Fehlende Schulleiter:Manager und Hausmeister in Personalunion

Grundschul-Unterricht

Viele Rektoren müssen trotz ihrer administrativen Aufgaben auch noch selbst unterrichten.

(Foto: dpa)

Viele Grundschulen in Deutschland finden keine Rektoren. Der Job ist bei Lehrern unbeliebt, denn es gibt kaum mehr Gehalt. Dafür jede Menge neue Aufgaben.

Von Johann Osel und Bernd Dörries

Neulich hat er sogar den Schulhof gefegt. Weil einfach niemand anders da war, der den Besen in die Hand nimmt. "Manchmal bin ich auch Hausmeister", sagt der Rektor einer Grundschule. Seinen Namen möchte er nicht nennen. Kollegen, die sich kritisch geäußert haben, hätten ein Disziplinarverfahren bekommen. Sie haben aber nur gesagt, was viele Schulleiter empfinden: "Aus der Freude, die dieser Beruf bringen kann, ist sehr viel Ärgernis geworden."

In anderen Branchen ist Aufstieg in der Regel etwas Erstrebenswertes. In Schulen ist die Beförderung zum Rektor für viele Lehrer eher etwas, das es zu vermeiden gilt. Man müsse 20 Stunden mehr in der Woche arbeiten, für "alles den Kopf hinhalten" und Dinge umsetzen, für die eindeutig das Personal fehle, sagt er. Und bekomme dafür kaum Anerkennung und nur bis zu 500 Euro brutto mehr im Monat. "Das lohnt sich nicht", sagt der Rektor, der den Job seit vielen Jahren macht.

Die Schilderungen des Mannes erklären jüngste Zahlen aus dem Schulministerium in Nordrhein-Westfalen. An jeder achten Schule ist dort momentan der Chefsessel unbesetzt. Quer durch alle Schulformen fehlten Ende November 715 Rektoren, 350 von ihnen nur an Grundschulen. Das geht aus einer kürzlich publizierten Antwort der grünen Schulministerin Sylvia Löhrmann auf eine Anfrage der FDP-Opposition im Landtag hervor.

Bundesweit 1200 unbesetzte Chefstellen

Nicht nur an Rhein und Ruhr kennt man das Problem. Auch in Niedersachsen suchten zuletzt knapp 130 Grundschulen einen Rektor, ebenso wird regelmäßig ein Mangel in Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt und Rheinland-Pfalz vermeldet. In anderen Bundesländern zeigen sich oft zumindest regionale Engpässe. Umfassende Statistiken gibt es nicht, Schätzungen gehen von bundesweit 1200 unbesetzten Chefstellen aus, meist an Grundschulen. Die Posten werden kommissarisch besetzt, teils mehr schlecht als recht; und immer mehr Rektoren auf dem Land haben auch gleich zwei oder drei Schulen unter sich und pendeln dann sogar mehrmals täglich von Ort zu Ort.

"Die Landesregierungen betonen immer ausdrücklich, wie wichtig die Schulleitungen für gute Schulen sind; und dann sehen sie tatenlos zu, dass die Leitungsposten so lange vakant sind", sagt Udo Beckmann. Er ist Bundesvorsitzender des Verbands Bildung und Erziehung (VBE). Oft seien fünf oder sechs Ausschreibungen nötig, bis sich ein neuer Rektor finde - wenn sich eben überhaupt jemand erbarmt. "Obwohl bekannt ist, dass von Jahr zu Jahr immer mehr Schulleiter in den Ruhestand gehen, wird in keinem Bundesland ernsthaft gegengesteuert", beklagt Beckmann. Er weiß, wovon er spricht. Vor seiner Zeit als hauptamtlicher Gewerkschafter leitete er eine Hauptschule in Dortmund.

Zwei Dinge sind für ihn unerlässlich: eine angemessene Vergütung; und zweitens die Zeit für den Job. Trotz der großen Aufgabe müssten Rektoren an Grundschulen viel Unterricht halten oder seien sogar Klassenleiter. Wegen knapper Stellen in der Verwaltung würden sie noch die Sekretärin spielen; wenn Eltern oder Schüler zum Beispiel ein Formular gestempelt bräuchten, müsse das am Ende ja irgendwer tun. Gleiches gilt offenbar für den Hausmeisterjob.

