Lehrer-Blog zu Vertretungsstunden:"Können wir einen Film gucken?"

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Als Vertretungslehrerin macht sich Catrin Kurtz keine Freunde in der Schülerschaft.

(Foto: Illustration: Katharina Bitzl)

An bayerischen Schulen muss selbst für die letzte Unterrichtsstunde am Freitagmittag noch eine Vertretung her. Eine Quälerei, finden viele Schüler - pädagogisch fragwürdig, sagt Catrin Kurtz.

Freitag, sechste Stunde, eigentlich habe ich frei. Aber nicht heute. Gleich zehn Kollegen fehlen und ich habe die Ehre, Sport weiblich in einer zehnten Klasse zu vertreten. Sie, wenn auch nicht in Sport, so doch in einem meiner Fächer zu unterrichten. In diesem Fall: Deutsch. 15 Mädchen begrüßen mich enthusiastisch, in ihren Gesichtern Vorfreude und Tatendrang. Äh nein, das ist natürlich ein ebenso frommer wie vergeblicher Lehrerwunsch. In Wahrheit lümmeln die jungen Damen allesamt in der letzten Reihe und gucken lässig-gelangweilt. Oder verhindert nur das dick aufgetragene Party-Make-up (es ist schließlich Freitag!) ein bewegtes Mienenspiel?

Schließlich schaffe ich es aber doch, den Zehntklässlerinnen eine Regung zu entlocken. Meine Ankündigung "Block raus, Diktat!" löst einen Sturm der Entrüstung raus. Die Reaktionen reichen von "Frau Kurtz, ich hab aber 'ne Entschuldigung für Sport!" über "Können wir keinen Film gucken?" bis hin zu: "Kotz."

Meine Reaktion als Schülerin hätte wahrscheinlich ähnlich ausgesehen. Aber als Lehrerin bleiben mir kaum andere Möglichkeiten. Das Kultusministerium will, dass möglichst wenige Schulstunden ausfallen, deshalb sollen selbst Randstunden am Freitagmittag vertreten werden. Dahinter steckt ein hehrer Anspruch: das Recht auf Bildung beziehungsweise Unterricht. Und vermutlich auch ein bisschen politisches Kalkül - schließlich lassen sich mit einer positiven Schulbilanz wunderbar Wählerstimmen gewinnen. Mit unzufriedenen Eltern dagegen nicht. Ob die strenge Vertretungspolitik aber pädagogisch sinnvoll ist?

Entspannt einen Film einschieben, ist nicht

Wenn ein Kollege auf Fortbildung oder krank ist, lautet mein Auftrag: ein adäquates Ersatzprogramm bieten. Ganz entspannt einen Film einschieben, ist also nicht - auch wenn Schülern diese Art der Vertretungsstunde noch am liebsten ist. Neben erzieherischen Gründen kommt hier, zugegeben, auch Eigennutz ins Spiel: Eine Vertretungsstunde, in der ich nur Aufsicht mache oder einen Film zeige, kann ich nicht als Überstunde abrechnen.

Am ehesten klappt das mit der pädagogisch sinnvollen Programmgestaltung, wenn ich in einer Klasse vertreten muss, die ich selbst unterrichte. Dann knüpfe ich einfach dort an, wo wir in der letzten Stunde aufgehört haben. Kenne ich die Klasse allerdings nicht, wird es schwierig: Ich muss aufpassen, dass ich dem verantwortlichen Fachkollegen inhaltlich nichts vorwegnehme. Außerdem erfährt man häufig erst morgens, dass man mittags eine Vertretungsstunde halten soll. Wirklich vorbereiten lässt sich in der Zwischenzeit nichts mehr.

Wie viel bleibt am Ende tatsächlich hängen?

Also läuft es eben häufig hinaus auf eine Diktat-, Rechtschreib- oder das/dass-Übungsstunde. Alles Themen, die aus Deutschlehrersicht immer sinnvoll sind und gar nicht oft genug geübt werden können. Aber wie viel Spaß macht das schon einem Schüler, egal welchen Alters? Und wie viel bleibt am Ende tatsächlich hängen, wenn die Jugendlichen mit Null-Bock-Haltung bei der Sache sind?

Und jetzt mal unter uns. Auch als Lehrer hat man keine Freude an solchen Vertretungsstunden. Weil es unbefriedigend ist, wenn man genau weiß, dass der Lerneffekt gen null tendiert. Weil es Schöneres gibt, als sich mit Schülern zu messen, die bei unbekannten Vertretungslehrern mit Vorliebe ihre Grenzen austesten. Ein beliebtes Spiel beispielsweise: bei der Anwesenheitsüberprüfung "Hier!" zu rufen, auch wenn gar nicht der eigene Name, sondern der der besten Freundin oder des besten Freundes aufgerufen wurde.

Und weil auch ich mir an einem Freitagmittag etwas Schöneres vorstellen kann als ein Diktat.

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