Forschung:Wer hört schon auf die Wissenschaft?

Der Soziologe Peter Taylor-Gooby erforscht seit 40 Jahren, wie man den Sozialstaat verbessern kann. Und was hat's gebracht? Nichts. Deshalb hat er nun einen Roman verfasst.

Interview von Nadja Lissok

Lehrer

Dozenten lehren und forschen, aber hört auch außerhalb der Hochschule jemand auf sie?

(Foto: iStockphoto)

Wie viele wissenschaftliche Arbeiten verschwinden wohl Semester für Semester in den Archiven der Universitäten? Interessiert sich außerhalb der akademischen Blase überhaupt jemand für die Forschungsergebnisse?

Wohl eher nicht, hat der Soziologieprofessor Peter Taylor-Gooby von der University of Kent festgestellt. Er forscht seit beinahe 40 Jahren zur Sozialpolitik in modernen Staaten, ist Mitglied der British Academy und hat jahrelang die Londoner Regierung als Experte beraten. Trotzdem hat er das Gefühl: Bringt doch alles nichts. Und deshalb versucht er auf einem anderen Weg, den Lauf der Welt zu beeinflussen.

Herr Taylor-Gooby, warum haben Sie statt einer weiteren wissenschaftlichen Abhandlung lieber einen Roman geschrieben?

Einen Roman wollte ich eigentlich schon immer einmal schreiben. Jetzt hatte ich eben die passende Idee dazu. Ich glaube, dass man mit Literatur mehr Menschen erreichen kann als mit Forschung. Und zwar über Emotionen und nicht über den Verstand. In meinem Fall zeigt der Roman, wie das Leben in einer Welt wäre, die ausschließlich von den Regeln des freien Marktes dominiert wird.

Im Interview mit Times Higher Education haben Sie beklagt, dass Ihre Forschung nichts bewirkt hat. Sind Sie frustriert von der wissenschaftlichen Arbeit?

Manchmal. Besonders zu Anfang meiner Karriere war ich idealistisch und wollte die Welt verändern. Ich habe gedacht, dass die Politik mehr auf Wissenschaftler hört als sie es tatsächlich tut. Ich beobachte seit Jahrzehnten, wie der Sozialstaat schrittweise zerfällt und durch die freie Marktwirtschaft ersetzt wird. Deshalb gibt es auch einen enormen Vertrauensverlust in Politiker und staatliche Institutionen. Trotzdem reagiert die Politik nicht.

Warum stoßen viele Forschungsergebnisse auf so wenig Interesse?

Da gibt es ganz verschiedene Gründe. Unsere Botschaften an Politik und Wirtschaft werden meistens von lauteren, finanzkräftigeren Stimmen übertönt. Konzerne haben einen großen Einfluss und bestimmen häufig, wie öffentliche Diskussionen geführt werden. Dem Finanzsektor oder der Alkoholindustrie Fehler nachzuweisen und Schäden aufzuzeigen, ist unmöglich, weil hinter diesen Branchen sehr viel Geld steckt.

Aber wecken Sie mit einem Roman wirklich das Interesse bei den Personen, die wichtige Entscheidungen treffen?

Das ist schwer zu sagen - zum Teil gelingt das bestimmt. In einem meiner Forschungsprojekte gehen wir der Frage nach, wie sich die Europäer den Sozialstaat der Zukunft vorstellen. Wir glauben, dass die Sozialpolitik durch die Einstellungen und Werte des Einzelnen beeinflusst wird. Wie wichtig sind Werte wie Solidarität und Gerechtigkeit in der Zukunft? Deshalb muss man sich nicht nur bei Politikern Gehör verschaffen, sondern in der Öffentlichkeit.

Professor Peter Taylor-Gooby, University of Kent

Professor Peter Taylor-Gooby

(Foto: privat)

Worum geht es in Ihrem Buch "The Baby Auction" genau?

Die Protagonisten in meiner Geschichte leben in einer imaginären Welt, die ausschließlich den Regeln des freien Marktes folgt. Angebot und Nachfrage beeinflussen jede Handlung der Personen. Und jeder denkt nur an seinen eigenen Vorteil. Das macht es besonders schwer für die Romanfiguren, anderen Menschen zu vertrauen.

Ist das Buch eine Dystopie wie "1984" von George Orwell oder "Schöne neue Welt" von Aldous Huxley?

Ja, das würde ich so sagen. Genau wie bei den anderen beiden Werken geht es um bedenkliche Entwicklungen in der Welt, die irgendwann negative Folgen haben können. "Market World" ist aber keine durch und durch schlechte Welt. Zum Beispiel gibt es keine Diskriminierung nach Hautfarbe oder Geschlecht - weil immer nur zählt, wie viel Geld jemand hat.

Ist der Wissenschaftsbetrieb auch von den Marktprinzipen beeinflusst?

Ja, besonders bei uns in Großbritannien müssen die Hochschulen zunehmend Profit erwirtschaften, um sich halten zu können. Das machen sie größtenteils über die Studiengebühren.

Empfehlen Sie Ihren Studenten, trotz der genannten Probleme, in die Forschung zu gehen?

Definitiv. Wir müssen weiter nach der Wahrheit suchen und neue Ideen für die Zukunft entwickeln.

Werden Sie weiter an der Universität bleiben oder wollen Sie sich ganz dem Schreiben widmen?

Beides. Ich werde weiter forschen und meine Studenten unterrichten. Ich habe aber auch Ideen für ein neues Buch: Es soll sich um den Finanzstandort London und Steuerbetrug drehen.

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