Lehrer-Blog zu überforderten Eltern:"Ich kann die Frau nicht ernstnehmen"

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Eltern sollten ihren Kinder nicht alles durchgehen lassen, findet Lehrerin Catrin Kurtz.

(Foto: Illustration: Katharina Bitzl)

Anton ist in der Schule höflich und hilfsbereit. Doch zu Hause gebärdet sich der Zwölfjährige laut seiner Mutter als unerträglicher Tyrann. Lehrerin Catrin Kurtz fragt sich: Erziehen heute die Kinder die Eltern?

Klar, als Lehrer habe ich neben dem Bildungs-, auch einen Erziehungsauftrag. Aber sollte nicht ersterer im Vordergrund stehen? Manche Eltern denken da anders, zum Beispiel die von Franzi. Ich solle mich doch bitteschön darum kümmern, dass ihre Tochter die Hausaufgaben zuverlässiger mache, beklagen sie in der Sprechstunde. Auf meinen Einwand, dass diese nicht umsonst Hausaufgaben heißen und ich dort, also zu Hause, keinen Einfluss darauf habe, was Franzi macht - oder eben nicht -, reagieren sie eingeschnappt. Was sie denn dafür könnten, wenn ich nicht darauf achte, dass die Hausaufgabenhefte ordentlich ausgefüllt werden? Ihrer Tochter mangele es nun mal an Disziplin diesbezüglich, da sei ich in der Verantwortung, ihr über die Schulter zu schauen.

Und was ist mit der elterlichen Verantwortung, Kindern bestimmte Werte und Verhaltensregeln beizubringen?

Neulich hatte ich ein Aha-Erlebnis: Elterngespräch mit der Mutter von Anton. Ich erzähle ihr, wie nett und umgänglich ihr Sohn in der Schule sei. Ich lobe, dass er gerne Zusatzarbeiten für die Klasse übernehme, das Klassenbuch führe, Tafel wische, Laufdienste erledige etc. Doch Antons Mutter freut sich nicht - sie ist fassungslos. Denn zuhause, so gesteht sie mir, den Tränen nahe, sei ihr Sohn ein unerträglicher Tyrann.

Anton, wie ihn seine Mutter kennt:

Anton isst grundsätzlich nur Pommes und Pizza; Salat, Gemüse und dergleichen wirft er sofort in den Mülleimer - wenn die Mutter Glück hat. Gesundes, das ihm die Mutter antragen wollte, ist auch schon mal auf dem Boden gelandet. Anton redet nicht mit seiner Mutter, kommt sie in sein Zimmer, schaltet er den Fernseher ein oder dreht die Musik laut. Ins Bett geht der Zwölfjährige, wann er will. Zitat: "Wenn er nicht will - ich kann ihn ja nicht zwingen!"

Sein Zimmer räumt er konsequent nicht auf, geschweige denn, dass er seiner Mutter im Haushalt helfen würde. Wenn Anton zum Geburtstag oder zu Weihnachten nicht genau das bekommt, was er sich gewünscht hat, dann schreit er seine arme Mutter so lange an, bis sie es doch noch schnell bei im Internet bestellt. Seinen kleinen Bruder verprügelt Anton gerne mal.

Anton, wie ich ihn kenne:

Er grüßt, ist höflich, fragt, ob er beim Blätter austeilen helfen darf. In der Mensa isst Anton anstandslos immer sein Mittagessen auf, auch Gemüse. Anton versteht klare Ansagen: Wenn man ihn auf Fehler hinweist und mit ihm über ein Fehlverhalten spricht, entschuldigt er sich. Wenn Anton eine schlechte Note hat, ist er geknickt. Man merkt aber auch, dass es seinen Ehrgeiz weckt. Anton ist bei seinen Mitschülern sehr beliebt. Durch gewalttätiges Verhalten ist er noch nie aufgefallen.

Am nächsten Tag spreche ich Anton auf das Gespräch mit seiner Mutter an. Seine Antwort (in etwa): "Wissen Sie Frau Kurtz, die hab' ich voll in der Hand, die macht genau, was ich sage - warum soll ich mich da benehmen? Ich kann die Frau nicht ernstnehmen."

Tja, was soll ich dazu noch sagen? Natürliche appelliere ich an Anton, seiner Mutter Respekt entgegenzubringen. Aber so lange sie diesen nicht auch selbst einfordert, wird sich nichts ändern. Natürlich ist mir bewusst, dass viele Eltern, und vor allem alleinerziehende Mütter, nicht ohne Grund die Erziehung schleifen lassen. Sie sind schlicht überfordert, mit Job(s), Kindern - und der alleinigen Verantwortung für alles. Nur tun sie sich am wenigsten einen Gefallen damit, ihren Töchtern und Söhnen, aus welchen Gründen auch immer, alles durchgehen zu lassen.

Maxis Mutter ist zum Beispiel im Sekretariat gut bekannt, bekommt doch der Filius mindestens zweimal in der Woche das Handy abgenommen und die Mutter muss extra in die Schule fahren und es abholen. Was sie zuverlässig und zeitnah auch jedes Mal tut - anstatt es einfach mal zwei Wochen da liegen zu lassen, damit ihr Sohn lernt, sich an die Hausordnung zu halten. Wer erzieht hier eigentlich wen?

Oder Celestine, die gefühlt jede Woche mindestens einmal von ihrer berufstätigen Mutter abgeholt werden muss, weil sie "krank" ist. Darunter fällt alles von (mutmaßlich ernstzunehmenden) Kopfschmerzen, über einen gestoßenen (ja, gestoßen!) Finger bis hin zu, so mein Eindruck, Ich-bin-heut-einfach-nicht-gut-drauf-Sein. In letzteren beiden Fällen schalte ich mittlerweile auf Durchzug: Celestine muss im Unterricht bleiben, und wenn sie sich ausgemotzt hat, geht es ihr auch erstaunlich schnell wieder besser. Irgendjemand muss die Mutter ja vor ihrem Kind schützen.

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