Islamischer Religionsunterricht in Deutschland:"Für mich ist das eine Selbstverständlichkeit"

Unterrichtsfach Islamkunde

Wie Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen wird künftig auch das Saarland islamischen Religionsunterricht anbieten.

(Foto: AP)

In vielen deutschen Großstädten werden derzeit - immer wieder montags - diffuse Ängste vor dem Islam geschürt. In Deutschlands Schulen dagegen geht man seit Jahren auf muslimische Schüler zu und ermöglicht ihnen, sich im Rahmen des Unterrichts mit ihrer Religion auseinanderzusetzen. Auch im Saarland startet vom kommenden Schuljahr an ein Modellversuch mit islamischem Religionsunterricht. Ulrich Commerçon (SPD), Minister für Bildung und Kultur, erklärt im Interview, was er sich davon erwartet.

Interview von Matthias Kohlmaier

SZ.de: Herr Commerçon, Sie werden im Saarland ab dem kommenden Schuljahr den Ethikunterricht ausweiten und zudem islamischen Religionsunterricht anbieten. Sind die Pläne eine direkte Reaktion auf die Pegida-Demonstrationen?

Ulrich Commerçon: Nein, als Reaktion ist das nicht zu verstehen. Durch die traurigen Ereignisse in Paris, aber auch die angesprochenen Demonstrationen in deutschen Großstädten, bekommt das Thema nur leider eine große Aktualität. Die Planungen für die Ausweitung unseres Unterrichtsangebots laufen schon seit etwa zwei Jahren.

Was erhoffen Sie sich von dem Schritt?

Wir haben immer mehr Schülerinnen und Schüler, die keiner christlichen Konfession oder auch überhaupt keinem Bekenntnis angehören. Da der Ethikunterricht bisher im Saarland erst ab der neunten Klasse beginnt, entsteht eine Lücke in der Wertevermittlung. Die müssen wir schließen. Künftig kann es schon ab der fünften Klasse Ethikunterricht geben. Zusätzlich wollen wir auch muslimischen Kindern ein Angebot machen und starten daher einen Modellversuch mit islamischem Religionsunterricht.

Man beobachte ein "steigendes Interesse am Fach Ethik", heißt es in einer Mitteilung Ihres Ministeriums. Hat sich im weitgehend katholischen Saarland so viel verändert?

Immer mehr Kinder melden sich vom Religionsunterricht ab. Über die Gründe kann ich allerdings nur spekulieren. Die weitaus größere Zahl der potenziellen Schülerinnen und Schüler für Ethik stellt aber die ständig wachsende Gruppe der konfessionslosen Kinder dar. Bereits jetzt bieten viele weiterführende Schulen Werteunterricht als Arbeitsgemeinschaft an, den bis zu 14 Prozent der Jugendlichen wahrnehmen.

Was machen denn derzeit die Schüler der fünften bis achten Klassen, die weder in den katholischen noch in den evangelischen Religionsunterricht gehen können oder wollen, während dieser Unterricht stattfindet?

Einige haben unterrichtsfrei, in anderen Schulen werden AGs oder Förderstunden angeboten. Schon vor diesem organisatorischen Hintergrund war es zwingend nötig, etwas zu verändern.

"Unterrichtssprache wird Deutsch sein"

Wie weit sind die konzeptionellen Vorbereitungen für den geplanten islamischen Religionsunterricht gediehen?

Eine Arbeitsgruppe, der Vertreter der Landesregierung und der islamischen Verbände angehören, arbeitet derzeit die letzten Details des Konzepts aus. Was ich schon sagen kann: Der Modellversuch im Saarland beginnt im kommenden Schuljahr in der ersten Klasse, Unterrichtssprache wird Deutsch sein. An wie vielen Grundschulen wir starten, wird erst entschieden, wenn die konkreten Anmeldezahlen feststehen.

Was erwarten Sie sich von der Einführung eines Religionsunterrichts speziell für Muslime?

Natürlich wünsche ich mir, dass muslimische Kinder die Möglichkeit haben, sich im schulischen Unterricht mit ihrer Religion zu befassen. Zum einen begegnen wir damit den vielfältigen Lebenswelten in unseren Schulen. Zum anderen halte ich das für die Suche eines jungen Menschen nach der eigenen Identität für essenziell, genauso wie die Werteerziehung, die Religionsunterricht leisten soll. Vielleicht am wichtigsten finde ich aber, dass Angehörige einer Religionsgemeinschaft wie dem Islam schlicht Anspruch darauf haben, einen solchen Unterricht zu bekommen.

Soll der Unterricht auch ein Verständnis für den Islam jenseits der Pegida-Parolen liefern?

Ich würde das ungern daraus ableiten. Wir haben im März 2013 mit der Entwicklung angefangen, und der Anlass waren damals nicht irgendwelche Demonstrationen oder Terroranschläge. Muslimische Verbände sind auf uns zugekommen und wir haben gleich gesagt: "Lasst uns darüber reden und etwas ausarbeiten." Es wäre für mich auch nie infrage gekommen, den islamischen Religionsunterricht nicht anzubieten, weil Menschen Terroranschläge begehen und sich dabei auf den Islam berufen.

Islamischer Religionsunterricht als Integrationsangebot?

Mit dem Wort "Integration" tue ich mich in dem Zusammenhang schwer. Teilhabe ist vielleicht der bessere Begriff. Wir müssen diese Kinder nicht integrieren, die sind zum allergrößten Teil hier aufgewachsen. Ich will muslimischen Schülerinnen und Schülern einfach nicht mehr sagen müssen: "Während die anderen Religionsunterricht haben, gehst du schon nach Hause oder musst dich bei den katholischen oder evangelischen Schülern dazusetzen." Für mich ist das eine Selbstverständlichkeit, muslimischen Kindern dieses Angebot zu machen.

Wie sollen die Schulen den neu geplanten Unterricht stemmen? Werden dafür neue Lehrer eingestellt?

Bezüglich Ethik werden wir versuchen, das gemeinsam mit den Schulen aus dem aktuellen Lehrkräftebestand zu realisieren. Da der Modellversuch für islamischen Religionsunterricht erst mal aufsteigend von der ersten Klasse an läuft, dürfte der Personalbedarf dafür überschaubar sein. Allzu viele geeignete Lehrkräfte stehen ohnehin nicht zur Verfügung, hier werden wir uns noch mit den islamischen Verbänden abstimmen müssen.

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