Internate mit Geschlechtertrennung:Sittenstreng und weltfremd?

Sie sind selten, aber noch nicht von der Bildfläche verschwunden: Internate mit Geschlechtertrennung. Oft sind sie aus historischen Gründen noch da - aber es gibt auch gute Gründe für diese Art der Ausbildung.

Nicole Grün

Stefanie Meisch berät Eltern und Kinder, die nach einem passenden Internat suchen. "Wenn ich dann ein reines Jungen- oder Mädchen-Internat vorschlage, verdrehen die Schüler meist die Augen", sagt die Mitarbeiterin der Euro-Internatsberatung in München. "Geschlechtertrennung wirkt auf sie weltfremd, arg sittenstreng und nicht zeitgemäß."

Ungefähr fünf Prozent der 250 deutschen Internate sind reine Jungen- oder Mädchen-Heime, schätzt Meisch. Doch obwohl viele Wissenschaftler der Meinung sind, getrenntes Lernen bringe keine Vorteile, halten die meist kirchlichen Einrichtungen an der Geschlechtertrennung fest. Wer dahinter eine Verschwörung eiserner Verfechter der Monoedukation vermutet, irrt in den meisten Fällen.

"Dass wir ein reines Jungeninternat führen, hat historische Gründe", meint Frater Michael Schmalzl, der Leiter des Maristeninternats in Mindelheim. Und Ulrich Starrock vom Internat Heilig Kreuz in Donauwörth sagt: "Unser Jungen-Internat ist tief in der Region verwurzelt und hat einen guten Ruf. Für uns gibt es keinen Grund, etwas zu ändern." In beiden Orten ließen sich einst ein Schwestern- und ein Bruderorden nieder, die in den jeweils angeschlossenen Internaten ihren Nachwuchs heranzogen.

Dabei hätte Frater Michael Schmalzl gegen eine weibliche Note in seinem Internat nichts einzuwenden: "Der Ton und der Umgang können im reinen JungenInternat schon rau sein, die Anwesenheit von Mädchen würde das wohl auflockern." Als das Mindelheimer Maria-Ward-Internat für Mädchen im Begriff war, seine Pforten zu schließen, bot Schmalzl daher an, den heimatlosen Schülerinnen in sein Jungen-Internat aufzunehmen - auch wenn das zusätzliche Verantwortung bedeutet hätte.

"Ich müsste aufpassen, dass nichts anbrennt, wenn Mädchen und Jungen im gleichen Haus übernachten. Eltern müssen das auch, aber die haben eben nur zwei Kinder im Haus und ich hundert", sagt Schmalzl. Eine Schülerin beherbergte sein Internat vorübergehend, und dabei wurden dem Ordensbruder noch ganz andere Probleme bewusst. "Als ich die 18-Jährige herumführte und ihr die Fußballplätze, unsere Jugendfeuerwehr, die Modelleisenbahn und den Boxraum zeigte, fragte sie verschmitzt: Und wo sind die Ponys? Da merkte ich, dass wir eben doch ein Jungen-Internat sind."

Das benachbarte Mädchen-Internat wurde schließlich doch weitergeführt, und Schmalzl ist immer noch von jugendlichem Testosteron umgeben, obwohl er nach wie vor gerne eine zusätzliche Mädchengruppe hätte. "Dann müssten wir für die Freizeitgestaltung aber eine größere Differenzierung anbieten", sagt er.

Mädchen sind anspruchsvoller

"Jungs sind in Horden zu beschäftigen, am liebsten auf Fußballfeldern. Mädchen sind da viel anspruchsvoller", sagt Schwester Maria Michaela Metz. Die Geschichtslehrerin unterrichtete sowohl an einer gemischten als auch an einer Jungenschule und ist seit 20 Jahren Leiterin des katholischen Mädchen-Internats Sankt Theresien im nordrhein-westfälischen Schönenberg. Bei ihrem Wechsel habe sie gestaunt, wie anders die Bedürfnisse von Jungen und Mädchen seien. Der Bewegungsdrang der Jungs sei viel größer, meint Metz, was sie auch daran gemerkt habe, dass an der Knabenschule ständig etwas in die Brüche gegangen sei.

