Studium:Wie transparent müssen Unis mit Geschenken umgehen?

Studium: Die Kooperation zwischen der Stiftung des Lidl-Gründers Dieter Schwarz und der TU München (rechts unten Präsident Wolfgang Herrmann) dürfte die größte sein, die es in Deutschland bislang gegeben hat.

Die Kooperation zwischen der Stiftung des Lidl-Gründers Dieter Schwarz und der TU München (rechts unten Präsident Wolfgang Herrmann) dürfte die größte sein, die es in Deutschland bislang gegeben hat.

(Foto: Matthew Lloyd/Bloomberg, Stephan Rumpf, Florian Peljak)

Kooperationen zwischen Wirtschaft und Wissenschaft gibt es häufig, zuletzt spendierte die Lidl-Stiftung der TU München Professuren im Wert von mehr als 100 Millionen Euro. Kritiker fürchten um die Unabhängigkeit der Forschung.

Von Paul Munzinger

Zwanzig neue Professuren, geschenkt, und zwar nicht nur für ein paar Jahre, wie sonst üblich, sondern für Jahrzehnte: Der Deal, den die Technische Universität München und die Stiftung des Lidl-Gründers Dieter Schwarz kurz vor Weihnachten vereinbart haben, dürfte die größte Kooperation zwischen einer Hochschule und einem privaten Stifter sein, die es in Deutschland bislang gegeben hat. Das geschätzte Gesamtvolumen liegt weit jenseits der 100 Millionen Euro. Ein Coup, ohne Zweifel. Fragt sich nur, für wen: für die Uni? Für Lidl? Für alle Beteiligten?

Mit Wucht wirft der Deal Fragen auf, die im Hochschulkosmos seit Jahren diskutiert werden: Erkaufen sich Unternehmen mit Sponsoring, Stipendien und Stiftungsprofessuren Einfluss auf die Forschung, deren Freiheit sogar in der Verfassung steht?

Grundsätzlich sind Kooperationen zwischen Wissenschaft und Wirtschaft nicht anrüchig, sondern wünschenswert - darin sind sich Kritiker wie Befürworter einig. Die entscheidende Frage lautet, wie die Zusammenarbeit geregelt ist. Sind die Rollen klar verteilt: die Unternehmen und Stiftungen als Geldgeber - die Hochschulen als souveräne Herren der Forschung? Hier wird es schwierig. Denn die Antwort auf diese Frage kennen in aller Regel nur die Geldgeber und die Hochschulen selbst.

Kommt alles wie geplant, dann wird die Stiftung des Lidl-Gründers bald mehr als jeden dritten Wirtschaftsprofessor an der TU bezahlen. 13 von ihnen werden in Heilbronn arbeiten, in der Nähe des Firmensitzes. Dass da Bedenken aufkommen, findet ein TU-Sprecher verständlich. Zerstreuen will die Uni die Bedenken mit dem 68 Seiten schweren Verhaltenskodex, der Wirtschafts- und Forschungskooperationen regelt, Grundsätze formuliert, Musterverträge präsentiert. Die Forschungsfelder lege man mit der Stiftung gemeinsam fest, die konkrete Forschungsarbeit liege allein in der Hand der Professoren - und in deren Besetzung lasse man sich nicht hineinreden. Es handle es sich um eine Zusammenarbeit ohne Gegenleistung.

Bei allem Bemühen um Transparenz: Die konkreten Vereinbarungen, die sie mit Stiftern aushandelt, legt die TU nicht offen - so wie fast alle anderen deutschen Universitäten auch: Die Offenheit endet da, wo es um die konkreten Verträge geht. "Bei Forschungskooperationen sind oft sensible Daten im Spiel", sagt Horst Hippler, Präsident der Hochschulrektorenkonferenz (HRK). "Im Sinne einer vertrauensvollen Zusammenarbeit ist es absolut nachvollziehbar und auch rechtmäßig, dass Verträge und Inhalte nicht en détail veröffentlicht werden." Das geplante Abkommen zwischen der TU München und der Dieter-Schwarz-Stiftung sei "aufgrund des Umfangs herausragend, aber nicht einzigartig". Hippler verweist etwa auf das privat finanzierte Hasso-Plattner-Institut, das an die Universität Potsdam angeschlossen ist und ein "Erfolgsmodell" sei. Solange die Hochschulen bei Methodenwahl, Publikationsverfahren und Personalentscheidungen das letzte Wort hätten, sei die Freiheit der Forschung nicht in Gefahr.

Gefährlich fände es Hippler dagegen, Kooperationen zwischen Wirtschaft und Hochschulen "unter einen Generalverdacht zu stellen". 1,4 Milliarden Euro haben deutsche Unternehmen 2015 in Hochschulen gesteckt, dazu kommen noch einmal etwa 470 Millionen aus privaten Stiftungen. Das entspricht etwas mehr als einem Zehntel aller Forschungsausgaben der Hochschulen. Im internationalen Vergleich, sagt Hippler, sei das eher wenig.

