Lehrer-Blog:"Ich unterrichte lieber Jungs"

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Lieber wilde Jungs als allzu brave Mädchen, findet Lehrerin Catrin Kurtz.

(Foto: Illustration: Katharina Bitzl)

Lehrerinnen sollen mit schuld daran sein, dass Jungs schlechtere Noten bekommen als Mädchen. Dieser Vorwurf nervt Catrin Kurtz. Sie steht gerne vor Jungsklassen und überlegt sich mit ihren Zehntklässlern eine anzügliche Eselsbrücke zum "retardierenden Moment".

"Schule als Krise der Jungen" - solche Schlagzeilen liest man in den vergangenen Jahren immer wieder. Woran das liegen soll? Wahlweise an den Strukturen in der Schule, die Mädchen mehr entsprächen als Jungen. Also: Stillsitzen, Anweisungen befolgen, konzentriert und im Fall von Hausaufgaben selbständig an einer Sache arbeiten, zum Zeitpunkt X die Leistung Y abrufen. Auch die Stundenpläne stehen in der Kritik, in denen Sport viel zu kurz komme. Jungs, so wird von Bildungsexperten kolportiert, müssten ihren Bewegungsdrang ausleben und dürften nicht gezwungen werden, stundenlang über irgendwelchen Texten auszuharren, die an ihrer Lebenswelt sowieso vorbeigingen.

Nicht zuletzt soll auch ich als Lehrerin schuld daran sein, dass Jungs schlechtere Noten schreiben. Fakt ist, dass es an vielen Schulen mehr Frauen als Männer gibt. Und Lehrerinnen würden nun mal dazu neigen, ihre Geschlechtsgenossinnen zu bevorzugen, so der Vorwurf.

Er geht - wie so oft, wenn Außenstehende zu wissen meinen, was alles falsch läuft in der Schule - an der Realität vorbei. Zumindest an meiner. Zunächst mal ist jedes Kind, unabhängig vom Geschlecht, anders und müsste deshalb individuell betreut werden. Auch wenn ich mich noch so sehr bemühe, werde ich es in einer Klasse mit 33 Schülern aber niemals schaffen, allen immer gerecht zu werden. Egal, ob Mädchen oder Jungs.

Alles muss raus und am besten sofort

In der vergangenen Woche habe ich erzählt, wie anstrengend es sei, eine fünfte Klasse mit lauter Jungs zu bändigen. Unterrichte ich also lieber Mädchen? Nein, im Gegenteil! Klar, Jungs sind häufig aufgedrehter als Mädchen. Sie rufen während der Stunde rein und rennen einen in der Pause schon mal über den Haufen. Aber dieser Aktivitätsdrang (ja, manchmal auch: Hyperaktivität) ist zugleich auch ihre Stärke: Sie sind aufgeweckt, wollen ihre Gedanken genauso loswerden wie ihre Energie.

Ich persönlich bin deshalb lieber in Jungsklassen. Ich ziehe es vor, einen lebhaften Haufen Jungs vor mir zu haben, mit denen man reden, scherzen und - wenn nötig - mit eindeutigen Worten schimpfen kann, ohne dass sie es einem übel nehmen. Anstatt vor einer zickigen Mädchenklasse zu stehen, die mich anschweigt, aus welchem Grund auch immer. (Ich: "Was ist los?" - Klasse: "Nichts.")

"Na toll, sie verteidigt die Jungen, indem sie Mädchenklischees bedient", werden Sie jetzt sagen. Und Sie haben recht. Selbstverständlich gibt es auch Jungs, die gerne mal die beleidigte Leberwurst spielen, und Mädchen, die mit ihren Witzen die ganze Klasse unterhalten. Aber ich erlebe die Realschule eben auch als einen Ort, an dem sich Geschlechtervorurteile bestätigen. Wahrscheinlich, weil die Jugendlichen hier ihre Pubertät durchleben, in der die Identifikation mit dem jeweiligen Geschlecht wichtig ist.

Da lösen Jungs ihre Konflikte nicht nur mit Worten, sondern auch mal körperlich - aber nie hintenrum im Zickenkrieg, wie es Mädchen gerne tun. Jungs werfen sich üble Schimpfworte an den Kopf; Mädchen grenzen aus oder rotten sich in Kleingruppen zusammen und sprechen tagelang nicht mehr miteinander.

Mir persönlich liegt die offene Jungsart eher. Ich unterrichte lieber Dramentheorie in einer zehnten Klasse mit Jungs, die sich angesichts eines "erregenden Moments" halb totlachen und mit denen ich mir gemeinsam eine anzügliche Eselsbrücke zum "retardieren Moment" überlege. Da kann ich mir zumindest sicher sein, dass sie sich diese Fachbegriffe merken werden. Und dass ist allemal besser, als vor Zehntklässlerinnen die Alleinunterhalterin zu geben, weil die es peinlich finden, überhaupt irgendwas zu sagen.

Was aber nicht heißt, dass ich mir mit den Mädchen weniger Mühe gebe. Und das trifft genauso auf viele meiner Kolleginnen - und im umgekehrten Fall auf Kollegen - zu.

Sache der Lehrerinnen

Dass Jungs in der Schule die männlichen Vorbilder fehlen, mag an manchen Schulen und gerade im Grundschulbereich stimmen. Ich glaube andererseits nicht, dass es Jungen grundsätzlich schadet, von Frauen unterrichtet zu werden. Natürlich bin ich als Deutschlehrerin in einer reinen Jungsklasse gefragt, Literatur auszuwählen, die den Schülern Anknüpfungspunkte bietet. Wobei es geschlechterunabhängig immer auch in meinem Sinne ist, Geschichten zu lesen und Themen zu behandeln, mit denen sich Heranwachsende identifizieren können. Sonst beschäftigen die sich lieber mit ihrem Nebensitzer oder Handy.

In gemischten Klassen ist das manchmal zugegebenermaßen schwierig, weil die Interessen einfach unterschiedlich sind. Da muss ich als Lehrerin auch verlangen dürfen, dass sich beide Seiten anpassen. Weder Jungs noch Mädchen sollten so in ihrem Stereotypen-Denken gefangen sein, dass das Lernen nur für eine Seite Spaß macht. Geschlechtergetrennte Klassen sind aber keine Lösung - schließlich lernen Jungen und Mädchen in der Schule auch voneinander.

Dass Mädchen in Deutsch besser sind als Jungs, dafür Jungs in den Naturwissenschaften glänzen, ist meiner Erfahrung nach ein überholtes Vorurteil. Meist kann man in Elterngesprächen herauslesen, woran es liegt, wenn tatsächlich ein Junge mit Sprachen Probleme hat. "Lukas kommt da ganz nach mir", heißt es dann vom Vater, "ich hab ihm gleich gesagt, dass ich in der Schule immer schlecht war in Englisch und Französisch." Dafür strengt sich Lukas in Physik besonders an - kein Wunder, schließlich war diese "Männerdomäne" (O-Ton) früher das Lieblingsfach seines Vaters.

Dass Deutsch kein reines Mädchenfach ist, habe ich übrigens erst vergangene Woche wieder festgestellt, als meine Jungs voller Begeisterung Märchen gesammelt, vorgelesen und sogar selbst geschrieben haben. Unser eigenes Märchenbuch ist ein wahres Meisterwerk geworden - auch wenn darin mehr Drachen als Prinzessinnen vorkommen.

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