Die DSGVO und ihre Folgen:21 Lehrer schreiben sich die Finger wund

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Die Lehrer in Kaiserwerth müssen dieses Jahr von Hand die Zeugnisse schreiben - in "dokumentechter" Tinte.

(Foto: imago/serienlicht)

Im Düsseldorfer Stadtteil Kaiserswerth bekommen die Grundschüler dieses Jahr handschriftliche Zeugnisse - wegen der Datenschutzgrundverordnung.

Von Paul Munzinger

Die Digitalisierung der Welt hat vieles an den Rand des Aussterbens gedrängt, was einst alltäglich war. Das Briefeschreiben oder das Hören von Musikkassetten. Gerade deshalb sind diese Dinge für viele Menschen zu etwas Besonderem geworden. Romantiker würden sagen: Sie sind echt. So gesehen werden die Schüler der Grundschule Kaiserswerth in Düsseldorf am Ende dieses Schuljahres ein Unikat in Händen halten: ein Zeugnis, das ihre Lehrer nicht am Computer getippt, sondern mit eigener Hand geschrieben haben. Ein Stück analoge Vergangenheit in der digitalen Gegenwart. Fraglich ist nur, ob sie und ihre Eltern sich darüber freuen können.

Ende Mai informierte die Schule die Elternvertreter über diesen Schritt. Die Begründung, erzählt Philipp Petersen, Vater eines Viertklässlers: die EU-Datenschutzgrundverordnung, die kurz zuvor in Kraft getreten war. Die hat bei den Lehrern zu einer großen Verunsicherung geführt, wie sie jetzt mit personenbezogenen Daten - zum Beispiel Noten - umgehen müssen. Wollten die Lehrer die Zeugnisse wie bisher auf dem eigenen Computer verfassen, müssten sie zusichern, dass ihr Rechner so sicher ist, wie es der Datenschutz verlangt. Die entsprechende Erklärung hat elf Seiten. Das können wir nicht garantieren, sagten die Lehrer.

Möglich wäre stattdessen, dass sie die Zeugnisse auf den Computern der Schule schrieben. Davon gebe es in Kaiserswerth für das 21-köpfige Kollegium genau zwei. Die Lehrer rechneten, ob das im Schichtdienst zu schaffen sei, bei zwei Stunden pro Zeugnis. Ihr Ergebnis: Um bis Mitte Juli fertig zu werden, hätten sie im Februar anfangen müssen.

Blieb als letzter Ausweg: Handarbeit, aufwendig, aber im Sinne des Datenschutzes unerreicht sicher. Bis heute kann jeder, der die Umstellung auf den Computer in den vergangenen Jahren nicht mitmachen wollte, selbst zum Stift greifen. In Düsseldorf, schätzt die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), tun das drei Lehrer. Nun werden viele Kollegen hinzukommen - nach Informationen der GEW nicht nur in Kaiserswerth, sondern auch an anderen Schulen in NRW.

Für die Schüler und deren Eltern aber bringt das Nachteile. Grundschulzeugnisse für die erste und zweite Klasse enthalten in NRW keine Noten, der Leistungsstand der Kinder wird ausformuliert. Und zwar so individuell wie möglich: Wie kommt das Kind in der Schule zurecht, wo hat es Schwächen, wo Stärken? Das wird es nun nicht geben, der Aufwand sei zu groß. Ohne Computer könne man nur das Mindestmaß an Rückmeldung erfüllen, zum Beispiel: X beteiligt sich mit großem Interesse am Religionsunterricht. Geschrieben wird mit der Hand, die Sätze kommen aus der Retorte.

"Suboptimal" findet das Philipp Petersen, der sich für seinen Sohn ein ausführlicheres Zeugnis gewünscht hätte. Aber er versteht die Lehrer. "Man hätte ihnen einfach mehr Computer zur Verfügung stellen sollen." Petersen ist Physiotherapeut, einige Lehrer hätten ihn schon nach Terminen gefragt, wegen möglicher Sehnenscheidenentzündungen. Schreiben dürfen die Lehrer übrigens weder mit Bleistift (Radiergummi!) noch mit herkömmlichem Füller (Tintenkiller!). Nötig ist "dokumentenechte" Tinte. Wenn schon analog, dann richtig.

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