Ganztagsbetreuung:Die Schule darf Kinder nicht bloß verwahren

Schulbeginn in Baden-Württemberg

Zwei Schülerinnen auf dem Heimweg.

(Foto: picture alliance / dpa)

Berufstätige Eltern dürfen von der Politik erwarten, dass ihre Kinder nachmittags betreut werden. Der geplante Rechtsanspruch darauf ist noch kein Grund zum Jubeln.

Kommentar von Susanne Klein

Kein Grundschüler sollte sich nachmittags um sich selbst kümmern müssen, nur weil seine Eltern beide arbeiten gehen. "Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung" nennen das die Jamaika-Sondierer in Berlin, und sie fordern ihn in seltener Einmütigkeit. Alles andere wäre auch realitätsfremd bis zur Peinlichkeit. 60 Jahre ist es immerhin her, dass der Pädagoge Otto Speck das Wort "Schlüsselkind" für Kinder prägte, die nach Schulschluss nicht mehr zu Hause erwartet wurden, weil ihre Mütter berufstätig waren.

Lange blieb der Begriff aktuell, auch wenn der Schlüssel nicht bei jedem Kind sichtbar an einer Schnur um den Hals baumelte. In den vergangenen 15 Jahren ist die Zahl der Ganztagsangebote für Grundschüler dann aber enorm gestiegen, jeder dritte Sechs- bis Zehnjährige wird inzwischen am Nachmittag im Hort oder in der Schule betreut. Und diese Möglichkeit sollen Eltern nach Absicht von Union, FDP und Grünen nun sogar einklagen können.

Es ist der logische nächste Schritt auf einem längst eingeschlagenen Weg: Seit 1996 existiert der Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz für über Dreijährige, seit 2013 das Recht der Kleinsten auf einen Krippenplatz. Zwar hinkte die Politik dem volkswirtschaftlichen und familiären Strukturwandel sträflich hinterher, ganz untätig blieb sie jedoch nicht.

Einen Ganztagsschulzwang darf es nicht geben

Die Frage, die sich die Möchtegern-Koalitionäre in Berlin nun stellen lassen müssen: Was ist ein Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung wert? Zunächst: Die Beaufsichtigung von Kindern während der Arbeitszeit ist das Mindeste, das berufstätige Eltern heute in einer sozialen Markwirtschaft erwarten dürfen. Es ist richtig, sie als verbindliches Versprechen des Staates an seine Bürger ins Gesetz zu schreiben.

Das Mindeste ist aber nicht das Beste, es ist nicht einmal gut. Das wäre es erst, wenn hinter dem Anspruch mehr als eine Nachmittagsverwahrung stecken würde: ein pädagogisch sinnvoller, ganzer Tag in der Grundschule. Mit Zeiten zum Lernen, zum Essen, zum Toben und Ausruhen, mit Lehrern, die Kinder durch einen abwechslungsreichen vollen Tag begleiten, statt einen halben nur nach Lehrplan durchzuziehen. Erst in dieser Struktur könnten Kinder aus bildungsfernen Familien so intensiv gefördert werden, dass sie nicht den Anschluss verlieren, sagen die vielen Pädagogen und Bildungsexperten, die eine "rhythmisierte Ganztagsschule" fordern.

Auch 72 Prozent der Eltern wünschen sich eine solche Schule. Das sind die meisten, aber nicht alle. Manche befürchten gar einen Ganztagsschulzwang. Den darf es in der Tat nicht geben. Die Schulen sind gefordert, ein Angebot zu gestalten, das so divers ist wie ihre Klientel. Eine schwierige Aufgabe, die aber etliche Schulen mit einem Mix aus offenen und verbindlichen Angeboten schon meistern. Verordnen kann ihnen der Bund so viel Engagement nicht, solange der Bildungsföderalismus die reine Länderhoheit beschützt. Auch darüber wird in Berlin noch weiter zu streiten sein. Hoffentlich kommt mehr dabei heraus als das Mindeste.

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