Inklusion statt Förderschule:Wann gemeinsames Lernen sinnvoll ist

Schüler mit Behinderungen sollen gleichberechtigt lernen dürfen. Also sollten sie auch in regulären Schulklassen integriert werden? Doch was ist mit den Förderschulen? Wann können sie sinnvoller als Inklusion sein? Ein Überblick.

Sabrina Ebitsch

Über das Thema Inklusion wird seit Jahren diskutiert - insbesondere seit Inkrafttreten der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen 2009. Darin ist die gleichberechtigte Teilhabe von behinderten Menschen am gesellschaftlichen Leben festgeschrieben - und damit auch das Recht auf gemeinsam Erziehung.

In Deutschland hat dies angesichts eines stark gegliederten Schulsystems mit einer großen Verbreitung von Förderschulen - immerhin gehen im OECD-Durchschnitt 85 Prozent der behinderten Kinder auf Regelschulen, in Deutschland nicht einmal ein Viertel - zu einer Debatte über die Aufnahme behinderter Kinder und Jugendlicher an Regelschulen geführt. Hoch umstritten bleibt das Thema bis heute - auch unter Pädagogen und Eltern.

Auf der einen Seite wird das Konzept Förderschule als diskriminierend und stigmatisierend verurteilt, weil es Kinder separiert und ausschließt. "Das Inklusionskonzept zwingt die Schulen, junge Menschen endlich individuell nach ihren Möglichkeiten zu fördern. Die Schule muss sich an die Kinder anpassen, nicht die Kinder an die Schule", sagt Marianne Demmer, Leiterin des Vorstandsbereichs Schule der Gewerkschaft Erziehung und Wissen.

Die Befürworter von Inklusion verweisen auch darauf, dass behinderte Kinder in ihrer Leistungsfähigkeit profitieren - denn sie lernen nicht nur von der Tafel und den Lehrern, sondern auch von ihren Klassenkameraden. Förderschulen können da hemmend wirken und sind vielfach eine Sackgasse, an deren Ende auch sehr negative Berufsaussichten stehen.

Die Leistungen von Förderschülern entwickelten sich ungünstiger, je länger sie auf der Förderschule seien, heißt es in einer Studie des Bildungsforschers Klaus Klemm für die Bertelsmann Stiftung. "In Deutschland schafft nur ein Bruchteil der Förderschülerinnen und -schüler den Sprung zurück auf eine allgemeine Schule." Mehr als drei Viertel machen nicht einmal einen Hauptschulabschluss.

Und auch die Kinder ohne Behinderung profitierten von der Inklusion im Bereich der Sozialkompetenz, während sie fachlich keine Nachteile hätten. Gewerkschafts-Vertreterin Demmer betont außerdem, dass bei einem Anteil von sechs bis sieben Prozent behinderter Kind pro Jahrgang nicht einmal in jede Klasse eines integriert werden müsste. "Es gibt bereits viele Beispiele von Schulen, wo das problemlos läuft."

Wann Inklusion nicht der optimale Weg ist

Einig ist man sich mittlerweile, dass Inklusion grundsätzlich wünschenswert ist - der Weg dahin allerdings ist nicht ohne Schwierigkeiten. Denn ein ganzes Bildungssystem muss neu strukturiert werden, Schulen umgebaut und besser ausgestattet, Lehrer fortgebildet und vor allem viel Geld investiert werden. Kleinere Klassen und intensive Betreuung durch Fachkräfte in den Regelschulen sind Voraussetzung.

Behinderte Schüler hätten ein Recht auf Inklusion und dies sei auch das Ziel, betont Josef Kraus, Präsident des Deutschen Lehrerverbands, fordert aber zugleich aber eine stärkere Differenzierung. "Es gibt Formen von Beeinträchtigungen, wo Inklusion nicht unbedingt der optimale Weg ist." Bei körperlichen Behinderungen oder Sinnesschädigungen könne man etwa bauliche oder technische Lösungen finden und auch bei Lernbehinderungen gebe es mit entsprechender Betreuung und Förderung kaum Probleme.

"Schwieriger ist es wahrscheinlich bei Verhaltensauffälligkeiten und kognitiven Beeinträchtigungen", sagt Kraus. Hier seien auch Eltern teils der Meinung, dass ihre Kinder in einer auf ihre Bedürfnisse zugeschnittenen Schule optimal gefördert würden und Integration in eine Regelklasse eher kontraproduktiv sei.

Viele Eltern schätzen den Schonraum Förderschule, der ihrem Kind auch Schutz und Stabilität bietet, während der Vergleich mit nichtbehinderten Kindern auch als demotivierend erlebt werden kann. Solange Inklusion die Ausnahme ist und nicht die Regel, kann sie für manche behinderte Kinder auch belastend sein.

Entscheidend müssen letztlich die individuelle Situation und das Wohl des jeweiligen Kindes sein. "So viel Integration wie möglich, so viel Differenzierung wie nötig", fordert Kraus daher.

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