Landtagswahl in NRW:Wie Schulpolitik die NRW-Wahl entschieden hat

Schüler in Alsdorf haben Gleitzeit

Schüler auf dem Weg ins Gymnasium in Alsdorf: Mehrere Baustellen prägen die Schulpolitik in Nordrhein-Westfalen noch immer

(Foto: dpa)

Rot-Grün hat an den Schulen viel experimentiert, aber den Wählern kaum Erfolge präsentieren können. Ein Überblick über die drei größten Baustellen.

Von Matthias Kohlmaier

Vor Wahlen fragen Demoskopen nicht nur nach dem Wer, sondern auch nach dem Was: Was sind für Sie, liebe Wähler, die wichtigsten Themen für den kommenden Urnengang? In Nordrhein-Westfalen haben die Menschen darauf vor ein paar Tagen im Politbarometer eine klare Antwort gegeben: Bildung und Schule seien die wichtigsten Probleme in NRW, befand mehr als ein Drittel der Wähler.

Die Abwahl von Rot-Grün ist in Teilen auch eine Abwahl der rot-grünen Bildungspolitik. Dass die nicht allzu überraschend gekommen ist, zeigt eine andere Zahl. Nachdem die Grüne Sylvia Löhrmann sieben Jahre lang als Schulministerin (und stellvertretende Ministerpräsidentin) die Bildungspolitik maßgeblich verantwortet hat, sprachen in einer WDR-Umfrage gerade einmal sechs Prozent der Befragten ihrer Partei die höchste bildungspolitische Kompetenz zu.

Wie konnte es dazu kommen und welche Themen treiben die Menschen in NRW in puncto Schule um? Eine Zusammenstellung:

Gymnasium

Ob nun G8, G9 oder doch ein Flexi-Modell - um die Ausgestaltung des Gymnasiums wird in NRW seit Jahren gestritten. 2004 war man noch im Konsens aller Parteien zum achtjährigen Gymnasium gewechselt - trotz massiver Proteste von Schülern, Eltern und Lehrern. Schulministerin Löhrmann hielt während ihrer Amtszeit trotz fortwährender Kritik lange am G8 fest. Ihr durchaus valides Hauptargument: Man könne nicht alle paar Jahre am Schulsystem drehen.

Um die Debatte zu beruhigen, berief Löhrmann 2014 einen runden Tisch ein, an dem alle Beteiligten gemeinsam Reformen ausarbeiten sollten. Der war spätestens hinfällig, als sich nicht nur die Landeselternschaft 2015 endgültig für die Rückkehr zum neunjährigen Gymnasium aussprach, sondern ein Jahr später die G9-Befürworter auch noch ein Volksbegehren ankündigten - das erste in NRW seit fast 40 Jahren.

Schließlich legte im Sommer 2016 eine Partei nach der anderen ein Konzept für das NRW-Gymnasium der Zukunft vor. Löhrmann und mit ihr Rot-Grün waren in der Debatte endgültig unter die bildungspolitischen Räder gekommen. Dass sich Grüne und SPD mittlerweile auch für ein Zurück zum G9 ausgesprochen haben, hat ihnen im Wahlkampf nicht mehr geholfen.

Die - wenigstens teilweise - Rückkehr zum Abitur in neun Jahren werden nun aller Voraussicht nach CDU und FDP gestalten. Wenngleich auch zwischen den beiden potenziellen Koalitionpartnern noch Uneinigkeit über das Wie herrscht: Die CDU will die Gymnasien zwischen G8 oder G9 wählen lassen; das FDP-Modell sieht vor, beide Wege zum Schulabschluss an jeder Schule parallel anzubieten.

Gemeinschaftsschule

Speziell für die Grünen ist die Gemeinschaftsschule in vielen Bundesländern ein Herzensprojekt, so auch in NRW. Die Schüler sollen länger gemeinsam lernen und nicht bereits nach Klasse vier auf verschiedene Schularten verteilt werden. Diese Einstellung hätte in NRW auch großen Einfluss auf die Zukunft der Gymnasien haben können. Ihnen legten SPD und insbesondere die Grünen im Wahlkampf nahe, künftig auch Haupt- und Realschulabschlüsse zu vergeben, um sie später leichter in Gesamtschulen umwandeln zu können. Den bestehenden Gesamtschulen sollte zudem erlaubt werden, die Abiturprüfung nicht mehr nur nach neun, sondern auch nach acht Jahren abzunehmen. Das Gymnasium hätte damit irgendwann tatsächlich verschwinden können.

Wie geht es mit der Inklusion weiter?

