Eltern-Coaching zur Einschulung:Die Richtigmacher

Erster Schultag in Gilching

Wenn die Eltern miteingeschult werden: Der Elternkurs in Lügde richtet sich an Mütter und Väter von angehenden Erstklässlern. (Symboldbild)

(Foto: Sta Franz Xaver Fuchs)

Die Familie entscheidet maßgeblich über den Schulerfolg. Also sind jetzt die Eltern an der Reihe: In Kursen erfahren sie, wie man Kinder zu Selbständigkeit erzieht. Ein Besuch in Lügde, Ostwestfalen-Lippe.

Von Marlene Weiß

Natürlich hat wieder keiner die Hausaufgaben gemacht. Genau genommen verschwimmt sogar die Aufgabe im Dunst der Erinnerung, was war das gleich? Zwei Männer und eine Frau sitzen auf winzigen Grundschulstühlen und schauen sich verlegen an. Endlich fällt es einem ein. Er ist ein schlanker, zurückhaltender Mann mit kurzen Haaren und soll hier Herr Siebert heißen: "Alleine zum Schulbus gehen." "Genau!", sagt Ines Wiebusch, eine der beiden Kursleiterinnen; blonder Pony, dunkle Brille, souveränes Auftreten. "Versuchen, Kinder Dinge allein machen zu lassen."

Und? Bei den Kindern scheint es prima zu laufen: Ein Erstklässler hat sich selbst Ersatz für die vergessenen Fußballschuhe organisiert, ein anderer ist allein nach Hause marschiert. Aber eine Mutter, die sonst auch im Kurs ist, wurde morgens doch wieder an der Schulbushaltestelle gesichtet, petzen die anderen Eltern. Das kann noch besser werden.

Aber dafür sind sie ja in diesem Kurs im Landkreis Lippe, der sich Ortsfremden mit dem Slogan: "Wir sind das L in OWL" empfiehlt. Wer so ortsfremd ist, dass er in OW nicht sofort Ostwestfalen liest, findet selten her. Und wenn, dann will er in den Teutoburger Wald und nicht ins kleine Lügde, das man hier der Einfachheit halber Lüchte ausspricht.

Ziemlich normal

Nicht reich, nicht arm, viele Einfamilienhäuser, ruhige Straßen, ringsum Hügel: Der Kreis Lippe, so wie er in Lügde aussieht, könnte an vielen Orten das L oder sonst was sein. Es ist nicht der schwierige Kiez, wo Kinder noch das kleinste Problem der Eltern sind; und auch nicht das durchgeknallte Großstadtviertel, wo Helikoptereltern den Nachwuchs schon in der Kita mit Frühchinesisch traktieren. Lügde ist eigentlich ziemlich normal.

Aber auch hier haben die Pisa-Studien Spuren hinterlassen. Vor allem in einer Hinsicht war schon die erste Pisa-Studie im Jahr 2000 eindeutig: In Deutschland hängt es stark vom Elternhaus ab, ob Kinder in der Schule erfolgreich sind oder nicht. Man kann darüber lamentieren. Man kann die Schulen kritisieren, die die Unterschiede nicht ausgleichen. Man kann an den einen Eltern herummeckern, die ihre Kinder in den Wahnsinn fördern, beziehungsweise an den anderen, die sich mehr für das Fernsehprogramm interessieren als für den Schultag. Oder aber man hilft Eltern dabei, ihre Kinder zu unterstützen.

Das ist eine Idee, die sich immer mehr verbreitet: Die meisten Bundesländer haben inzwischen Projekte zur Elternarbeit. Elternkurse gibt es fast überall; einige mit Bildungsschwerpunkt, andere allgemein zur Erziehung, wie das Step-Elterntraining. Im Landkreis Lippe, in Berlin und in Düsseldorf organisiert die Elternkurse seit 2012 der Verein Buddy E.V., ein Pilotversuch. Derzeit laufen die Gespräche, ob die Kommunen das Projekt übernehmen. Der Verein ist 2005 aus der Vodafone-Stiftung hervorgegangen und wird vor allem von dieser unterstützt.

Viel mehr Wohlfühlatmosphäre geht nicht

"Family" nennt sich das Projekt, und es beginnt damit, dass Menschen wie die Sozialpädagogin Ines Wiebusch weitergebildet werden. Oder wie die Erzieherin Carmen Schmidt, die den Kurs mit ihr zusammen leitet. Die beiden sind ein herzliches Team, viel mehr Wohlfühlatmosphäre geht nicht. Carmen Schmidt hat ihr Baby dabei, sie ist noch in Elternzeit. Hauptberuflich arbeiten beide für ein Kinderdorf, wo Kinder aus schwierigen Verhältnissen betreut werden.

Mit Kindern kennen sich die zwei also aus. Aber mit Eltern? "Vor dem ersten Treffen dachte ich schon - huch, ich bin Mitte 20, ich habe keine Kinder, was soll ich denen erzählen?", sagt Wiebusch.

Die Eltern werden angesprochen, wenn ihre Kinder im letzten Kindergartenjahr sind; viele der Kursleiterinnen arbeiten ohnehin selbst in einer Kita, sonst vermitteln Kindergärten und Schulen. Beim Verein betont man, dass man speziell auf Eltern aus sozial benachteiligten Stadtteilen zugehe; ohnehin werden die Kurse nur dort angeboten, wo die Kommunen es für nötig halten. Im Berliner Stadtteil Kreuzberg etwa ist laut Buddy E.V. eine arabischsprachige Mutter beteiligt, die direkt andere Eltern im Kiez anspricht, die Kurse sind teils zweisprachig. Aber letztlich sind alle Eltern aus freien Stücken da, weil sie wollen, dass es ihrem Kind in der Schule gefällt.

