Lernen in den Sommerferien:"Nun sitzen auch schon die blöden Schüler hier"

Herrsching Philip Spilarewicz

Vormittags Stoff wiederholen, nachmittags den Tag genießen: Nach diesem Muster lernt Philip aus Herrsching.

(Foto: Georgine Treybal)

Ferienzeit - freie Zeit? Weit gefehlt. Immer mehr Jugendliche nutzen die schulfreien Wochen zum Pauken, sitzen in der Uni-Bibliothek statt am Badesee. Das hat nicht immer mit schlechten Noten zu tun.

Von Kathrin Schwarze-Reiter

Acht Uhr, Philip steigt langsam die große Treppe hinauf. In seiner Hand ein Ovid, ein lateinisches Wörterbuch und ein Vokabelheft. Der 14-Jährige setzt sich an einen Tisch ganz vorne am Fenster, hier hat er die schönste Aussicht in die Baumwipfel. Er stellt seine Wasserflasche unter den Tisch und schlägt sein Buch auf: fructus, fructuum, fructibus . . . Zwei Studenten tuscheln im Vorbeigehen: "Nun sitzen auch schon die blöden Schüler hier und nehmen uns die Plätze weg." Denn Philip lernt nicht in der Schulaula, sondern im Lesesaal der Münchner Staatsbibliothek. Der ist für jeden zugänglich, der früh genug da ist - auch für Schüler.

Es sind Pfingstferien und Philip muss Vokabeln wiederholen. Die Bibliothek war die Idee seiner Eltern, die Ortsveränderung soll helfen beim Lernen. Eine Woche lang nimmt sein Vater Philip nun auf dem Weg zur Arbeit vom Starnberger See mit und setzt ihn in der Münchner Innenstadt ab. Zwar trägt Philip eine kurze blaue Hose, Espadrilles und ein Sommershirt, doch Ferien sind für ihn nicht. Zumindest nicht am Vormittag. Drei Stunden konjugieren, dann hat er frei. Philip findet das nicht schlimm, es ist sogar ein kleines Abenteuer: Zur Belohnung trifft er sich nämlich mit seinem Vater zum Mittagessen und erkundet später mit einer Freundin die Stadt.

In fast allen Bundesländern sind jetzt Sommerferien. Die Schüler wollen von Hypotenuse und Weimarer Republik nichts mehr wissen, denkt man. Tatsächlich lernen immer mehr Schüler auch in den Ferien. Nach einer Umfrage der Lernplattform scoyo unter fast 1000 Schülern zwischen sechs und 14 Jahren tun dies fast 70 Prozent. Sie sitzen zwei Stunden oder mehr pro Woche vor den Schulbüchern. Nur knapp jeder vierte Schüler schmeißt die Bücher ganz in die Ecke und nimmt sich eine komplette Auszeit.

Viele Ferienpauker sind nicht schlecht in der Schule

Aus Sicht der Gehirnforschung macht es das Gros der Schüler richtig: "Kinder fallen in ihrem Wissensstand weit zurück, wenn sie sich sechs Wochen lang nicht mit dem Schulstoff beschäftigen", sagt der Biologe Martin Korte. Er erforscht an der TU Braunschweig die zellulären Grundlagen von Lernen und Gedächtnis. Korte rät daher am Schluss der Ferien zu kurzen Wiederholungsphasen, mit zwei bis drei Tagen Auszeit dazwischen.

So wie Philip sind viele Ferienpauker nicht unbedingt schlecht in der Schule. Doch durch das G 8 und die vollen Stundenpläne in anderen Schulformen sind die Kinder so eingespannt, dass oft keine Zeit zum Vokabeln-Wiederholen oder Vertiefen des Geschichtswissens bleibt. Manche müssen schlechte Noten ausbügeln, wenn die Versetzung nur um Haaresbreite geklappt hat. So nutzen immer mehr Schüler auch die Ferien. Treibende Kraft sind dabei oft ihre Eltern, ganz freiwillig pauken die wenigsten.

Gehirnforscher Korte ist es deshalb wichtig zu betonen, dass das Ferienlernen spielerisch ablaufen sollte: "Kinder sollten nie das Gefühl bekommen, dass Schule die Ferien frisst. Denn das Leben besteht nicht nur aus Schule und Lernen findet nicht nur in der Schule statt. Kinder brauchen unbedingt auch Zeit zum Nichtstun."

"Mein Traum ist es, Pilot zu werden. Dafür brauche ich Abitur"

Bildungsfreistellung

Uni-Bibliothek statt eigener Schreibtisch: Ortswechsel sollen beim Lernen helfen. (Symbolbild)

(Foto: dpa)

Ob Schüler in den Ferien viel vergessen oder sogar noch etwas hinzulernen, hängt in der Regel vom Bildungsstand der Eltern ab, zeigen Studien aus den USA. Dort ist das Problem bei drei Monaten Sommerferien noch gravierender. Denn Eltern, denen Bildung wichtig ist, bieten mehr. Sie gehen mit den Kindern ins Museum oder spendieren eine Sprachreise.

So wie Philip, der lernt Sprache nämlich lieber im Ausland als am Tisch in der Staatsbibliothek. Zweimal war er schon über den Vermittler edulingo in Großbritannien und lernte Englisch auf die lebendige Art: Abenteuer erleben, viel sprechen und Schüler aus anderen Ländern treffen.

Mete ist da anders. Der 15-jährige Realschüler musste die sechste Klasse wiederholen, wegen Erdkunde und Geschichte. Auch in Mathe, Deutsch und Englisch stand der Junge mit türkischen Wurzeln aus Landsberg am Lech auf 4 und 5. "Ich weiß, es wird schwierig. Aber mein Traum ist es, Pilot zu werden. Dafür brauche ich Abitur", sagt Mete.

"Ich kann die Freizeit viel mehr genießen"

Seit zwei Jahren lernt er nun in allen Ferien, jeden Tag mehrere Stunden und zwar in einem Intensivkurs des Studienkreises, zu dem ihn seine Eltern schon mehrfach angemeldet haben. Nun steht er in allen Fächern auf 2 oder 3. Studienkreis-Leiterin Silvia Lettmair bezeichnet Mete gerne als "Vorzeigeschüler" und auch seine Freunde bewundern ihn für seinen Ehrgeiz. "Sie haben Verständnis dafür, dass ich erst am Nachmittag Zeit habe", sagt er. "Manchmal - so sagen sie mir - wären sie auch gerne so konsequent."

Auch Philip mault nicht. "Irgendwie fühle ich mich sogar besser, wenn ich früh schon was geschafft habe", sagt der Gymnasiast. "Ich kann die Freizeit viel mehr genießen." Gehirnforscher Martin Korte heißt dieses Muster gut: "Ideal ist 30 Minuten konzentriert zu lernen - die Zeit sollte aus den Ferien ausgekoppelt sein, also am Schreibtisch stattfinden, und dann geht's als Belohnung ins Meer, an den See, aufs Rad." Natürlich gilt dies nur für Kinder, die etwas Nachholbedarf haben. Wer freiwillig im Geschichtsbuch liest, kann dies so lange tun, wie er will.

Mete hat sich vorgenommen, weiter in den Ferien so fleißig zu lernen - bis er das Abitur in der Tasche hat und endlich fliegen darf. Gut vorbereitet will er in die achte Klasse starten. Seinen Freunde indes, die in den Ferien nur am Badesee liegen, wird die Zeit oft ein bisschen lang. Sie freuten sich schon Wochen vorher auf den Schulanfang, weil dann endlich wieder was los ist.

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