrieben wird. Die Regel ist einfach: Nach kurzem Vokal folgt ein "Doppel-s", nach langem Vokal ein "ß". Aber das in einer Stresssituation wie einer Klausur zu parat zu haben, ist nicht jedem Schüler gegeben.

Ich habe deshalb die Umrisse eines Fußabdrucks an die Tafel gemalt. In den Fuß habe ich dann "Fu" geschrieben und die Zehen mit einem Doppelbogen, also als "ß" hinzugefügt. Daneben schrieb ich Kuss, also das Wort mit kurzem Vokal und "Doppel-s". Ich behaupte, dass meine Schülerinnen und Schüler mit dieser Rechtschreibregel keine Probleme mehr hatten.

In English, please!

Ich hatte in den höheren Klassen einen Englischlehrer, der sich ziemlich von seinen Kollegen unterschied. Im Gegensatz zu ihnen paukte er selten mit uns Grammatik oder Vokabeln. Er hatte aber eine riesige Sammlung von Musik und Filmen, die er immer wieder in den Unterricht mit einband. Wir haben uns viel mit den Jugendkulturen in den USA und England beschäftigt, viele Filme im Original gesehen, vor allem aber viel auf Englisch miteinander diskutiert. Das war grammatikalisch sicherlich nicht perfekt, hat aber es hat Sprachsicherheit vermittelt.

Inzwischen arbeite ich in einer stark vom Englischen geprägten Branche und bin sehr oft in England. Ich erleben im Job immer wieder, dass es weniger auf korrekte Grammatik ankommt als vielmehr den Mut zur Kommunikation. Englisch ist sehr oft die Geschäftssprache, in der sich Nicht-Muttersprachler miteinander unterhalten - da ist Selbstsicherheit viel wichtiger als Perfektion.

Das fette "O"

Vielleicht ist mein Deutschlehrer Krolop mitverantwortlich dafür, dass ich Hauptschullehrer geworden bin, mit den Wahlfächern Deutsch und Sport. Denn wie ich heute unterrichtete er nebenbei noch Sport. Im Unterricht ging er mit uns raus ins Gelände, rannte mit uns gemeinsam mit eine nicht enden wollende Treppe mit gefühlten tausend Stufen durch die Weinberge hoch, ließ uns in der Sporthalle dreistöckige Menschenpyramiden bauen, animierte uns zu Flugrollen über riesengroße Sprungkästen, besorgte uns Boxhandschuhe und ließ uns mehr oder weniger regelgerecht im Faustkampf gegeneinander antreten. Er erlegte uns also immer wieder Mutproben auf und ermöglichte uns so dieses herrliche Gefühl, das sich einstellt, wenn man seine Angst überwunden hat.

Aus seinem Deutschunterricht sind mir außerdem viele kreative Aufgaben in Erinnerung. So ließ er uns beispielsweise Werbeanzeigen formulieren oder präsentierte uns im Grammatikunterricht Relativsätze mit falschem Bezug: "Das Pferd galoppierte über das Weizenfeld, das durchgegangen war." Darüber lacht ein Schüler schon mal.

Auch manche hilfreiche Eselsbrücke konnte ich dank ihm in meinem Unterricht aufgreifen und an meine Hauptschüler weitergeben. Ein Beispiel? Krolop schrieb einmal das Wort "Oligarchie" an die Tafel - mit besonders großem "O". Dann malte er an dieses "O" Ärmchen und Beinchen und ein Köpfchen und erklärte uns, Oligarchie bedeute "Herrschaft der Reichen, also der Fetten". Wer würde das jemals wieder vergessen!

Wenn ich darüber nachdenke, dann habe ich diesen verehrungswürdigen Lehrer nicht zuletzt deshalb in solch guter Erinnerung, weil er einen stets abwechslungsreichen, kreativitätsfördernden, kurzweiligen Unterricht gehalten hat, in dem er uns Schüler immer wieder neu begeistern konnte. Außerdem verfügte dieser Mann über etwas, das für Lehrer besonders wichtig ist: Er besaß Humor.