"Stigmatisierung vermeiden"

Kann sein, dass das Projekt damit das Problem verschärft, das es lösen möchte: Dass Kinder aus benachteiligten Elternhäusern auch in der Schule benachteiligt sind. Denn die Eltern, die so einen Kurs besuchen, sind ja schon interessiert an der Bildung ihrer Kinder und lernen dann, sie noch besser zu fördern. Die Kinder dagegen, die auf kompetentere Eltern angewiesen wären, bleiben weiter auf der Strecke.

"Eine Herausforderung", nennt Anne Sliwka das. Die Pädagogik-Professorin von der Universität Heidelberg begleitet das Projekt wissenschaftlich mit einer Doktorandin; dass es allen offenstehen sollte, hatte auch sie vorgeschlagen, und sie hält es immer noch für richtig. "Wir wollten eine Stigmatisierung vermeiden", sagt sie. Klar, solche Angebote würden immer auch von den interessierten Eltern genutzt, die alles richtig machen wollten. Aber auch da hätten sie einen Effekt. "Es geht ja nicht darum, den Frühförderwahn und den Druck auch noch in bildungsferne Schichten zu tragen."

Stattdessen sollen Kinder sich kompetent fühlen, ihre eigenen Entscheidungen treffen dürfen. Und die Eltern sollen selbstsicherer werden, der Schule auf Augenhöhe begegnen, als Partner. In Deutschland setzt sich dieser Ansatz erst seit Pisa nach und nach durch, andere Länder sind wieder einmal weiter. In Schweden etwa seien Eltern schon lange stärker eingebunden, sagt Anne Sliwka. Oder in Kanada: Dort würden Schulen die Eltern zu Erziehungsworkshops einladen, mit Essen für alle und Kinderbetreuung in der Turnhalle.

Weiterfinanzierung: unsicher

Sinnvoll, meint sie, aber in Deutschland leider schwierig, solange Lehrer nach Unterrichtsstunden bezahlt werden. "Da hängt die ganze Schulentwicklung dran." Wenn Elternkurse wie die im Projekt des Vereins Buddy über Schulen laufen würden, hätte man auch nicht das "Transferproblem", das Sliwka befürchtet: Dass die Kommunen es nach der Pilotphase nicht schaffen, die Kurse weiter zu finanzieren.

Die Eltern in Lügde kommen seit einem halben Jahr alle paar Wochen zu den Treffen, inzwischen gehen ihre Kinder in die erste Klasse. An diesem Nachmittag sollen sie miteinander besprechen, was gut läuft, und wo es Probleme gibt. Es geht zäh voran; vielleicht passt das Programm noch nicht so ganz zu den Eltern. "Es ist ja immer noch ein Pilot", hatte Carmen Schmidt zu Beginn gesagt, es wird noch ausprobiert.

"Mir fällt überhaupt nichts ein", sagt Herr Arend, der in Wirklichkeit anders heißt. "Wir haben unser Kind innerlich gestärkt", sagt eine Mutter nach kurzem Schweigen. Sie ist die Einzige mit so etwas wie einem Migrationshintergrund, sie kam vor vielen Jahren aus Russland nach Deutschland. Leider spricht sie hervorragend Deutsch und taugt wirklich nicht für eine Erfolgsgeschichte vom geretteten Bildungsverlierer-Haushalt. Drei weitere Eltern, die es im Leben offenbar nicht immer ganz so leicht hatten, sind heute nicht gekommen - mag sein, dass das auch am angekündigten Besuch liegt.

Bildung ist immer wichtig, Erziehung sowieso

Macht nichts, Bildung ist immer wichtig, und Erziehung sowieso. Dazu gibt es noch Theorie: Über die Nachteile von autoritärem, vernachlässigendem oder permissivem Erziehungsstil werden die Eltern aufgeklärt, und dass die Idealform der "autoritative" ist: Nicht "Du machst das, basta", nicht "Eh alles wurscht", auch nicht "Dann mache ich es für dich", sollen Eltern sagen, sondern: "Schatz, wir hatten es doch ausgemacht - wenn du möchtest, helfe ich dir." Das lassen die Eltern mal so stehen, wenn sie Zweifel haben sollten, ob das immer funktioniert, so zeigen sie es jedenfalls nicht.

Hausaufgaben, da sind sich die drei in Lügde einig, sind ein schwieriges Thema. Aber da haben ohnehin schon alle ihre Strategien entwickelt. "Ich setz mich bei", sagt Herr Arend, ein erfrischend praktischer Satz. "Und ich drohe auch mal mit Fernsehverbot." Erziehungstheoretisch eine suboptimale Lösung, aber in der Praxis offenbar erfolgreich.

Nebenan haben die Kinder, um die es geht, mit ihrer Betreuerin das Essen für alle vorbereitet; es gibt Tomaten, Brot, Käse, Wurst. Der Kurs ist fast geschafft, ein Treffen kommt noch; fünf Wochen gehen die Kinder jetzt schon zur Schule, für Sechsjährige eine halbe Ewigkeit. "Im Endeffekt habe ich mir vorher zu viele Gedanken gemacht", sagt Herr Siebert. Sein Sohn fühle sich wohl in der Schule. Das ist immer noch das Wichtigste.

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