Grundschule:"Schulischer Erfolg hängt auch von den Eltern ab"

Ältester Kindergarten Deutschlands

Ab welchem Alter sollten sie spielerisch mit Mathematik konfrontiert werden? Kinder beim Mittagessen in einer Kindertagesstätte in Sachsen-Anhalt.

(Foto: dpa)

Welche Fähigkeiten brauchen Kinder, wenn sie eingeschult werden? Claudia Mähler hat untersucht, wie Eltern helfen können und was sie besser bleiben lassen.

Interview von Matthias Kohlmaier

Was muss ein Kind können, wenn es in die Schule kommt? Und wie können Eltern ihrem Nachwuchs dabei helfen, dass der Schulstart möglichst reibungslos klappt? Fragen, die viele Familien jährlich umtreiben. Claudia Mähler, Professorin für Pädagogische Psychologie und Diagnostik an der Universität Hildesheim, hat mit ihrem Kollegen Dietmar Grube aus Oldenburg 200 Kinder sieben Jahre lang begleitet und deren Entwicklung untersucht.

SZ.de: Frau Mähler, können Sie den späteren schulischen Erfolg von Kindergartenkindern präzise voraussagen?

Claudia Mähler: Nein, ganz sicher nicht. Aber wir haben in unserer Studie einige Faktoren untersucht, die zumindest eine Einschätzung möglich machen. Interessant wird es, wenn man die Unterschiede zwischen Kindern betrachtet.

Das müssen Sie genauer erklären.

Wir haben uns zum Beispiel die unterschiedlichen mathematischen Kenntnisse von Kindern im Alter von vier Jahren und dann noch mal am Ende des ersten Schuljahres angesehen. Die Unterschiede zwischen den Schülern sind in dieser Zeit überraschend stabil geblieben.

Voraussagen sind also nur mithilfe des Vergleichs der Kinder möglich?

Richtig. Wir können nicht ermitteln, inwiefern das Ergebnis in einer Mathematikarbeit eines einzelnen Kindes durch seine Vorkenntnisse, sein Arbeitsgedächtnis oder seine Intelligenz zustandekommt. Aber was wir sagen können: Die Unterschiede zwischen Kindern in der Mathematikarbeit zum Zeitpunkt X sind durch Unterschiede zwischen diesen Kindern zum Zeitpunkt Y erklärbar.

Wenn Kinder einmal einen Rückstand bei mathematischen oder sprachlichen Kompetenzen gegenüber Altersgenossen haben, können sie den noch aufholen?

Ja, natürlich! Trotzdem bleiben derlei Nachteile im frühen Kindesalter oft relativ stabil. Wir haben herausgefunden, dass etwa Unterschiede beim Arbeitsgedächtnis im Vorschulalter mit Wissensunterschieden in anderen Bereichen zusammenhängen. Anders gesagt: Die schwachen Kinder im Alter von vier oder fünf Jahren tun sich mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit auch später in der Schule schwerer.

Wie muss die vorschulische Bildung auf diese Erkenntnis reagieren? Was müsste in Kitas und Kindergärten anders laufen, um Lücken möglichst gar nicht entstehen zu lassen?

Wir dürfen uns nicht vorstellen, dass man, wenn man nur früh genug ansetzt, alle Kinder mit den gleichen Startchancen ausstatten kann - das ist völlig unmöglich. Heterogenität ist die Normalität und nicht die unerwünschte Ausnahme. Die Grundschule wird immer Bildungsunterschiede ausgleichen müssen, das ist ja auch ihre Aufgabe. Was man aber tun kann, ist die Chancenungleichheit im vorschulischen Bereich anzupacken. Vorkenntnisse in Mathematik sind zum Beispiel von massiver Bedeutung für die Matheleistungen im zweiten Schuljahr. Kinder sollten also, wenn sie in die Schule kommen, im wahrsten Sinne des Wortes mehr können als bis drei zu zählen.

"Man könnte mit entsprechendem Einsatz viel bewegen"

Erzieherinnen und Erzieher im vorschulischen Bereich stehen also in der Pflicht?

Absolut. Wir haben Kindertagesstätten verschiedene Rechenspiele sechs Wochen zur Verfügung gestellt. Die Betreuer haben mit den Kindern damit gespielt und auch protokolliert, wie häufig sie das getan haben. Nach den sechs Wochen haben wir im Vergleich zu einer Kontrollgruppe einen deutlichen Anstieg der numerischen Kompetenzen bei den Kindern beobachtet. Und dieser Vorteil war auch sechs Monate später noch messbar. Man könnte mit entsprechendem Einsatz also viel bewegen. Ich kann aber sehr gut verstehen, dass Erzieherinnen und Erzieher hier stöhnen und fragen, was sie denn noch alles in der knappen Zeit unterbringen sollen.

Der familiäre Background spielt gewiss auch eine Rolle.

Bildungsbürgerliche Familien spielen natürlich eher mit ihren Kindern Mensch-ärgere-dich-nicht oder ähnliche Lernspiele. Kinder aus Familien, bei denen das nicht die Regel ist - sei es, weil es die Eltern nicht leisten können oder unwichtig finden -, kommen dann mit deutlichen Nachteilen in die Schule. Schulischer Erfolg hängt definitiv auch davon ab, wie gut Kitas, Kindergärten und Eltern Kinder spielerisch auf die Schule vorbereitet haben.

Was sollen Eltern konkret tun, um ihre Kinder zu fördern?

Das Wort "sollen" klingt gleich wieder danach, als wollten wir die Leistungsgesellschaft vorantreiben. Als müssten Eltern Kinder auf etwas vorbereiten, was sie danach in der Schule erleiden müssen. Das ist nicht das Ziel! Eltern können und sollen Kindern Dinge nahebringen, die ihnen im späteren Leben - also auch in der Schule - helfen. Sie können mit recht geringem Einsatz, kleinen Lern- und Zählspielen im Alltag, dafür sorgen, dass Kinder nicht schon mit Rückstand gegenüber ihren Altersgenossen in die Schule kommen.

Für viele Kinder steht bald die Einschulung an. Deren Eltern sorgen sich oft, das eigene Kind könnte noch nicht so weit sein. Was muss ein Kind mitbringen, damit der Schulstart ohne Komplikationen klappt?

Eltern sollten ihren Kindern Lust am Lernen und der Schule vermittelt haben. Bloß nicht den Stress erhöhen - aus diversen Studien kenne ich Kinder, die schon mit Angst in die Schule kommen! Kinder sollen nicht das Gefühl haben, dass mit der Einschulung der Ernst des Lebens beginnt. Was Eltern beobachten und im Zweifel auch ein wenig fördern können: ob das Kind die Konzentration für eine Weile aufrechterhalten kann.

Meinen Sie damit eine Schulstunde über 45 Minuten?

Das ist schon sehr lang und wird auch zu Beginn in der ersten Klasse kaum nötig sein. Aber eine Konzentrationsspanne von 20 Minuten halte ich bei Sechsjährigen absolut für zumutbar und wünschenswert. Das lässt sich einfach trainieren. Zum Beispiel, indem angefangene Spiele auch zu Ende gespielt werden und nicht bei der ersten Ablenkung sofort etwas anderes gemacht wird. Das hat den positiven Nebeneffekt, dass auch die Frustrationstoleranz geschult wird.

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