Ethik für Wirtschaftswissenschaftler:Moral auf dem Stundenplan

Spätestens seit Banker und Konzernchefs wegen der Finanzkrise in die Kritik geraten sind und seit wieder über die Moral der Märkte hitzig debattiert wird, treibt viele Studenten dieser Aspekt um. Sie kümmern sich selbst um die Ethik in ihrem Fach - denn an den Hochschulen ist das Angebot mager.

Andreas Maisch

Ein Zitat steht am Anfang ihres Vortrags: "Seid allzeit bereit zur Verantwortung vor jedem, der Euch nach der Hoffnung fragt, die in Euch ist", sagt die Studentin mit bairischem Akzent. Die Worte sind aus der Bibel. "1. Petrus, Kapitel 3, Vers 15", ruft der Dozent des Kurses, der im Hauptberuf Pfarrer ist. "Richtig", sagt die Studentin.

Doch die Veranstaltung, zu der sich 25 Studenten mitten in den Semesterferien an der Universität Augsburg zusammengefunden haben, ist kein Bibelkurs. Sondern ein Seminar zum Thema "Business and Society" - Wirtschaft und Gesellschaft. Die Studenten tragen gerade die Ergebnisse ihrer Hausarbeiten vor. Unter ihnen ist der 24-jährige BWL-Student Eduard Tadler, der wie alle Männer im Raum ein schickes Hemd trägt. Typisch schnöseliger BWL-Student? Nicht ganz - Tadler ist einer der Hauptorganisatoren der lokalen "Sneep"-Gruppe. Das ist eine bundesweite Studentenorganisation, sie will die Diskussion über wirtschaftsethische Fragen fördern.

Spätestens seit Banker und Konzernchefs wegen der Wirtschafts- und Finanzkrise in die Kritik geraten sind und seit wieder über die Moral der Märkte hitzig debattiert wird, treibt auch viele Studenten dieser Aspekt um. Sneep und viele Studenten außerhalb der Organisation fordern obligatorische Ethik-Kurse für alle. In einer Internet-Umfrage von Sneep stimmten mal mehr als zwei Drittel der gut 3000 Teilnehmer für Pflicht-Kurse. Diese hätten den Vorteil, dass alle Studenten sich mit dem Thema auseinandersetzen müssen - etwa auch die künftigen Investmentbanker. Bisher sind die Seminare an den Universitäten meistens nur Wahlmöglichkeiten. Tadler findet die Verantwortung der Unternehmen und Verbraucher wichtig. Zu wichtig, um vernachlässigt zu werden. Daher macht er bei Sneep mit, um den Mitstudenten "die Augen zu öffnen", wie er sagt - und natürlich, um Wissen weiterzugeben.

Dozent des Augsburger Kurses ist der Pfarrer und Honorarprofessor Thomas Schwartz. Ungewöhnlich, aber kein Zufall: Kurse über Wirtschaftsethik sind noch immer eine Nische. Eine Nische, in die sich Quereinsteiger wie Pfarrer Schwartz einbringen. Bei ihm begann es eher zufällig, mit einem einmaligen, kurzen Vortrag. Inzwischen hält er große Vorlesungen.

Nur sehr wenige Universitäten haben eigene Lehrstühle für Wirtschafts- oder Unternehmensethik. Hört man sich unter Wirtschafts-Professoren um, so heißt es: Eine Stiftungsprofessur, also einen kostenlosen Lehrstuhl für Wirtschaftsethik, den hätte man schon gerne für den Fachbereich. Falls man aber dafür einen anderen Lehrstuhl einsparen müsste, ließe sich auch gut darauf verzichten. So wichtig sei das nun auch wieder nicht. Vielerorts organisieren Studenten deshalb ihre eigenen Ringvorlesungen oder Debattenabende.

Im Anschluss an das Ethik-Seminar diskutieren Tadler und einige Sneep-Mitglieder im Biergarten der Uni über die Zukunft der Gruppe: die Rekrutierung neuer Mitglieder, künftige Termine, eine bessere Öffentlichkeitsarbeit des Netzwerks. Keine spannenden Themen für einen sonnigen Nachmittag - doch die jungen Leute engagieren sich gerne. Tadler, im vierten Semester, bedauert, dass manche BWL- oder VWL-Studenten das Thema Nachhaltigkeit oft als "eine Sache für Ökos oder Linke" wahrnehmen. "Wenn man sich über Wirtschaftsethik informiert, fallen einem ganz neue Probleme auf."

Werte werden wichtiger

Für Unternehmen werden Werte indessen immer wichtiger, denn im Internetzeitalter können jene leichter an den Pranger gestellt werden, die beispielsweise unter unmenschlichen Bedingungen produzieren lassen. Und gerade bei Banken ist die Sympathie der Konsumenten und letztlich das Vertrauen noch viel wichtiger.

Auch Studenten der Universität Köln, einer der besten Hochschulen für Wirtschaftswissenschaften, ärgern sich darüber, dass zu oft das richtige Ausrechnen der Modelle das Ziel sei - und eben nicht ein Verstehen des Modells oder gar der Sinn davon, was man berechnet hat. In den Grundlagenveranstaltungen müssten neben den Modellen auch die Institutionen des Themas behandelt werden, sagt Nils Lühr von der Fachschaft der Fakultät. So solle man zum Beispiel im "Studienbereich Geldpolitik" über die Europäische Zentralbank sprechen. Infolge der Finanzkrise seien die Inhalte der Lehrveranstaltungen höchstens leicht geändert worden. "Die Finanzkrise spielt keine große Rolle."

Vertreter des Fachs sind von der drastischen Kritik am Zustand der Wirtschaftswissenschaften überrascht. "Ich hatte während meiner Studienzeit immer das Gefühl, dass sich die Volkswirtschaftslehre nicht nur mit Konsumkurven auseinandersetzt, sondern auch viel damit zu tun hat, welche Regelwerke zu einem bestimmten Ergebnis führen", sagt zum Beispiel Peter Herrmann, Präsident des Bundesverbands Deutscher Volks- und Betriebswirte.

Die ökonomischen Regeln würden schließlich ein bestimmtes ethisches Verhalten unterstellen. "Vielleicht war der ethische Hintergrund in einer Zeit, als wir sehr unterschiedlich ausgeprägte Wirtschaftssysteme hatten, einfacher zu erkennen", so Herrmann. Wer während des Kalten Krieges die Unterschiede zwischen dem westlichen und östlichen Wirtschaftssystem verstehen wollte, habe sich damals mit den Werten befassen müssen, die dem menschlichen Verhalten der Systeme zugrunde lagen. Herrmanns Verband fordert gleichwohl, dass Wirtschaftsethik ein verpflichtender Teil der Ausbildung wird.

Wie gefragt solche Kurse mittlerweile sind, zeigt das Seminar von Pfarrer Thomas Schwartz in Augsburg. Mehr als 40 Studenten wollten teilnehmen - eindeutig zu viele für ein Seminar, nicht alle wurden zugelassen. Und dafür mussten die Studenten eigens ein einseitiges Motivationsschreiben verfassen.

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