"Wir sind keine Partner auf Augenhöhe mehr"

Vor einer "falschen öffentlichen Wahrnehmung" warnt auch der Stifterverband für die deutsche Wissenschaft, der etwa 3000 Unternehmen vertritt. Im November legte der Verband eine Studie vor, der zufolge die Universitäten zwar immer mehr Geld selbst einwerben müssen, der Anteil öffentlicher Gelder aber weit stärker gestiegen sei als jener aus der Wirtschaft. 2015 hätten die Unternehmen sogar weniger Geld in die Hochschulen gesteckt, zum ersten Mal seit mehr als 20 Jahren. Ein Grund: zu restriktive Transparenzgesetze, die einige Bundesländer, darunter Bremen, zuletzt verabschiedet hätten. Es reiche völlig aus, wenn die Hochschulen ihre Vertragsprinzipien offenlegten - so wie die TU München.

Anderen reicht das nicht. Die bayerische Grünen-Landtagsabgeordnete Verena Osgyan forderte kürzlich ein bayernweites Transparenzregister für Stiftungsprofessuren. So solle "Schattenforschung im Sinne einzelner Konzerne oder Lobbygruppen" vermieden werden. Bernhard Kempen, Präsident der Professorenvereinigung Deutscher Hochschulverband (DHV), findet, dass die TU und die Stiftung ihren fertigen Kooperationsvertrag "der Öffentlichkeit umfassend zugänglich" machen sollten. "Nur so kann Vertrauen entstehen."

Das sieht auch Arne Semsrott so: Öffentliche Hochschule seien der Allgemeinheit "in bestimmten Bereichen rechenschaftspflichtig". Semsrott leitet das Online-Portal Hochschulwatch, das Transparency International, die Tageszeitung und der Freie Zusammenschluss von Studentinnenschaften (FZS) vor vier Jahren gegründet haben. Die Seite sammelt Daten, die Geldströme zwischen Wirtschaft und Wissenschaft, aber auch strukturelle Verbindungen offenlegen sollen wie etwa bei den Hochschulräten; in der TU München gehören dem Gremium auch die Vorstandsvorsitzenden von Siemens und BMW an.

Er vermute, sagt Semsrott, "dass es Usus ist, dass Unternehmen bei der Berufung von Professoren eine Vetomacht haben oder zumindest in der Findungskommission sitzen". Den Beweis hat er nicht - weil er in der Regel die Verträge nicht kennt. Anlass zum Misstrauen aber gibt es immer wieder, den jüngsten lieferten die Uni Mainz und die Boehringer-Ingelheim-Stiftung, die dem gleichnamigen Pharma-konzern nahesteht. Größenordnung der Kooperation: etwa 150 Millionen Euro. Von "reinem Mäzenatentum" sprach die Uni, doch der Vertrag, den Journalisten letztes Jahr einsehen konnten, sprach eine andere Sprache. Darin behielt sich die Stiftung unter anderem ein Mitspracherecht bei Personalfragen und Veröffentlichungen vor.

Auch Christian Kreiß, Professor für Volkswirtschaft an der Hochschule Aalen, klagte damals auf Einsicht in den Vertrag - und verlor. Doch die Forderung nach größtmöglicher Transparenz geht für Kreiß ohnehin am Kernproblem vorbei. Denn der Einfluss der Wirtschaft sei nicht in Verträgen festgeschrieben. Er beruhe auf der "inneren Dankbarkeit" des Beschenkten. Darauf, dass sich unbequeme Kandidaten gar nicht erst auf Stiftungsprofessuren bewerben würden. Darauf, dass Geldgeber bestimmen, was erforscht wird - und was nicht. So fragt sich Kreiß, welchen Stellenwert Themen wie Öko-Lebensmittel, die Einkaufsmacht von Discountern gegenüber Landwirten oder die Arbeitsbedingungen der Angestellten künftig an der TU München einnehmen würden. "Wie würde die Öffentlichkeit reagieren auf 20 Stiftungsprofessuren von Ferrero oder Philip Morris für die Ernährungswissenschaft?"

TU München weist Bedenken zurück

Kreiß ist überzeugt von einer zunehmenden Ökonomisierung der Wissenschaft. Aus Sorge um seine Unabhängigkeit als Forscher habe er 2004 eine von einer Unternehmensberatung bezahlte Professur abgelehnt. 2015 veröffentlichte er das Buch "Gekaufte Forschung". Kreiß betont, dass er kein Problem darin sieht, wenn Wissenschaft und Wirtschaft sich zusammentun - solange dies auf Augenhöhe geschieht. Doch das sei nicht mehr der Fall. "Das Machtgefüge hat sich in den letzten 25 Jahren brutal zugunsten der Geldseite verschoben. Wir sind keine Partner auf Augenhöhe mehr. Wir sind nur noch Bittsteller." Für Kreiß ist das Abkommen zwischen der Dieter-Schwarz-Stiftung und der TU München daher ein "Meilenstein" - in die falsche Richtung.

Die TU München weist derlei Bedenken zurück. Informelle Beeinflussung, vorauseilende Beschneidung der Forschungsfreiheit? "Das ist nicht unser Erfahrungswert", sagt der TU-Sprecher. Ließe man so etwas zu, verlören am Ende alle: die Stiftung die erstklassige Forschung, in die sie investiere - und die Uni ihren guten Ruf.

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