Studieren auf dem Sofa:Er hält sich selbst für einen schrägen Vogel

10 Arten von Professoren

In einem Video hat Professor Martin Bonnet zehn Typen von Hochschullehrern karikiert. Er selbst will es besser machen.

(Foto: Youtube)

Die Vorlesung hat Professor Bonnet abgeschafft. Seither schreiben seine Studenten bessere Klausuren.

Von Larissa Holzki

Die Studenten von Martin Bonnet dürfen ihren Professor unterbrechen. Sie können ihn stoppen, ihn vorspulen, ihn immer wieder von vorne beginnen lassen. Vor fünf Jahren hat der Professor der Technischen Hochschule Köln begonnen, Lehrvideos aufzunehmen und für seine Studenten ins Netz zu stellen. Die Vorlesung hat der Professor abgeschafft.

Im laufenden Semester hat Bonnet 300 Studenten - seinen Youtube-Kanal "Welt der Werkstoffe" haben 4600 Menschen abonniert. In seinem Fach Werkstoffkunde muss sich jeder Ingenieur auskennen: Bonnet lehrt, welche Materialien sich für welche Konstruktion eignen: Metall oder Kunststoff? Stahl oder Aluminium? Wenn Stahl, welcher Stahl? Einige seiner Videos wurden weit über 20 000 mal angesehen. Studenten aus Hamburg, Augsburg und Karlsruhe kommentieren öffentlich, dass sie damit ihre Klausuren bestanden haben.

Viele Zuschauer finden Vorlesungen ähnlich frustrierend wie Martin Bonnet selbst. "Ich stehe da vorne, erzähle etwas und bin mit dem Stoff für die einen zu schnell und für die anderen zu langsam", sagt er. Es sei doch "relativ idiotisch", dass 300 Studenten dafür morgens irgendwo in Köln in die Straßenbahn steigen. Auch weil Interaktion kaum möglich sei: In so einer großen Gruppe traue sich kaum jemand, eine Frage zu stellen oder zu beantworten.

Bonnets Studenten waren trotzdem immer ganz zufrieden mit ihm. "Ich habe super Evaluationen gehabt, die Studenten fanden die Vorlesungen gut und lustig", sagt der Hochschullehrer. Inhaltlich aber sei "nicht so viel angekommen". Auf der Suche nach effektiveren Lehrkonzepten ist Bonnet auf "Flipped Classroom" gestoßen: Traditionell erklärt der Professor in einer Vorlesung Theorien, die anschließend selbständig geübt werden sollen.

In diesem Modell ist es andersherum: Lehrinhalte werden erst zu Hause vorbereitet - typischerweise mit Lehrvideos - und danach mit dem Lehrenden besprochen und angewendet. Daher auch der Name: umgedrehtes Klassenzimmer. Seine ersten Videos hat Bonnet am eigenen PC gebastelt.

Welche Methode überlegen ist, lässt sich kaum klären

Präsenzveranstaltungen macht Bonnet nur noch mit kleinen Gruppen. Auf einmal, sagt er, seien die Studenten vorbereitet, motivierter und schreiben bessere Klausuren. Das kann auch damit zusammenhängen, dass er jetzt anders bewertet: Am Anfang jedes Seminars fragt er Inhalte aus den Videos ab. Mit richtigen Antworten können Bonuspunkte gesammelt werden: "Die Studenten lieben das."

Ob Flipped Classroom dem traditionellen Modell überlegen ist, lässt sich nicht klären. Kaum etwas ist so schwer zu erforschen wie das Lernen, Benno Volk weiß das besonders gut. Er ist Hochschuldidaktiker an der ETH Zürich und beschäftigt sich schon lange mit Lehrentwicklung und -technologie. Pädagogische Untersuchungen könnten niemals mit naturwissenschaftlichen Studien mithalten, sagt er: "Wenn Sie eine Vergleichsgruppe nehmen, sind das andere Menschen", sagt er. Will man testen, wie die gleiche Gruppe mit verschiedenen Methoden lernt, muss der Inhalt variiert werden.

Lehrenden, die von Studenten schlecht bewertet werden, rät Volk deshalb, ihre eigene Lehrforschung zu betreiben: "In kleinen Schritten etwas verändern und beobachten, ob sich Leistungen und Motivation der Studenten verbessern." Nicht zu jedem Lehrertypen passe ein Konzept wie Flipped Classroom.

