Didacta:Powerpoint-Pannen statt Pädagogik

Bildungsmesse Learntec

Bildungsmessen wie die Didacta oder hier die Learntec in Karlsruhe drehen sich seit Jahren um das Thema digitales Klassenzimmer. Viele Schulen hinken der Entwicklung hinterher und vermissen Unterstützung seitens der Politik.

(Foto: Uli Deck/dpa)

Interaktive Lehrvideos, Physik-Experimente auf dem Smartphone - die größte Bildungsmesse der Welt zeigt die digitale Zukunft der Schule. Aber viele Lehrer haben schon jetzt Probleme mit der Technik.

Von Paul Munzinger

Wie genau er zum Netzwerkbeauftragten seiner Schule geworden ist, weiß Matthias Schweizer selbst nicht mehr. Die Aufgabe ist dem Mathe- und Physiklehrer vor sechs Jahren mehr zugestoßen, als dass er sich dafür entschieden hätte. Geblieben ist sie ihm bis heute. Wann immer ein Kollege an seinem Gymnasium in Oberschwaben ein Computerproblem hat, das er nicht selbst lösen kann, kommt Schweizer.

Manchmal ist nur ein Kabel locker, manchmal hat sich die komplette Software aufgehängt. Er kenne sich mittlerweile gut aus, sagt Schweizer, aber das war schon mal anders: Die ersten zwei Jahre musste er sich alles selbst beibringen, erst dann konnte er eine Fortbildung machen. Für 126 PCs, Laptops und Tablets ist Schweizer zuständig, jeden Tag ist er mindestens eine Stunde im Einsatz, macht pro Woche mehr als fünf. Bezahlt wird er für zwei, für den Rest geht seine Freizeit drauf.

Der Grund ist eine Verordnung des Kultusministeriums in Baden-Württemberg, die 1998 beschlossen wurde, bis heute gilt und aus Schweizers Sicht "jeden Bezug zur Realität" verloren hat. Sie veranschlagt an allgemeinbildenden Schulen einen Aufwand von zwei Wochenstunden ab 51 Computern aufwärts, egal ob es 52, 126 oder 300 sind. Die Verordnung hat Schweizer ausgedruckt, ehe er nach Stuttgart gefahren ist. Nun sitzt er im Publikum einer Diskussion auf der Bildungsmesse Didacta. Das Thema: "Die Schule im Zeitalter der Digitalisierung".

Die Diskussion hat kaum begonnen, da meldet sich Schweizer, wedelt mit den ausgedruckten Seiten und fragt, wann denn diese Verordnung endlich erneuert werde. Die Adressatin auf dem Podium ist Susanne Eisenmann, Bildungsministerin in Baden-Württemberg. An ihre Antwort kann Schweizer sich nicht genau erinnern. Aber "ergiebig" fand er sie nicht.

Ein Messeaussteller führt iPads mit Stoßdämpfern vor: extra für Grundschüler

Die Schule im Zeitalter der Digitalisierung ist das große Thema auf der Didacta, der größten Bildungsmesse der Welt, die vergangene Woche in Stuttgart stattfand. 850 Aussteller sind vertreten, verteilt über sechs hangargroße Hallen. Sie präsentieren digitale Lehrbücher und interaktive Lehrvideos, Physik-Experimente auf dem Smartphone, IT-Lösungen fürs Klassenzimmer und iPads für Grundschüler, die auch einen Sturz auf den Boden überstehen. Das mutet zumeist nicht visionär an, aber immerhin zukünftig. Denn dass die deutschen Schulen im digitalen Zeitalter wirklich angekommen sind, darf bezweifelt werden.

Dafür steht nicht nur die Geschichte von Matthias Schweizer. Es beginnt damit, dass durchaus nicht klar ist, was das genau heißen soll: Digitalisierung der Schule. Einigkeit herrscht eigentlich nur in der Frage, was es nicht bedeutet: jedem Schüler ein iPad in die Hand zu drücken und dann abzuwarten.

Susanne Eisenmann, seit Januar auch Präsidentin der Kultusministerkonferenz, verweist auf die Verhandlungen zwischen Bund und Ländern, die im Januar begonnen haben. Dabei soll geklärt werden, wie die fünf Milliarden Euro eingesetzt werden, die Bildungsministerin Johanna Wanka für die Digitalisierung der Bildung versprochen hat. Und auch, welche didaktischen Konzepte diesen Digitalpakt in die Schulen tragen sollen. Für Eisenmann steht eines fest: Die Technik müsse der Pädagogik folgen, nicht umgekehrt. Alles Weitere ist offen, das Thema ist kompliziert. Digitalisierung, fasst Eisenmann bei einem Auftritt schön zusammen, das sei "insgesamt alles".

Von der digitalen Gegenwart berichtet zum Beispiel Christina Kakridi. Am ersten Tag der Messe sitzt die Gymnasiallehrerin für Deutsch und Geschichte in Göttingen auf einer Bühne, um über ein Thema zu sprechen, das bewusst als Frage formuliert ist: "Digitale Revolution im Klassenzimmer?" Am Sonntag zuvor, erzählt Kakridi, habe sie eine Geschichtsstunde für den nächsten Tag vorbereitet, Industrialisierung, 9. Klasse. Sie habe im Internet recherchiert, Fotos herausgesucht, eine Power-Point-Präsentation vorbereitet. Praktisch sei das in jedem Fall, aber revolutionär? Eher althergebrachte Pädagogik in digitalem Gewand. Am Montag dann streikte der Beamer. Bis sie ihn zum Laufen gebracht hatte, war die Stunde zur Hälfte vorbei.

Die Gegenwart, das berichten Lehrer auf der Didacta, das sind auch Schulen, in denen multifunktionale Whiteboards an den Wänden hängen, die von manchen Lehrern wie monofunktionale Tafeln verwendet werden. Das sind Schulen, in denen die Computer in Kisten im Keller darauf warten, ausgepackt zu werden. Das sind Lehrer, die sich fragen, wie sie ihren Schülern den Umgang mit modernen Medien beibringen sollen, wenn sie selbst mit Folien und Overheadprojektoren fortgebildet werden.

Kakridi wünscht sich deshalb das, was sich eigentlich alle Lehrer auf der Didacta wünschen: einen Profi, der die Technik wartet und die Lehrer entlastet. Auch Matthias Schweizer hofft, dass es ihm bald egal sein kann, was in der baden-württembergischen IT-Verordnung aus dem Jahr 1998 steht. "Am liebsten", sagt er, "würde ich nur noch meinen Unterricht machen."

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