Kunst- und Musikunterricht:Kultur braucht kulturelle Bildung

Musikprojekt "Ikarus" in München, 2013

Mehr als jede zweite Schulstunde in Musik und Bildender Kunst fällt Schätzungen zufolge aus.

(Foto: Catherina Hess)

Alle wollen "kulturelle Bildung" fördern, sie gilt als nationalstaatliche Aufgabe. Papiere und Studien gibt es zum Thema und sogar einen nationalen Rat. Dennoch fallen dramatisch viele Schulstunden in Musik und Kunst aus.

Von Stephan Opitz

Wer in den späten Achtziger- und frühen Neunzigerjahren einen Antrag auf Förderung eines Kulturprojekts stellte, musste, wollte er Erfolg haben, darin das Wort "Kulturmanagement" verwenden. Ein paar Jahre später empfahl es sich, mit "Kulturtourismus" oder "Kultur- und Kreativwirtschaft" aufzutreten. Zurzeit konkurrieren "Kulturelles Erbe" (materiell oder immateriell) und "Kulturelle Bildung" um die Gunst der staatlichen Geldgeber.

Zur Frage, was mit "kultureller Bildung" gemeint sein soll, liegen nun mehrere öffentliche Texte vor. Der erste Text ist die Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der SPD vom März 2013. Er trägt den Titel: "Kulturelle Bildung in Deutschland als gesamtstaatliche Aufgabe und als Teil eines Gesamtkonzeptes der Bildung".

Darin geht es so zu: "Teilt die Bundesregierung die Einschätzung der Enquete-Kommission 'Kultur in Deutschland' des Deutschen Bundestags aus ihrem Schlussbericht, dass durch die Aufteilung der Aktivitäten der Bundesregierung im Bereich der kulturellen Bildung auf mehrere Ressorts Reibungsverluste entstehen könnten?" - "Die Bundesregierung teilt die Einschätzung nicht, dass Reibungsverluste entstehen könnten, da die Ressorts fachlich unterschiedliche Zugänge zur kulturellen Bildung haben und eine Abstimmung zwischen den verschiedenen Ressorts erfolgt."

Phrase von der "kulturellen Bildung"

Dieser Schlussbericht der Enquete-Kommission war das erste große nationale Papier zur Kulturpolitik. Die Befunde und Diskussionsvorschläge insbesondere zur musischen Bildung waren präzise. Ergeben hat sich daraus kaum etwas. Die in diesem Papier verwendete Phrase von der "kulturellen Bildung" ist allerdings seitdem allen bekannt.

Der zweite Text ist eine von der Mercatorstiftung finanzierte Studie des Zentrums für Kulturforschung. Sie wurde von der Soziologin Susanne Keuchel verfasst, trägt den Titel "mapping//kulturelle Bildung", ist kenntnisreich, detailgenau und umfangreich, aber vor allem eine Bestandsaufnahme. Die Spannbreite reicht grundsätzlich von der Blaskapelle der Feuerwehr über den Kirchenchor, von der Theater- oder Malgruppe bis zum Schulunterricht in Musik oder Kunst oder Literatur oder der musikalischen Früherziehung.

Die Studie benennt erhebliche Defizite, etwa in der Erhebung von Daten, die dann zu Abgrenzungsproblemen führen: Tragen etwa die öffentlichen Rundfunkanstalten zur "kulturellen Bildung" bei? Niemand weiß es. Kirchen und andere Religionsgemeinschaften tragen ganz sicher dazu bei, werden aber gar nicht erfasst.

Das dritte Papier heißt "Musikalische Bildung in Deutschland. Ein Thema in 16 Variationen" und wurde vom Deutschen Musikrat im Dezember 2012 verabschiedet. Es ist die umfangreichste und genaueste Studie zur Lage der musikalischen Bildung. Die Autoren fordern in dieser Studie eine politische und administrative Integration der musikalischen Bildung innerhalb und außerhalb der Schule.

Die Konsequenzen liegen auf der Hand

Aber die Studie wurde bislang kaum wahrgenommen. Und die Konsequenzen liegen auf der Hand: Wenn Deutschland ein kulturell interessantes Land bleiben möchte, müssen die Voraussetzungen für musikalische Teilhabe, Freude, Interesse, Kreativität und Kenntnis geschaffen sein und gesichert bleiben.

Das aber ist gegenwärtig nicht der Fall. Zum Unterrichtsausfall in den musischen Fächern an allgemeinbildenden Schulen etwa gibt es nur Schätzungen. Wahrscheinlich ist indessen, dass an deutschen Schulen deutlich über fünfzig Prozent des Unterrichts in Bildender Kunst und Musik ausfallen. Darüber hinaus gibt es Stundentafeln und Schultypen, in denen dieser Unterricht gar nicht mehr verbindlich ist. Und es gibt viele Stunden, die mit fachfremder Vertretung oder ohne Beaufsichtigung oder gar Unterricht abgesessen werden.

Susanne Keuchels Studie wie ein Papier des Deutschen Musikrats belegen zudem: Zwischen den allgemeinbildenden Schulen und dem außerschulischen Bildungsbereich gibt es noch nicht einmal die von der SPD-Bundestagsfraktion bei den unterschiedlichen Ressorts vermuteten Reibungsverluste. Es gibt - weitgehend - gar nichts.

Man braucht keinen Nationalen Rat für kulturelle Bildung (wie von der Mercator-stiftung und der Kultusministerkonferenz im November 2012 ausgerufen), man braucht keine atemlosen Kurzzeitprojekte wie "Jedem Kind ein Instrument" oder "Kultur macht stark" oder "Kulturagenten" oder Bildungspakete, die nicht ausreichend genutzt werden.

Man kann das Geld anders nutzen und auf eine tatsächlich integrierte Bildungs- und Kulturpolitik bauen. Man braucht eine ruhige, gelassene und belastbare politisch-gesellschaftliche Verständigung über die Rolle von Texten, Bildern, Tönen im Bildungsprozess und dessen Institutionen, ohne in jeder Sonntagsrede dazu den Nutzen der Musik oder Malerei für die Ingenieursausbildung zu erklären.

Denn spätestens dann müsste man auch erklären, warum die bildungspolitischen Voraussetzungen für die Entwicklung des Nutzens abgeschafft werden, im gleichen Atemzug aber ein diffuses Kulturverständnis die Bildung ersetzen soll.

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