Forderung nach neuen Fächern:"Schule kann vieles - aber nicht alles"

Politiker, Lobbyisten und Prominente verlangen neue Fächer. Wie Heinz-Peter Meidinger vom Philologenverbands den Reflex erklärt.

Interview von Johann Osel

SZ: Ein neues Schulfach Ernährung, das wünscht sich der Bundeslandwirtschaftsminister und hat neulich einen Brief an die Kultusminister der Länder geschrieben. Kommt Ihnen das bekannt vor?

Heinz-Peter Meidinger: Der Ruf nach neuen Schulfächern, das ist ein modischer Reflex der Politik geworden. Mich verwundert das immer wieder. Das fordern ja oft Leute, die sonst sehr vernünftige Ansichten haben. Aber wenn es um neue Fächer geht, ticken sie anders. Vielleicht verbirgt sich dahinter der Wunsch, unsterblich zu werden, schließlich müssten sich dann künftige Schülergenerationen alle verpflichtend mit diesem Fach beschäftigen.

Woher rührt dieses ständige Fordern?

Ein neues Fach suggeriert immer, ein bestimmtes Problem werde damit gelöst. Dahinter steckt die Vorstellung, dass Schule der Reparaturbetrieb der Gesellschaft ist. Und es klingt nur wie eine minimale Änderung im Stundenplan, ohne Aufwand, was aber nicht stimmt. Fast immer verpufft das deshalb nach kurzem Rummel. Das letzte Fach, das neu bundesweit etabliert wurde, wenn auch teils als Wahlfach, war Informatik.

Seit wann gibt es denn das Phänomen?

Seit vielleicht drei oder vier Jahrzehnten, so weit ich das überblicken kann. Ich erinnere mich noch an die Achtzigerjahre, ich war damals junger Lehrer. Da hatte der CSU-Politiker Peter Gauweiler, als Innenstaatssekretär im Kabinett Strauß auf dem Scharfmacher-Posten, das Schulfach Aids gefordert. Die Debatte war damals so aufgeladen, es wurden Ängste geschürt, dass Aids die Menschheit hinwegrafft. Die Einführung wurde im Kultusministerium auch ernsthaft erwogen. Am Ende gab es Handreichungen und Aufklärungsmaterial für die Schulen. Ohne eigenes Fach.

Ist das nicht in vielen Fällen letztlich die beste Lösung?

Unter den geforderten Fächern finden sich natürlich viele, deren Inhalte bereits zum Erziehungsauftrag von Schule gehören, Ernährung und Gesundheit zum Beispiel. Aber das lässt sich eben durchaus in Fächern aufgreifen, die es bereits gibt. Mir fällt da auch die Debatte ein über das Schulfach Glück . . .

Glück, das wäre doch ein höchst sinnvolles Lernziel.

Die Auseinandersetzung mit solchen elementaren Fragen, ja, unbedingt! Da denke ich auch an meine eigene Schulzeit, da gab es das Wahlfach Philosophie - Glück, der Sinn des Lebens, von der Antike bis zu den Thesen der damaligen Studentenbewegung, Marcuse und so. Da waren wir Jugendlichen voll dabei und das ist heute nicht anders.

Dann lassen Sie uns doch mal in einem Gedankenspiel das Pflichtfach Glück einführen. Wie viele Stunden von Ihrem Hauptfach - Deutsch - geben Sie dafür ab?

Gar nichts! Deutsch läuft ohnehin in manchen Stufen nur noch dreistündig. Die Muttersprache hat bei uns längst nicht mehr die Rolle, die sie in anderen Staaten spielt. Das ist katastrophal. Dabei hat das Fach einen Riesenauftrag, nicht nur korrekte Sprache, Kenntnis von Literatur, sondern Grundfähigkeiten wie Argumentieren.

Woher nehmen wir dann die Zeit für das Fach Glück? Was wäre alles denkbar?

Die Stundentafel ausweiten kann man nicht, das achtjährige Gymnasium war da wie ein Fallbeil. Man kann Andockstellen in anderen Fächern suchen. Mischfächer, die etwa Naturwissenschaften kombinieren, sind zudem für die Politik zu einer Musterlösung geworden, wenn Stundentafeln überarbeitet werden - leider.

Wir suchen weiter nach Platz für Glück. Es bleibt wohl nur: Irgendwo kürzen.

