Leistungsvergleich:Wenn soziale Gerechtigkeit in der Grundschule endet

Ergebnisse zu Bildungsstudien an Grundschulen werden veroeffentlicht

Iglu und Timss: Deutsche Grundschüler konnten sich in den internationalen Vergleichsstudien behaupten.

(Foto: dapd)

Sozialer Aufstieg fängt bereits in der Grundschule an - und in viel zu vielen Fällen endet er auch dort. Mangelnde Förderung, Desinteresse der Eltern und unfaire Bewertungen durch Lehrer halten so manchen aufstrebenden Schüler auf. Besserung ist nicht in Sicht - auch wenn die neuesten Studien kleine Fortschritte zeigen.

von Roland Preuß

Es ist wieder viel von sozialer Gerechtigkeit die Rede, denn der Wahlkampf hat begonnen. Peer Steinbrück griff kürzlich zum Sprachbild des Aufzugs im gemeinsamen Haus, der ebenfalls nach oben funktionieren müsse. Und auch die Konkurrenz von der Union reklamiert die Chancengerechtigkeit für sich; CDU-Vize Armin Laschet ersann dafür den schönen Begriff von der Aufsteiger-Republik.

Was dabei gerne vergessen wird: sozialer Aufstieg fängt bereits in der Grundschule an - und in viel zu vielen Fällen endet er auch dort - durch mangelnde Förderung, Desinteresse der Eltern und unfaire Bewertungen durch Lehrer. Dies zeigen die Grundschulstudien Timss und Iglu, die am Dienstag vorgestellt wurden.

Gemeint ist vor allem die Unwucht bei der Empfehlung für höhere Schulen wie das Gymnasium. Dies ist der Skandal in diesen eigentlich unspektakulären Untersuchungen. Jahr um Jahr, Studie um Studie haben die Fachleute bemängelt, Pädagogen ließen sich in ihrem Urteil zu sehr von der sozialen Herkunft der Kinder leiten. Nun zeigt sich: es hat sich nichts gebessert. Der Nachwuchs aus bildungsbürgerlichem Hause hat eine fast dreieinhalb Mal so hohe Chance, fürs Gymnasium vorgeschlagen zu werden, als Kevin oder Murat aus dem Arbeiter- oder Hartz-IV-Haushalt. Bei gleicher Leistung wohlgemerkt.

Dieser Missstand sollte dennoch nicht dazu verführen, die Grundschullehrer nun generell als die Bremser der Aufsteiger-Gesellschaft anzuprangern. Die Studien offenbaren vielmehr die enorme Leistung der Pädagogen. Obwohl Deutschland für seine Grundschüler gerade einmal die Hälfte von dem ausgibt, was in EU-Staaten üblich ist, konnten sich die Kinder international im oberen Drittel halten.

Auch bei den Leistungen für Migrantenkinder lassen sich Fortschritte vermelden. Ihre Startnachteile, Sprachdefizite und die generelle Bildungsarmut wird der Staat nie vollständig ausgleichen können. Doch die Studie zeigt, dass der Versuch, ihnen bessere Chancen zu geben, bereits fruchtet. Hier zahlen sich die vielen Instrumente aus, welche die Bundesländer in den vergangenen zehn Jahren etabliert haben: vom Sprachstandstest im Kindergarten bis zum Extra-Deutschkurs nach dem Unterricht.

Der Erfolg dieser Angebote wird darüber entscheiden, ob sich deutsche Grundschüler im Vergleich zu ambitionierten Ländern wie Irland oder Thailand behaupten können. Denn die Lehrer werden es mit immer unterschiedlicheren Kindern zu tun haben. Die Grundschüler aus heimischen Akademiker-Familien werden immer weniger, weil Herr und Frau Doktor immer weniger Kinder in die Welt setzen wollen. Gleichzeitig kommen immer mehr Kinder zugewanderter Eltern in die Schulen, weil Migranten öfter bereit sind, sich auf das Abenteuer Kind einzulassen.

Dies bedeutet nicht automatisch, dass mehr Problemfälle die Grundschulen bevölkern. Doch verlangt diese Entwicklung den Lehrern durchaus mehr ab: mehr individuelle Förderung des Nachwuchses und das Wissen, wie man Eltern aus anderen Kulturen und gänzlich anderen Schulsystemen für die Mitarbeit gewinnt. Die Instrumente hierfür liegen bereit, doch sie werden oftmals noch nicht benutzt, auch das zeigen Timms und Iglu: nicht einmal die Hälfte der Schüler, die leseschwach sind, kommen in den Genuss von Förderunterricht.

Natürlich sind solche Studien nur ein Ausschnitt der Wirklichkeit. Schule bedeutet viel mehr als Leistungstests in Lesen oder Mathe. Sie steht auch für Herzensbildung und Gemeinschaft. Und doch gleichen die Tests einer Revision des besagten Aufzugs: wo er ruckelt, wo er stehen bleibt, wo Schüler aussteigen und die Treppe nehmen müssen. Die Sanierung des Aufzugs namens Schule jedenfalls ist noch lange nicht beendet.

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