Im Netz nimmt Bonnet auch Kollegen auf die Schippe

Zu Martin Bonnet scheint es zu passen. Er ist kein Hochschullehrer, der sich selbst zu wichtig nimmt. An der Tür zu seinem Büro klebt ein Stammbaum des Lebens im Universum: Würmer, Krebse, Reptilien, Pelztiere und Menschen sind dort zu sehen - und ein Portrait von ihm selbst. Darüber steht: "Schräge Vögel". Bonnet tritt ständig mit einer anderen Krawatte auf: mal gepunktet, oft gestreift, manchmal bedruckt mit einem lilafarbenen Tier, das mit seinem Rüssel Trompete spielt.

Die Bedürfnisse seiner Studenten nimmt er ernst. Die ersten Videos waren ihnen zu lang, seitdem fasst er sich kurz, die Filme sind maximal 15 Minuten lang. Und weil sie den Professor dabei gerne sehen wollten, ist er jetzt im Bild: "Das war das Letzte, womit ich gerechnet hatte: So schön bin ich jetzt auch nicht."

Auf der Lehrplattform der Hochschule gibt es zu jedem Vorlesungskapitel von Bonnet ein Forum, in dem Studenten, Professor und wissenschaftliche Mitarbeiter aktiv sind. "Wenn ein Student eine Frage postet, können in den allermeisten Fällen Kommilitonen die richtige Antwort geben", sagt er. Der große Vorteil gegenüber studentischen Facebookgruppen: Bei falschen Antworten oder besonders schwierigen Fragen greifen die Experten ein.

Flipped Classroom lässt sich überall einsetzen, wo gelehrt und gelernt wird, bei Kindern wie bei Erwachsenen. Anstelle von Lehrvideos können Dozierende auch auf Literatur verweisen. Durchgesetzt hat sich das Konzept aber vor allem in naturwissenschaftlichen und technischen Fächern. "Flipped Classroom lebt davon, dass Theorien eingeübt und angewendet werden müssen - zum Beispiel in Fallanalysen und Laborversuchen", sagt Benno Volk. In den sozial- und geisteswissenschaftlichen Fächern gebe es nur wenig vergleichbare Anwendungsmöglichkeiten.

Natürlich müssen Lehrende gerade am Anfang auch viel Zeit investieren und brauchen ein gewisses technisches Know-how. Die Technische Hochschule Köln hat inzwischen ein Medienbüro eingerichtet, in dem Fotoingenieure den Professoren beim Erstellen und Gestalten von Lehrvideos helfen. "Die beraten mich auch schon mal beauty-mäßig, blau soll mir ganz gut stehen", sagt Bonnet und lacht.

Mediziner hätten mit dem Modell mehr Zeit für die Praxis

Flipped Classroom lässt sich auch mit Materialien externer Anbieter umsetzen. Getestet wurde das schon an der Uni Göttingen: Für ein Modul zu Blut- und Krebserkrankungen im Medizinstudium nutzten die lehrenden Onkologen Videos des Unternehmens Miamed, die vorher inhaltlich abgestimmt wurden. Die Gründer des Startups sind angetreten, das Auswendiglernen und Nachschlagen für Ärzte zu vereinfachen, inzwischen nutzt fast jeder Examenskandidat ihre Lernapp Amboss.

"Manche Themen sind gelesen extrem schwer nachzuvollziehen und im Videoformat einfacher zu erklären", sagt Sievert Weiss, der wie seine Mitgründer selbst Medizin studiert hat. Und er sieht noch einen Vorteil von Flipped Classroom für Mediziner: Zwischen Operieren und Forschen bleibt den Professoren wenig Zeit für die Lehre. Wird die theoretische Wissensvermittlung ins Selbststudium verlagert, könnten sich erfahrene Ärzte auf die praktische Ausbildung am Patienten konzentrieren - und die Fragen der Studenten beantworten, die selbst eine Diagnose stellen und Behandlungsmethoden vorschlagen sollen.

Martin Bonnet geht es nicht darum, Kollegen von seiner Lehrmethode zu überzeugen. Zu ihm und zu seinen Studenten passe sie eben, vor der Kamera fühlt er sich sichtlich wohl. Auf Youtube hat er nicht nur trockene Lehrvideos gestellt, sondern auch ein "Abonnenten-Spezial" - einen Clip, in dem Bonnet zehn Arten von Professoren karikiert: den "Exmatrikulator", der es darauf anlegt, dass 90 Prozent seiner Studenten durchfallen; den "Abschweifer", der mit Verbundwerkstoffen beginnt und bei einem Vortrag über seine BVB-Fanseite landet; oder den "Youtuber", der bei jeder Nachfrage auf das Internet verweist. Ob Bonnet sich damit selbst porträtiert hat, möchte er nicht verraten.

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