Jungen müsse man anders beschäftigen, sagt Metz und bestätigt mit ihren Beobachtungen sämtliche Klischees von Geschlechterrollen, gegen die Feministen seit Jahrzehnten auf die Barrikaden gehen: "Nichts ist schlimmer, als wenn sie sich an die Mädchen anpassen und schön brav auf ihrem Platz sitzen müssen, anstatt sich austoben zu dürfen." In Geschichte interessierten sich die Jungen für die Schlachtenordnung und Kriegsführung, "was Mädchen furchtbar langweilt". Diese lernten besser, wenn es um das Leben und die Liebesgeschichten großer Persönlichkeiten gehe. "Da muss man anders vorgehen, sie anders ansprechen - auch im Unterricht", sagt Metz.

Dieser Meinung ist auch der Diplom-Sozialpädagoge Gerhard Scholze. Der Leiter des Mädcheninternats Maria Ward in Mindelheim sieht vor allem die Jungen benachteiligt. "Sie lernen am besten über die praktische Schiene, das Ausprobieren. Doch der Schulstoff wird meistens in der Theorie vermittelt, da haben die Mädchen Vorteile." An getrennten Schulen könne das Unterrichtsangebot viel besser auf die Geschlechter abgestimmt werden, deren Gehirne auch unterschiedlich strukturiert seien.

Michael Schmalzl, der Leiter des Mindelheimer Jungeninternats, meint dagegen, dass vor allem Mädchen von der Monoedukation profitieren: "In den Sprachen werden die Mädchen von den Jungs eher gebremst. Und in den Naturwissenschaften, wo in der Regel die Jungs punkten, bekommen sie im getrennten Unterricht mehr Selbstvertrauen."

Lernen ohne Hindernisse

Das bestätigte vor einigen Jahren eine Studie über Studienanfänger an deutschen Hochschulen. Die Forscher stellten fest, dass überproportional viele Studienanfängerinnen in Fächern wie Informatik und Chemie von reinen Mädchenschulen kamen. Andere Wissenschaftler sehen hingegen keine eindeutigen Vorteile in der Monoedukation: Studien aus den USA, Kanada, Großbritannien und Australien lieferten keine Belege dafür, dass die schulischen Leistungen in Single-Sex-Klassen besser wären. Stattdessen deuten die Untersuchungen darauf hin, dass durchgetrennten Unterricht Geschlechtsstereotypen ausgebaut würden und es Jungen und Mädchen schwerer falle, das gemeinsame Zusammenleben zu lernen.

Über einen Vorteil besteht in den reinen Mädchen- oder Jungeninternaten Konsens: Die Schüler werden nicht so stark vom anderen Geschlecht abgelenkt. "Diese ganzen Beziehungskisten fallen weg, das bringt Ruhe rein", sagt Gerhard Scholze vom Maria-Ward-Internat. "Es heißt nicht mehr: Die blöden Weiber, die doofen Jungs. Es gibt weniger Ablenkungen und Eifersüchteleien", bringt Schwester Maria Michaela Metz ihre Erfahrungen auf den Punkt. Die Verfechterin der Monoedukation geht noch weiter: An gemischten Schulen werde durch die ständige Anwesenheit von Jungen gar die Persönlichkeitsentwicklung der Mädchen gehemmt.

Ulrich Starrock, Internatsleiter des Knabeninternats Heilig Kreuz in Donauwörth, sieht die Debatte um reine Mädchen- oder Jungeninternate gelassener: "Es spricht etwas dafür, es spricht etwas dagegen - jeder möge sich heraussuchen, was ihm gefällt."

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