Folgen der Bologna-Reform:Bachelor soll auf den Prüfstand

Zehn Jahre nach Beginn der Bologna-Reform will die Konferenz der Hochschulrektoren Fehler des neuen Systems ausfindig machen. Den Anstoß dazu gab die Generalkritik ihres Vorsitzenden - der dafür nun heftigen Anwürfen ausgesetzt ist.

Johann Osel

Ein "gutes Zeugnis" stellen Studien den Hochschulen bei der Bologna-Reform aus, der "Berufseinstieg von Bachelor-Absolventen klappt besser, als manche Bedenkenträger uns glauben machen wollen". Es sind Sätze vom Sommer 2011, aus einem Gespräch mit Margret Wintermantel, damals Chefin der Hochschulrektorenkonferenz (HRK).

Sie klingen ganz anders als das, was ein Jahr später ihr Nachfolger Horst Hippler im SZ-Interview über den neuen Sechs-Semester-Abschluss sagte. Die Wirtschaft brauche "Persönlichkeiten, nicht nur Absolventen". Ein Bachelor in Physik sei aber "nie im Leben ein Physiker". Der 66-jährige Physikochemiker, im April zum neuen Chef des gut 300 Hochschulen umfassenden Verbands gewählt, hatte den Grundsatzstreit über die Reform im Alleingang wiederbelebt - entgegen bisheriger Beschlüsse der HRK.

Beim Plenum der Rektoren in Göttingen, dessen Ergebnisse am Mittwoch vorgestellt wurden, musste er sich zwar harsche Kritik anhören; jedoch wollen die Hochschulchefs die Reform nun "auf den Prüfstand" stellen.

Nach den Studentenprotesten gegen die Reform 2010 hatte sich die Debatte eigentlich gelegt. Eine HRK-Arbeitsgruppe soll jetzt "Fehlentwicklungen" nach Hochschularten und Fächern aufzeigen. Es werde "kein Zurück zu den alten Studiengängen" geben, versicherte Hippler. Er schränkte aber ein: "Wenn ich sage, nach sechs Semestern ist man noch kein Physiker, dann wird mir die Deutsche Physikalische Gesellschaft nur zustimmen." Ziel der Hochschulbildung müsse eine "Persönlichkeit sein, die über den Tellerrand des eigenen Faches hinausblicken kann".

Damit will Hippler den von ihm verursachten Trubel wieder beruhigen. In den vergangenen Monaten hatten sich Stimmen gemehrt, die seine Wahl im April hinter vorgehaltener Hand für einen Fehler halten. Vor allem bei den Fachhochschulen gibt es Widerstand gegen den früheren Rektor des Karlsruher Instituts für Technologie, einem milliardenschweren Forschungsakteur. Hippler stellt sie gerne als Berufsschulen ohne großen akademischen Anspruch dar - für die der Bachelor im Unterschied zu den Universitäten allemal reiche. "Hippler hat immer die Technik-Universitäten und die Studienstrukturen im Maschinenbau vor Augen. Dass sich die Hochschulszene in den letzten zwanzig Jahren ausdifferenziert hat, hat er wohl verschlafen", sagt ein Fachhochschulrektor.

Mit leichten Blessuren

Ohnehin war Hippler nur knapp ins Amt gelangt. Nicht die Mehrheit der Hochschulen hatte er hinter sich, dafür die meisten Stimmen, da bei HRK-Wahlen eine Gewichtung nach Größe stattfindet. Viele Rektoren hofften zudem, dass man mit ihm einen lautstarken Fürsprecher gegenüber der Politik bekomme. Schließlich sieht sich die HRK als "Stimme der Hochschulen", die deren Positionen - meistens geht es ums Geld - öffentlich vertreten soll. Dass der starke Mann die bisherige Linie bei der Bologna-Reform über den Haufen werfen sollte, ahnte niemand. Ein Rektor meint: "Als Zugpferd für politische Anliegen wäre Hippler im Grunde schon der richtige Mann - aber alles, was er vorne aufbaut, reißt er mit dem Hintern wieder ein."

Zum Indikator, ob sich der Präsident mit seinem Bologna-Vorstoß selbst ins Aus geschossen hat, wurde in Göttingen die Wahl dreier Vize-Präsidenten gesehen. Hippler, dem das Vorschlagsrecht für sein Team oblag, hat sie mit leichten Blessuren überstanden. "Die schlechte Stimmung war mit Händen greifbar", sagt ein Teilnehmer.

Der erste Anwärter Arnold van Zyl, seit kurzem Chef der TU Chemnitz, zog nach Teilnehmerangaben seine Kandidatur kurzfristig zurück. Er wähnte offenbar eine Schlappe - da er als früherer Vize-Rektor einer südafrikanischen Hochschule wenig im deutschen System vernetzt ist. Hipplers zweite Kandidatin, die Göttinger Präsidentin Ulrike Beisiegel, wurde nur mit dünner Mehrheit gewählt. Mancher Rektor wollte so Hippler beschädigen, die Gründe liegen aber wohl tiefer.

Göttingen hat mit anderen starken Unis kürzlich den Verbund "U15" gegründet. Diese Hochschulen, darunter die FU und die HU Berlin, die Münchner LMU sowie unter anderem die Unis Hamburg und Heidelberg, beanspruchen eine "Führungsrolle". Viele Uni-Chefs außerhalb dieses Clubs befürchten, dass der neue Bund in der HRK künftig den Ton angebe. "Hippler lässt das laufen, eigentlich müsste er den Laden zusammenhalten. Das wäre seine Aufgabe", kritisiert ein Hochschulchef. Die Bachelor-Debatte habe gezeigt, dass der HRK-Chef zu Harmonie und Moderation nicht fähig sei.

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Der dritte Kandidat, der Siegener Rektor Holger Burckhart, wurde mehrheitlich gewählt. Der Philosoph gilt als "Friedensangebot" Hipplers, er steht für die vielen Mittelmaß-Universitäten ohne allzu üppige Forschungserfolge. Er wird die Bologna-Arbeitsgruppe leiten. Damit sei das Thema erst mal "abgefrühstückt", glaubt ein Rektor. Zudem habe Hippler intern angekündigt, bis zum Ergebnis der Gruppe nicht mehr gegen Bologna zu poltern.

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