Graduiertenschulen:Promovieren im Rudel

Lesezeit: 2 min

Mit der Dissertation im stillen Kämmerlein könnte es bald vorbei sein. Graduiertenschulen fördern Doktoranden im Kollektiv - zum Wohle der Forschung und zur Vernetzung der Wissenschaft.

Tanjev Schultz

Wenn Doktoranden, dem alten Ideal der Wissenschaft folgend, in "Einsamkeit und Freiheit" vor sich hin brüten, kann sie das in die Verzweiflung treiben. Allein in der Studierstube, an der langen Leine eines manchmal nur mäßig interessierten Betreuers, sind viele überfordert. Immer mehr Hochschulen reagieren darauf, indem sie ihre Doktoranden zusammenführen in eigenen Institutionen: sogenannten Graduiertenschulen (graduate schools). In ihnen wird das Promovieren zu einem Gruppenerlebnis. Es gibt Kolloquien, Kurse, gemeinsame Ausflüge und Feiern. Die Betreuung ist verbindlich geregelt, und die Kandidaten haben meist ein recht aufwendiges Bewerbungsverfahren hinter sich.

Benjamin Hilbig hat vor kurzem an der Graduiertenschule der Universität Mannheim seinen Doktor in Psychologie erworben, mit der Bestnote. Die Methoden-Kurse an der "Graduate School of Economic and Social Sciences" (GESS) empfand er als "wertvoll und inspirierend". In nur zwei Jahren konnte der heute 29-Jährige seine Arbeit abschließen, üblicherweise rechnen die Professoren mit einer Promotionsdauer von drei Jahren - was bereits ambitioniert ist.

Hilbig hat schon während der Promotionsphase Aufsätze publiziert, anschließend fand er gleich eine Stelle am Max-Planck-Institut in Bonn. An der GESS mochte der Nachwuchswissenschaftler, ein Experte für menschliche Entscheidungsprozesse, vor allem das internationale Flair: Englisch ist die Sprache aller Kurse und auch der Dissertation. Derzeit promovieren 119 Wirtschafts- und Sozialwissenschaftler an der GESS, mehr als jeder Fünfte kommt aus dem Ausland. Für die Doktoranden gibt es für begrenzte Zeit Stipendien, vom zweiten Jahr an verdienen viele ihr Geld durch Mitarbeit an den Lehrstühlen.

In anderen Ländern sind strukturierte Promotionsprogramme längst üblich; in den USA umfasst die grad school meist auch die Master-Studenten. In Deutschland gab es lange Zeit nur das Promovieren auf eigene Faust oder an einem Lehrstuhl. Schließlich kamen thematisch fokussierte und zeitlich begrenzte "Graduiertenkollegs" auf. Nach Angaben der Deutschen Forschungsgemeinschaft gibt es derzeit 229 solcher Kollegs auf unterschiedlichsten Gebieten, zum Beispiel in Berlin das Kolleg "Fluor als Schlüsselelement", in Bremen "Integrierte Küsten- und Schelfmeerforschung" oder in Aachen "Elementarteilchenphysik an der TeV-Skala".

Fachliche Kurse im ersten Jahr

Graduiertenschulen sind dagegen thematisch breiter und zeitlich unbefristet angelegt. Die Exzellenzinitiative, ein von Bund und Ländern finanzierter Uni-Wettbewerb, hat ihre Ausbreitung sehr befördert: Insgesamt 39 Graduiertenschulen sind so entstanden, und es werden noch etliche mehr werden, wenn die Exzellenzinitiative im kommenden Jahr erneut startet. Die TU München hat bereits angekündigt, dass sie ihre Graduiertenschule stark erweitern wird.

Größe und Programm der Graduiertenschulen unterscheiden sich, aber typischerweise werden die Doktoranden vor allem in ihrem ersten Jahr in fachliche Kurse geschickt. In Bielefeld etwa müssen sie an der "Graduate School in History and Sociology" ein Theorie- und ein Methoden-Seminar belegen. Verpflichtend sind außerdem Kurse zu allgemeinen Kompetenzen (general skills), zum Beispiel zur Didaktik oder zum akademischen Schreiben.

Pflichtübungen sind problematisch

Manche Forscher halten solche Pflichtübungen für problematisch, denn Doktoranden sind ja eigentlich keine Studenten mehr. "Wir sind dankbar für Unterstützungsangebote, aber wir sind gegen eine Verschulung und gegen Pflichtprogramme", sagt Marcus Müller, Vorsitzender des bundesweiten Doktoranden-Netzwerks Thesis.

Benjamin Hilbig räumt ein, dass es belastend ist, wenn man zu viele Seminare belegen und darin sogar Prüfungen ablegen muss- "man hat ja immer die Dissertation im Genick." Und auch in Graduiertenschulen hängt wie bei einer isolierten Promotion vieles davon ab, wie produktiv das Verhältnis zu den Professoren ist. Zwar gibt es meist klare Verantwortlichkeiten, doch auch hier müssen sich die Kandidaten mit ihren Mentoren arrangieren. Das kann in Graduiertenschulen genauso schiefgehen; von den mitunter anstrengenden gruppendynamischen Prozessen mit den Co-Doktoranden einmal ganz abgesehen.

Der Ruf nach mehr Einsamkeit könnte lauter werden

Und so kann es sein, dass in Zukunft, wenn immer mehr Doktoranden das Kollektiv einer Graduiertenschule kennenlernen, plötzlich wieder laut der Ruf nach mehr "Einsamkeit und Freiheit" ertönt. Schon möglich, sagt Benjamin Hilbig, dass viele Studenten nach den verschulten Bachelor- und Master-Programmen wenigstens beim Promovieren ihre Ruhe haben wollen.

© SZ Uni&Job/holz - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: