Digitalisierung der Schulen:Wolken am Horizont

Illustration Internetsucht

Schulen, Lehrer und Schüler sollen in der Cloud Lernmodule finden, sich austauschen und organisieren können.

(Foto: Marc Tirl/dpa)

Eine bundesweite "Schul-Cloud" soll den Unterricht modernisieren, oft reicht die technische Ausstattung der Schulen aber nicht aus. Und einige Bundesländer wollen nicht mitziehen.

Von Fabian Busch

Neulich haben die Schüler der Klasse 7e am Gauß-Gymnasium in Worms eigene Werbeclips gedreht. In Gruppen schrieben sie zuerst ein Konzept, filmten, schnitten und vertonten dann ihr Video - und luden es schließlich in die Schul-Cloud hoch. Dort hat der Musiklehrer Martin Albrecht jetzt nicht nur einen Überblick, welche Gruppen ihren Clip schon abgegeben haben. Er hat den Schülern auch ein paar Sätze zur Bewertung geschrieben: sehr gutes Storyboard, gute Umsetzung.

Seit einem Jahr ist das rheinland-pfälzische Gymnasium eine der bundesweit 26 Pilotschulen, die diese "Datenwolke" einsetzen: Lehrer wie Schüler können sich dort einloggen, Übungen machen, gleichzeitig an einem Text arbeiten, Videos anschauen, Dateien ablegen, miteinander und sogar mit anderen Schulen kommunizieren. Vom Klassenraum, aber auch von zu Hause aus. Das soll den Unterricht digitaler machen und Lehrer entlasten: Das Hasso-Plattner-Institut (HPI), eine privatfinanzierte Fakultät der Universität Potsdam, hat die Schul-Cloud entwickelt, kümmert sich um die Software und erweitert die Angebote in Zusammenarbeit mit den Nutzern. Lehrer müssen sich nicht mehr so häufig mit Software-Lizenzen und der Wartung der Schulrechner herumschlagen. Denn die Daten werden in der Cloud hinterlegt und nicht auf einem Schulrechner.

"Der Vorteil ist, dass man in der Cloud Sachen speichern kann", sagt Siebtklässler Levin Yildiz. "Und wenn man eine Aufgabe vergessen hat, kann man sie da noch einmal nachlesen." Seine Klasse testet die Schul-Cloud seit einem Jahr: Genau wie die meisten anderen Pilotschulen startet der Versuch am Gauß-Gymnasium im kleinen Kreis. Für die Schüler ist die Bedienung kein Problem. Im Gegenteil, viele freuen sich, wenn sie zum Einsatz kommt. Immer nur auf Papier zu schreiben - das sei doch ziemlich altmodisch, findet Siebtklässlerin Sophie Talavera.

Um die Cloud zu demonstrieren, fahren Sophie und Levin in einem Computerraum einen Rechner hoch. Dabei wird deutlich, auf welche Hürden die Umsetzung noch trifft: Es dauert ein paar Minuten, bis der PC geladen hat und die Schüler sich in der Cloud anmelden können. An den meisten deutschen Schulen ist die Infrastruktur nicht dafür ausgelegt, dass gleichzeitig mehrere Klassen ins Netz gehen.

Manche Pilotschulen haben von ihrem Träger einen 250-Megabit-Internetanschluss bekommen. Am Gauß-Gymnasium aber gibt es oft Probleme mit der Verbindung. Direktor Gerrit Mennecke lässt demnächst das Schulnetz erneuern. "Wir haben noch keine Abdeckung im ganzen Haus. Aber wenn ich kein funktionsfähiges Internet habe, bringt das Projekt wenig", sagt der Schulleiter. Das Problem: Auch in Worms herrscht an vielen Schulen Sanierungsstau. "Wir sind auf den Schulträger angewiesen, aber das Geld ist eigentlich nicht da."

"Ein Stück weit eine Katastrophe"

Das Problem kennt auch Christoph Meinel, Leiter des Hasso-Plattner-Instituts. "Wenn Lehrer Schwierigkeiten haben, digitale Lerninhalte in den Unterricht einzubauen, liegt das häufig an der fehlenden oder langsamen Breitband-Internetanbindung und an der unzureichenden IT-Ausstattung", sagt er. "Die ist in Deutschland noch ein Stück weit eine Katastrophe."

Die meisten Pilotschulen nutzen die Plattform über die Rechner in ihren Computerräumen. Einfacher wäre es, wenn Schüler und Lehrer ihre eigenen Smartphones oder Tablet-Computer nutzen könnten. Doch viele Schulen, im Fall von Bayern sogar ein ganzes Bundesland, verbieten derzeit noch den privaten Handygebrauch. Ihre gleichzeitige Erlaubnis für eine Nutzung im Unterricht bremsen sie damit aus. In Bayern soll nun geprüft werden, ob Schulen über den Privatgebrauch selbst entscheiden dürfen.