Der Philologenverband hatte mit Blick auf die Landtagswahl in NRW schon von einer "Schicksalswahl für die Gymnasien" gesprochen. Warum die populäre Schulart umgebaut werden sollte, das hat die Regierung den Wählern nicht plausibel erklären können. Außerdem hat sie die starke Lobby für das Gymnasium unterschätzt. Das Abitur soll nur dort vergeben, die Schüler weiterhin im gegliederten Schulsystem auf die Schularten verteilt werden - so in etwa die These vieler Menschen, die auch CDU und FDP weitgehend teilen.

Zwar versuchten die Ex-Regierenden noch, dem Wähler ihre Motivation zu erklären: die Gemeinschaftsschule sei humaner und gerechter, kein anderes Schulmodell durchlässiger. Gebracht hat es ihnen nicht viel, das Wahlergebnis kann nun auch als ein Votum für starke Gymnasien in NRW gelesen werden.

Inklusion

Was das gemeinsame Lernen von Kindern mit und ohne Behinderung angeht, zeigen Studien zweierlei: Erstens profitieren die Kinder davon. Gut gemachte Inklusion fördert nicht nur den Schulerfolg, sondern auch die Sozialkompetenz der Schüler. Das klappt aber, zweitens, nur dann, wenn genügend Lehrkräfte, Sonderpädagogen, Schulbegleiter da sind - kurzum, wenn viel Geld in den Ausbau der Inklusion investiert wird.

Tatsächlich ist der NRW-Schuletat laut Ministerium seit 2010 von 13,9 auf 17,9 Milliarden Euro gestiegen. Allein in die Inklusion ist über die vergangenen Jahre mehr als eine Milliarde Euro geflossen. Trotzdem beklagen Eltern und Lehrer, sei man von einer Doppelbesetzung - pro Inklusionsklasse sind immer zwei Pädagogen im Raum - weit entfernt.

Der Deutschlandfunk zitiert die Leiterin einer Kölner Grundschule: "Wir haben rund 80 Förderkinder, und davon haben acht einen Schulbegleiter, auf unterschiedliche Klassen verteilt. Wir haben aber 16 Klassen, das heißt: Es gibt ganz viele Stunden, in denen die Grundschullehrer oder die Förderlehrer komplett mit der Klasse ganz alleine sind." So kann Inklusion nicht gelingen, und das, wo derzeit nur 40 Prozent der Kinder mit speziellem Förderbedarf in Regelklassen unterrichtet werden.

Heißt: Rot-Grün hat den Anspruch auf einen Regelschulplatz für Kinder mit Behinderung festgeschrieben, das war ein mutiger Schritt, der aus wissenschaftlicher Sicht prinzipiell in die richtige Richtung gegangen ist. Würden aber alle Eltern von Kindern mit Förderbedarf ihren Anspruch auch durchsetzen - das Schulsystem von NRW würde vermutlich vom einen auf den anderen Tag kollabieren.

CDU und FDP wollen daher die Ausweitung der Inklusion vorerst stoppen. Zumindest so lange, bis dafür die notwendigen Voraussetzungen geschaffen sind. Es braucht also mehr Personal. Wie das zu finanzieren wäre, ist jedoch fraglich. Ab 2020 gilt in NRW die Schuldenbremse. Hinter der Zukunft der Inklusion steht mit der Abwahl von Rot-Grün ein sehr großes Fragezeichen.

Fazit und Ausblick

Nun ist in der NRW-Schulpolitik natürlich nicht alles schlecht. Es besuchen in dem Land zum Beispiel überdurchschnittlich viele Schüler Ganztagsklassen. Seit 2010 hat sich die Zahl der Lehrerstellen leicht erhöht, obwohl die Schülerzahlen sogar zurückgegangen sind. Die Tendenz ist hier also positiv, wenngleich NRW noch immer im Bundesdurchschnitt die größten Klassen hat.

Solche Trends aber hat die scheidende Regierung und speziell Schulministerin Löhrmann dem Wähler nicht nahebringen können. Dort sind die großen Baustellen hängengeblieben, bei denen Rot-Grün über Jahre kaum weiter gekommen ist als Berlin bei seinem Flughafen. Löhrmann selbst hat daraus bereits Konsequenzen gezogen: "Ich strebe keine Ämter mehr an in der grünen Landespartei."

Wie es an den Schulen nun weitergeht, wird sich in den Koalitionsverhandlungen andeuten und erst über die kommenden Monate und Jahre zeigen. Bewiesen aber hat diese Landtagswahl mal wieder eines: Bildungspolitik ist eines der zentralen Refugien der Länder, nicht zufällig verfügt Deutschland über 16 leicht variierende Bildungsysteme. Damit lassen sich Wahlen gewinnen. Oder wie nun bei SPD und Grünen geschehen: verlieren.

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