"Unhaltbare Zustände"

"Das sind unhaltbare Zustände, da ist es verständlich, dass sich das Kollegen nicht antun wollen", sagt der VBE-Vorsitzende. Klar, nicht jeder Lehrer traue sich die Aufgabe zu, "und ein guter Lehrer hat nicht automatisch das Zeug dazu, auch eine Schule gut zu leiten". Aber mit Anreizen lasse sich talentierter Nachwuchs tatsächlich finden. Das zeigt schon ein Blick auf die Lage bei den Gymnasialrektoren, die in höhere Besoldungsgruppen vorstoßen. Die Quote der Vakanzen liegt hier deutlich niedriger, in vielen Bundesländern geht sie laut den Ministerien "gegen null".

Aber es geht nicht nur ums Geld: Die Anforderungen an Schulleiter hätten sich in den vergangenen Jahrzehnten verändert, so Beckmann. Personalführung, Budgetverhandlungen mit dem Schulträger, Reformen, pädagogische Konzepte, Verträge für die Nachmittagsbetreuung - dies alles müssten Schulleiter leisten, hinzu komme "eine für Bildungsfragen sensibilisierte Öffentlichkeit, schon in der Grundschule". Gefragt seien "Managerqualitäten", eine mittelgroße Grundschule ähnele durchaus einem mittelständischen Betrieb. "Nur dass dafür in der Wirtschaft ganz anders bezahlt wird. Firmen wären führungslos, wenn sie ihre Chefs so schlecht bezahlen würden." Ein verbeamteter Grundschullehrer verdient je nach Land und Alter maximal 4000 Euro brutto. Für Rektoren gibt es eine Zulage von ein paar Hundert Euro.

In manchen Ländern denkt man mittlerweile über bessere Zulagensysteme zumindest nach, etwa Mecklenburg-Vorpommern will bald eine Neuregelung vorlegen. Der Landesregierung sei die Belastung der betroffenen Schulen bewusst, sagt auch NRW-Ministerin Löhrmann. Seit 2011 habe sie daher zusätzliche Mittel bereitgestellt, um mehr Lehrerstellen an Grundschulen und so "Ressourcen für Leitungszeit zu schaffen". Zudem würden vakante Stellen "zügig ausgeschrieben", potenzielle Bewerber gezielt angesprochen.

Belastende "Sandwichposition"

Was noch nicht bedeutet, dass man fündig wird. Der Rektor der Grundschule, der mit dem Besen, würde die Aufgabe nicht noch mal annehmen. "Früher konnte ich mehr selbst entscheiden", sagt er. Heute schickt dass Ministerium hübsche Broschüren, "und ich darf mir dann überlegen, wie ich das umsetze, ohne zusätzliche Stellen."

Im vergangenen Jahr haben Wissenschaftler aus der Schweiz länderübergreifend geforscht, eine der wenigen Studien zum Thema. Es gab Teilnehmer aus Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen und Sachsen-Anhalt. Dabei mussten die Rektoren ein elektronisches Tagebuch führen. "Zwischen Begeisterung und Belastung", so titelte der Allgemeine Schulleitungsverband seine Analyse der Studie. Eine "Überlastung" verursache vor allem die "Sandwichposition" zwischen den Vorgaben der Behörden und den Bedürfnissen der Lehrer. 16 Prozent der Teilnehmer wurden einer "stark belasteten Gruppe" zugeordnet, mit Anzeichen von Burn-out. Rektoren also, die nicht leiten - sondern leiden.

Die Autoren der Studie forderten eine bessere Ausbildung für Schulleiter. Schon an den Unis könnten Kandidaten ausgemacht werden, die sich später die Aufgabe zutrauten - und gezielt vorbereitet werden. Dies sei zugleich die beste Werbung für den Beruf. Bedarf an fachlicher Unterstützung zeigen jedenfalls die hohen Besucherzahlen beim alljährlichen Deutschen Schulleiterkongress, der viele Workshops anbietet. Mitte Februar findet er in Düsseldorf statt. Ministerin Löhrmann wird eine Rede halten - und sich wohl viele Forderungen anhören müssen.

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