Empfehlung des Wissenschaftsrats:Ausbildung statt Studium

Auszubildender

Auszubildender beim Schweißen: Der Wissenschaftsrat plädiert für mehr Abiturienten in Ausbildungsberufen.

(Foto: dpa)

Deutschlands Hochschulen sind brechend voll, Unternehmen suchen dringend Lehrlinge. Der Wissenschaftsrat fordert nun eine Aufwertung der klassischen Ausbildung. Besonders Gymnasien müssten besser auf Berufe vorbereiten.

Von Johann Osel

In die aktuelle Debatte über die schnell steigenden Akademikerzahlen hat sich nun der Wissenschaftsrat eingeschaltet und fordert eine Aufwertung der klassischen Berufsausbildung. Die Regierungsberater schreiben in ihrem neuesten Gutachten: Bildungspolitik und Schulen, vor allem Gymnasien, müssten die Wege in ein Studium oder in eine betriebliche Lehre "gleichberechtigt aufzeigen". Unter anderem sollen die Lehrpläne die Berufsorientierung zur Pflicht machen.

Mit 2,5 Millionen liegt die Zahl der Studenten auf Rekordhoch, 55 Prozent jedes Jahrgangs beginnen ein Studium. Firmen klagen, dass sie kaum noch Leute mit Hochschulreife für die Ausbildung gewinnen. Das Gutachten, das am Montag in Berlin vorgestellt wird, liegt der Süddeutschen Zeitung vor.

"Die Anforderungen am Arbeitsmarkt steigen. Trotzdem können die Akademikeranteile nicht beliebig gesteigert werden", sagt der Vorsitzende des Gremiums, Wolfgang Marquardt, der SZ. "Wir haben und brauchen Berufe, die eine wissensbasierte, aber keine wissenschaftsorientierte Qualifizierung erfordern." Unabdingbar sei eine "geschickte Ausbalancierung von Bedarf und Angebot", und dazu gehöre eben die Aufwertung der beruflichen Ausbildung.

Gleichbehandlung von Ausbildung und Studium

Generell sind angehende Abiturienten laut dem Gutachten "unzureichend informiert und beraten". Die Experten empfehlen die flächendeckende Einführung eine Praktikums, wie es zum Beispiel schon an bayerischen Gymnasien existiert. Mit einer Schnupperwoche ist es aber nicht getan: So sollten alle Schulen "Potenzialanalysen" anbieten, spezielle Tests für Jugendliche, darüber hinaus mehr Austausch mit Berufspraktikern und Studenten.

"Die Entscheidung für Ausbildung oder Studium wird oft mit Sekundärargumenten geführt, leitend ist häufig die gesellschaftliche Reputation, die man sich von einem Studium verspricht", sagt Marquardt. Es seien aber "die tatsächlichen Interessen, Fähigkeiten und Perspektiven", die am Ende Erfolg im Beruf bringen.

Denkbar sei auch die Einführung eines Schulfachs "Berufs- und Studienorientierung". Die Online-Angebote der Arbeitsagenturen und der Hochschulrektorenkonferenz sollen zu einem "Bildungsnavigator" fusionieren - als zentrale, öffentlich finanzierte Anlaufstelle, ohne Ausbildung und Studium unterschiedlich zu werten.

Verkürzte Lehre für Studienabbrecher

Kern des Gutachtens ist mehr Flexibilität: Bei der Entscheidung von Schülern, so Marquardt, "ist klarzustellen, dass eine berufliche Ausbildung keine Einbahnstraße ist, dass wir ein hohes Maß an Durchlässigkeit haben". Erfolgreiche Azubis, auch diejenigen ohne Abitur, sollen einen einfacheren Zugang zum Studium haben, wenn sie das wollen. Im Gegenzug müsste Studienabbrechern eine verkürzte Lehre ermöglicht werden. Dies erlaube Übergänge und eine "Revision früherer Entscheidungen".

Laut dem Deutschen Industrie- und Handelskammertag bleiben in allen Regionen Deutschlands Lehrstellen frei: "Dem Wirtschaftsstandort droht nachhaltiger Schaden, wenn der Trend zur Akademisierung um jeden Preis nicht gestoppt wird", heißt es. Jüngst wurde der Trend zum Studium auch von Politikern gerügt. Der Ex-Kulturstaatsminister und Philosoph Julian Nida-Rümelin sprach in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung von einem "Akademisierungswahn".

Hochwertige Ausbildung funktioniere nur, "wenn die Mehrzahl eines Jahrgangs weiter in die berufliche Lehre geht, nicht eine kleine Minderheit". Der einstige Bundesbildungsminister Klaus von Dohnanyi (SPD) betonte im SZ-Interview: "Ein handwerklicher Beruf ist kein Abstieg. Das müssen wir den Leuten wieder beibringen."

Die Empfehlungen des Wissenschaftsrats, der mit Forschern, Politikern und Vertretern des öffentlichen Lebens besetzt ist, sind nicht bindend. Oft setzt das Gremium aber Impulse, die rasch zu Gesetzen werden. Beispiel ist die Ausbildung islamischer Religionslehrer an Unis, analog zur christlichen Theologie. Das Gremium wählte am Freitag in Darmstadt auch einen neuen Chef, weil Marquardt Vorstandsvorsitzender des Forschungszentrums Jülich wird. Im Juli löst ihn Manfred Prenzel ab. Der Bildungsforscher an der Technischen Universität München ist als deutscher Projektleiter der Pisa-Schulstudien bekannt.

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