"Das ist ein Bohren von dicken Brettern"

Auch jenseits der Hardware stellen sich rechtliche Fragen: Dürfen und sollen Lehrer in der Cloud sensible Daten wie Noten hinterlegen? Unter welchen Bedingungen können Lehrer oder Schüler eigene Materialien einstellen und mit anderen Schulen austauschen? Wer zum Beispiel einfach Schulbuchseiten einscannt und hochlädt, kommt mit dem Urheberrecht in Konflikt. Schulbuchverlage arbeiten bereits mit dem Hasso-Plattner-Institut zusammen.

Ralf Halfbrodt, Geschäftsführer der Verlagsgruppe Westermann, begrüßt die Entwicklung von Online-Plattformen grundsätzlich, sagt aber auch: "Beim Bearbeiten interaktiver Aufgaben entstehen beispielsweise Schülerprofile. Es muss gewährleistet sein, dass Schülerdaten innerhalb der Cloud gesichert sind und der rechtliche Rahmen für die Verarbeitung dieser Daten klar geregelt ist." Zu klären sei auch noch, wie die Lizenzen für Unterrichtsmaterialien auf der Plattform aussehen könnten.

Bisher ist die Arbeit mit der Cloud für die Pilotschulen kostenlos. Das Bundesbildungsministerium fördert das Projekt bis Mitte 2021 mit knapp acht Millionen Euro. Partner ist neben dem HPI auch Mint-EC, ein bundesweites Netzwerk von Schulen mit technisch-naturwissenschaftlichem Profil. 40 weitere Schulen werden gerade an die Cloud angeschlossen. Schritt für Schritt sollen alle der rund 300 Mint-EC-Schulen hinzukommen.

Eine gemeinsame Plattform für alle deutschen Schulen scheint aber noch in weiter Ferne. Lehrer haben die Auswahl aus verschiedenen Varianten. Eine Art digitales Klassenbuch bietet zum Beispiel die von Lehrern entwickelte Plattform Diler an. Viele Schulen nutzen für organisatorische Aufgaben auch die Plattform Moodle. Und die Länder treiben eigene Cloud-Projekte voran. In Bayern hält "mebis" rund 44 000 digitale Materialien bereit. Rheinland-Pfalz bastelt an einem virtuellen Schulcampus.

In zwei Ländern sind ambitionierte Vorhaben wiederum ins Stocken geraten: Nordrhein-Westfalen musste die Einführung seiner Plattform Logineo im vergangenen Jahr stoppen. Wegen "gravierender technischer Probleme", heißt es aus dem Bildungsministerium. In Baden-Württemberg hatte Kultusministerium Susanne Eisenmann (CDU) noch betont, die Länder würden sich von Plänen des Bundes nicht ausbremsen lassen. Ausbremsen musste das Land dann aber im Frühjahr seine Bildungsplattform Ella - ebenfalls wegen technischer Probleme. Inzwischen kommt ein externes Gutachten zu dem Schluss, sie sei in ihrer bisher geplanten Form schwer umsetzbar. Eisenmann will nun prüfen, ob sie das 24-Millionen-Euro-Projekt ganz beerdigen muss.

Ein Projekt mit Potenzial - aber noch am Anfang, sagt ein Lehrer

Die Bereitschaft, ein bundesweites Angebot zu entwickeln, ist in den Kultusministerien offenbar gering. Aus Nordrhein-Westfalen etwa heißt es, die eigene geplante Plattform habe Funktionen, die das Modell des HPI nicht anbiete. Nur Niedersachsen entwickelt seine Bildungscloud in Kooperation mit der Schul-Cloud. "Es bleibt abzuwarten, ob sich die Länder auf eine gemeinsame Cloud-Infrastruktur einigen", sagt Christoph Meinel. "Ich denke, dass die bisherigen Erfahrungen die Länder dazu bringen, über etwas Gemeinsames nachzudenken."

Im Bundesbildungsministerium hält man es für denkbar, die Modelle einzelner Anbieter zu kombinieren. "Schließlich gehört es zum Wesenskern von Cloud-Angeboten, dass darin verschiedene Bausteine von unterschiedlichen Anbietern je nach Bedarf passfähig zusammengesetzt werden können", sagt ein Sprecher. "So sollte auch die Schul-Cloud funktionieren."

Auch im Gauß-Gymnasium fände man es gut, wenn sich die Politik auf ein Modell einigt - oder die Angebote kompatibel sind. "Das ist ein Projekt mit großem Potenzial", ist Lehrer Martin Albrecht überzeugt. Inzwischen sei es möglich, die Angebote der Schul-Cloud nach Fächern und Bundesländern zu filtern. Ein Fortschritt. Aber insgesamt, sagt auch Schulleiter Gerrit Mennecke, stehe man bei dem Thema noch ganz am Anfang: "Das ist ein Bohren von dicken Brettern. An der Geschichte hängen noch viele Detailprobleme."

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