Mathematischer Hammelsprung

Ein Trick meiner Lehrerin, um das Addieren und Subtrahieren von negativen und positiven Zahlen erfahrbar zu machen: Die Türschwelle war die 0, draußen vor der Tür das Reich der positiven Zahlen, drinnen im Klassenraum das Reich der negativen Zahlen.

Wir stellten uns auf die Türschwelle, Gesicht nach draußen. Um etwa die Aufgabe "4 + (-9) = ?" zu lösen, ging man nun die Zahlen in Schritten und folgte dabei diesen Anweisungen:

  • positives Vorzeichen: vorwärts gehen
  • negatives Vorzeichen: rückwärts (= mit dem Rücken voran) gehen
  • Rechenzeichen plus: einfach stehen bleiben
  • Rechenzeichen minus: um 180 Grad drehen

Bei der obigen Rechenaufgabe bedeutete das beispielsweise: Erst vier Schritte nach draußen (die 4 ist positiv), dann einfach stehen bleiben (Rechenzeichen plus), dann neun Schritte rückwärts gehen (Vorzeichen negativ). Nun sieht man, dass man fünf Schritte weit im Klassenzimmer steht, also im Bereich der negativen Zahlen.

Klingt für denjenigen, der negative Zahlen routiniert anwendet, überkompliziert und überflüssig. Und höhere Mathematiker würden vielleicht auch kritisieren, hier würden gänzlich falsche Konzepte von der 0 oder dem negativen Zahlrenraum vermittelt.

Aber wir haben das mehrere Tage lang immer morgens einige Male durchgespielt, erst unter Anleitung, dann jeder mit den eigenen Aufgaben. Die körperliche Erfahrung des Die-Schwelle-Überschreitens und Drehens hat mir sehr weitergeholfen. Der negative Zahlenraum wurde ein richtiger Raum, genau wie der bereits bekannte und vertraute der positiven Zahlen, in dem man sich bewegen und orientieren konnte.

Die Recherche zum Schulsystem: Bildung, wie wir sie brauchen

"Welche Bildung brauchen unsere Kinder wirklich?" - das wollten unsere Leser in der zweiten Runde von Die Recherche wissen. Mit einer Reihe von Artikeln versuchen wir diese Frage zu beantworten.

Nachhilfe ist keine Einbahnstraße

Ich hatte damals ab der siebten Klasse als zweite Fremdsprache Latein gewählt. Die ersten zwei Jahre ging auch alles recht gut, danach aber verzweifelte ich zusehends an der Fülle der grammatikalischen Konstruktionen. Ich war nicht in der Lage, einen AcI (Accusativus cum infinitivo) oder NcI (Nominativus cum infinitivo) zu erkennen, oder zu verstehen, welchen Zweck ein Semideponens genau erfüllt. In der zehnten Klasse stand dann auch berechtigterweise eine Fünf im Halbjahreszeugnis.

Was würde ein Lehrer normalerweise tun? Mich auf jeden Fall nicht einem Siebtklässler Lateinnachhilfe geben lassen. Mein Lateinlehrer hat das allerdings getan und mir einen seiner jüngeren Schüler anvertraut. Eine der Schwächsten sollte Nachhilfe geben, wo es doch so viele gute und sehr gute Lateiner in der Klasse gab? Alle dachten, er habe den Verstand verloren. Mich eingeschlossen.

Aber ich lernte in den folgenden anderthalb Jahren Latein wieder von der Pike auf, weil ich mir natürlich vor dem Nachhilfeschüler keine Blöße geben durfte. Mein Schützling verbesserte sich von einer auf die nächste Klassenarbeit von einer Fünf auf eine Zwei. Und ich habe mich in einem Jahr ebenfalls auf eine Zwei gesteigert. Im Nachhinein bin ich meinem Lateinlehrer sehr, sehr dankbar für sein Vertrauen.

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