Da stoßen schnell die Fachinteressen aufeinander. Ich sehe das im eigenen Verband. Wenn es um einen Beschluss für mehr Lehrerstellen geht - alles einstimmig. Wenn aber ein Fach aufgewertet werden soll, stellt sich sofort die Frage: zu wessen Lasten? Das wird schnell ein Hauen und Stechen.

Jeder glaubt halt, dass seine Disziplin unverzichtbar für das Leben ist . . .

Dafür habe ich auch ein gewisses Verständnis. Wenn Kernfächer nur mehr drei oder vier Wochenstunden haben, brauchen sie die auch. Da lässt sich keine abzwacken. Einem Nebenfach nur noch eine Stunde zu geben, ist auch fatal. Ist der Lehrer mal krank, wird vielleicht über Wochen nicht unterrichtet. Da bleibt nichts hängen. Was auch oft gemacht wird: Fächer pausieren lassen, zum Beispiel Erdkunde nur in jeder zweiten Klassenstufe. Auch bedenklich. Klar ist: Jedes Mehr an Fächern muss durch Streichungen erkauft werden.

Zurück zum "Reparaturbetrieb", den Sie ansprachen. Was kann Schule leisten?

Es ist falsch, immer gleich nach der Schule zu rufen, wenn man einen gesellschaftlichen Missstand sieht. Natürlich haben wir einen Erziehungsauftrag über das Fachliche hinaus. Aber die Vorstellung, mit einem neuen Fach stellt man schnell einen Missstand ab, ist naiv.

Aber, Stichwort Ernährungsunterricht: Viele Kinder sind zu dick, essen Fast Food. Muss da die Schule nicht gegensteuern?

Ernährung ist ein gutes Beispiel. Da wird schon viel gemacht, in Kindergärten und Grundschulen fängt es an, mit Informationen für die Eltern, welches Frühstück sie den Kindern mitgeben sollen. Man sieht allerdings, wie begrenzt der Einfluss ist. Schule kann vieles - aber nicht alles. An meinem Gymnasium haben wir eine tolle, gesunde Mensa, Pommes kann sich ein Schüler separat gar nicht bestellen. Und was sehe ich jeden Tag: Lange Schlangen beim Dönerladen ums Eck.

Dennoch hat Schule heute eine ganz andere Rolle erhalten, mit hoher Erwartung.

Das ist oft nur Gewissensberuhigung. Politiker können den Wählern sagen: "Schaut mal, da haben wir was gemacht!" Es ist ein Mechanismus, der so nicht greift. Der Anspruch, dass Schule alles richten soll, ist aber tatsächlich ein neueres Phänomen. Das hat auch mit Überforderung zu tun.

Inwiefern?

In der Gesellschaft heute ist vieles nicht mehr intakt, Familienstrukturen, alles ist heterogener geworden, Orientierung fällt schwerer als früher in einer nivellierten Mittelschichtgesellschaft, dazu der rasante technologische Fortschritt. Da fragen sich viele: Wer könnte das alles noch zusammenklammern? Ach ja die Schule.

Wir haben aber einen Trend zur Ganztagsschule, ließe sich da am Nachmittag nicht zumindest ein Teil auffangen?

Wir haben mehr Ganztagsangebote, aber ich sehe keinen Trend zur Ganztagsschule. Die Nachfrage von Eltern nach flexiblen Betreuungsmöglichkeiten ist hoch, jedoch nicht, wenn es um verpflichtenden Nachmittagsunterricht geht. Im G 8 findet manche Stunde nachmittags statt, sonst sind das Hausaufgabenbetreuung oder manchmal Wahlkurse. Da ist kein Raum für ein neues Pflichtschulfach.

Angenommen wir bekämen nun doch überraschend Zeitfenster - welches neue Schulfach würden Sie sich selbst wünschen?

Ich persönlich finde, dass Wirtschaft generell Pflichtfach werden sollte, das haben wir nur in einigen Bundesländern. Zudem würde ich die Kernfächer ausweiten - dann gäbe es auch mehr Gelegenheiten, darin Dinge zu verankern, für die neue Fächer gefordert werden. Und mein Herzenswunsch: Politische Bildung stärken. Diese führt ein absolutes Schattendasein, am besten wäre Sozialkunde schon in der Unterstufe. Das ist ein hundertmal wichtigerer Beitrag für mündige junge Bürger als viel von dem, was an neuen Fächern gefordert wird.

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