Kritik an erster staatlicher Waldorfschule:Steiner vom Staat

Kritik an erster staatlicher Waldorfschule: Von vielen belächelt: Zum Konzept von Waldorfschulen gehört auch Unterricht in Eurythmie, einer Tanzform.

Von vielen belächelt: Zum Konzept von Waldorfschulen gehört auch Unterricht in Eurythmie, einer Tanzform.

(Foto: lkn)

In Hamburg-Wilhelmsburg soll die erste staatliche Waldorfschule entstehen - ein Versuch, Kinder aus bildungsnahen und -fernen Familien gemeinsam zu unterrichten. Kritiker warnen: "Mit Esoterik löst man keine sozialen Probleme."

Von Jonas Schaible

Wenn André Sebastiani in letzter Zeit zu Hause in Bremen vor seinem Computer saß, tat er etwas, das für einen Lehrer eher ungewöhnlich ist: Er versuchte, eine Grundschule zu verhindern. Noch dazu eine im 100 Kilometer entfernten Hamburg. Denn dort, im Stadtteil Wilhelmsburg, soll kommendes Jahr die erste staatliche Schule entstehen, in der nach Grundsätzen der Waldorfpädagogik unterrichtet wird.

Normalerweise sind Waldorfschulen privat, sie bekommen wie andere Privatschulen einen Großteil ihres Etats aus staatlichen Zuschüssen, finanzieren sich aber zum Teil auch aus Schulgeld. So soll es auch bleiben, findet Sebastiani. Er ist Mitglied bei der Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften (GWUP), einem Skeptikerverband, der gegen "Esoterik und Aberglauben" kämpft.

Das Hamburger Projekt ist für den Aktivisten ein "Angriff auf die Wissenschaft". Denn die Waldorfpädagogik fuße auf der Anthroposophie Rudolf Steiners, und die sei völlig unwissenschaftlich - so etwas dürfe der Staat nicht in seinen Schulen vermitteln.

Kritiker halten Steiners Ideen für widerlegt

Die Anthroposophie als Lehre vom Menschen wendet sich explizit gegen den Materialismus der modernen empirischen Wissenschaften. Dazu gehört unter anderem die Vorstellung Steiners, der Mensch entwickele in sogenannten Jahrsiebten einzelne "Wesensglieder": In den ersten sieben Jahren bilde sich der physische Leib; Kinder in diesem Stadium sollen vor allem durch Nachahmung lernen. In den nächsten Jahren entwickle sich der Ätherleib, anschließend der Astralleib. Erst dann sei das Ich herausgebildet.

Kritiker halten diese Ideen Steiners für ebenso widerlegt und unvereinbar mit wissenschaftlichen Erkenntnissen wie seine Annahme, es gebe Geisterwesen und Reinkarnation - oder seine Behauptung, er habe sein Wissen teilweise durch eine Art Hellsehen gewonnen.

Daher hat Sebastiani eine Online-Petition gestartet, in der er fordert, den Schulversuch zu stoppen. Mehr als 1150 Unterzeichner aus ganz Deutschland hat er bislang zusammenbekommen. Im Frühjahr soll die Liste an den Hamburger Bildungssenator Ties Rabe (SPD) übergeben werden.

Und dann? "Dann hoffen wir, dass Rabe die Entscheidung noch einmal überdenkt."

Das allerdings ist unwahrscheinlich. Es war schließlich die Schulbehörde selbst, die das Projekt anleierte. Die Stadt wolle durch den Schulversuch verhindern, dass sich die soziale Segregation verschärfe, begründet der Sprecher des Senators den Schritt.

Wie viel Waldorf steckt in der neuen Schule?

Wie kürzlich eine Studie aus Berlin zeigte, schicken bildungsbewusste Eltern ihre Kinder ungern auf staatliche Schulen im eigenen Viertel, wenn sie dort ein schlechtes Lernumfeld erwarten. Das ist vor allem dann der Fall, wenn der Ausländeranteil hoch ist. In Wilhelmsburg hat fast ein Drittel der Einwohner keinen deutschen Pass, etwa drei Viertel der Minderjährigen haben einen Migrationshintergrund. Waldorfschulen sind im Bildungsbürgertum dagegen oft durchaus beliebt.

"Man hat uns deshalb relativ deutlich gesagt, dass unsere Schule in Wilhelmsburg unerwünscht ist", sagt Christine Leiste, Leiterin der Initiative Interkulturelle Waldorfschule, die ursprünglich eine normale Waldorfschule aufbauen wollte. Einen Waldorfkindergarten gibt es schon, er sollte um eine Schule erweitert werden. Dann erreichte sie das überraschende Angebot der Stadt, mit der Grundschule Fährstraße in Wilhelmsburg zusammenzuarbeiten, die der Schulbehörde zufolge auch wegen ihres "niedrigen Sozialindex" ausgewählt wurde. Die Initiative willigte ein, auch das Kollegium der Fährstraße stimmte mehrheitlich für den Schulversuch.

Wie genau die Klassen zwischen Lehrern mit und ohne Waldorfausbildung aufgeteilt und welche Elemente der Waldorfpädagogik übernommen werden sollen, ist momentan unklar. Mindestens bis Ende März laufen die Verhandlungen noch. Über Details schweigen die Beteiligten. Klar ist aber: Die Vorstellungen gehen auseinander.

An der Anthroposophie scheiden sich die Geister

Geht es nach der Schulbehörde, wird das Ergebnis keine echte Waldorfschule sein. Offiziell heißt es jedenfalls, man wolle nur die "allgemein akzeptierten Elemente" der Waldorfpädagogik übernehmen, etwa viel Musik und Kunst, keine Noten oder Fremdsprachen schon in unteren Klassenstufen. Ähnlich sieht es auch Christine Leiste, die sich pragmatisch gibt: "Alles, was nichts mit konkreter Pädagogik zu tun hat, muss man nicht unbedingt haben", sagt sie - etwa Anthroposophie.

Das sieht der Bund der Freien Waldorfschulen anders. Er entscheidet, ob eine Schule den Namen "Waldorf" tragen darf, und war an den Gesprächen mit der Stadt beteiligt. Wer an einer Waldorfschule unterrichte, müsse sehr wohl über Anthroposophie Bescheid wissen, findet Henning Kullak-Ublick, Sprecher des Waldorfbundes. Man gehe zudem davon aus, dass in Hamburg eine echte Waldorfschule entstehe - nur eben voll vom Staat finanziert.

Aktivist Sebastiani sieht sich dadurch bestätigt. Er hält es für unmöglich, die Waldorfpädagogik von ihren anthroposophischen Grundlagen zu trennen, wie es der Stadt offenbar vorschwebt. Und er warnt, eine staatliche Waldorfschule könne wissenschaftlich zweifelhafte Inhalte an Schulen salonfähig machen. Auch wenn er das Anliegen der Stadt für nachvollziehbar hält, bleibt er dabei: "Mit Esoterik löst man keine sozialen Probleme."

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