Designierte Ministerin:Begegnung mit einer Unbekannten

CDU Holds Party Congress, Elects General Secretary

Merkels Überraschungskandidatin: Anja Karliczek soll Ministerin für Bildung und Forschung werden.

(Foto: Sean Gallup/Getty)

Anja Karliczek hat kaum bildungspolitische Expertise zu bieten, doch einiges an Erfahrung.

Von Nico Fried und Susanne Klein

Am Montagvormittag ist Anja Karliczek noch eine einfache Delegierte auf dem CDU-Parteitag. Vom Rednerpult aus gesehen halb links sitzt sie, inmitten der vielen Reihen, die von Christdemokraten aus Nordrhein-Westfalen besetzt werden. Man kann sich Karliczek als Gratulant oder Journalist dort nur von schräg hinten nähern, und weil ihr das unzählige Male widerfährt, dürfte ihre Rückenmuskulatur einigen Strapazen ausgesetzt sein.

Anja Karliczek, 46, ist die Überraschungsfigur in Angela Merkels Kabinett. Die Kanzlerin kennt sie aus der Fraktion und aus dem Wahlkampf. Sie hat sich beim Vorsitzenden der Unions-Abgeordneten, Volker Kauder, und dem künftigen Kanzleramtschef Helge Braun über die parlamentarische Geschäftsführerin der Fraktion erkundigt. Und am vergangenen Donnerstag, als sich Merkel zwischen Regierungserklärung und abendlichem Abflug zum EU-Gipfel in Brüssel ein paar Stunden freigehalten hatte, wurde Karliczek zum Gespräch ins Kanzleramt gebeten.

Die Frau aus dem Tecklenburger Land soll als Ministerin für Bildung und Forschung Nachfolgerin von Johanna Wanka (CDU) werden. Karliczek ist keine gelernte Bildungspolitikerin, sehr wohl aber eine Bildungspraktikerin. 1990, als Helmut Kohl sich Angela Merkel als Bundesministerin ausguckte, begann Karliczek eine Banklehre in Osnabrück. Später kam eine Lehre als Hotelkauffrau dazu. Nach der Geburt ihrer drei Kinder zwischen 1996 und 2000 und neben der Arbeit im familieneigenen Hotel studierte sie an der Fern-Universität Hagen Betriebswirtschaft.

Aus der Sicht Merkels ist Karliczek ähnlich wie die neue Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer der Idealtyp einer Frau mit konservativen Werten, aber modernem Weltbild. Karliczek sieht sich als Familienmenschen, sie ist heimatverbunden und praktizierende Katholikin. Schon ihr erstes politisches Engagement galt der Vereinbarkeit von Familie und Beruf, als sie sich für den Ausbau der Kinderbetreuung in Tecklenburg einsetzte. 1998 - 16 Jahre Helmut Kohl gingen gerade zu Ende - trat sie in die CDU ein, 2004 wurde sie in den Stadtrat gewählt, 2013 gewann sie das Bundestagsdirektmandat in ihrem Wahlkreis. Während sie 2017 ihren zweiten Bundestagswahlkampf bestritt, musste ihr Ehemann Lothar Karliczek nach 21 Jahren als Pilot bei Air Berlin um seinen Job bangen. Nun fliegt er für Eurowings. Eine "wertvolle Erfahrung" sei das gewesen, sagte Karliczek einer Lokalzeitung, und fügte eine Erkenntnis an, die in der CDU noch nicht lange selbstverständlich ist: "Es reicht heute nicht mehr wie früher, einen Ernährer in der Familie zu haben, von dessen Gehalt dann alle abhängig sind."

Eine iher größten Aufgaben dürfte die Digitalisierung der Schulen werden

Als Ministerin soll sie nun ein großes Haus übernehmen. Insgesamt 1000 Personen, angeführt von vier Staatssekretären, befassen sich mit einer Vielzahl von Themen, etwa dem digitalen Wandel und der beruflichen Bildung oder dem Wissenschaftssystem und der Forschung für moderne Schlüsseltechnologien. Anja Karliczek wird viele Namen lernen müssen.

Eine ihrer größten Baustellen dürfte die Digitalisierung der Schulen werden. Seit Johanna Wanka 2016 einen Digitalpakt ankündigte, der den im internationalen Vergleich hinterherhinkenden deutschen Schulen einen Sprung nach vorn bescheren soll, ist außer Streit zwischen Bund und Ländern nicht viel geschehen. Von den versprochenen fünf Milliarden Euro ist nicht ein Cent geflossen. Das soll sich unter Karliczek ändern. Laut Koalitionsvertrag darf die neue Ressortchefin in dieser Legislaturperiode 3,5 Milliarden Euro investieren, den Rest im Jahr danach. Möglich machen soll das eine Gesetzesänderung: Künftig dürfte der Bund dann nicht nur in die Schulen finanzschwacher, sondern aller Kommunen investieren, bisher galt das nur für Gebäudesanierungen.

Diese weitgehende Aufweichung des sogenannten Kooperationsverbots birgt allerdings Konfliktstoff. Denn trotz großzügiger Finanzspritzen vom Bund sei die Zuständigkeit der Länder für die Schulen "nicht einen Millimeter verhandelbar", wie Bayerns Kultusminister Ludwig Spaenle (CSU) es ausdrückt. Der Bund soll also zahlen, aber nicht inhaltlich mitreden. Ob diese Rechnung ohne Reibereien aufgeht, ist zweifelhaft. Karliczek, die als Elternvertreterin im Gymnasium praktische Erfahrungen beim Mitgestalten hat, wird sich zurücknehmen oder kämpfen müssen.

Auch in der beruflichen Bildung und in der Wissenschaft warten Herausforderungen. Anders als Wanka, die als Professorin, Hochschulrektorin und Wissenschaftsministerin in Niedersachsen maximale akademische Bildungsnähe mitbrachte, tritt Karliczek ihr Amt ohne dieses Rüstzeug an. Ihr Horizont der Praktikerin kann aber helfen, wenn es in den nächsten Jahren immer mehr um die Arbeitswelt der Zukunft geht. Der digitale Wandel und die künstliche Intelligenz werden ganze Berufe massiv verändern oder gar aussterben lassen. Dafür in den Hochschulen und Ausbildungsstätten rechtzeitig die Weichen zu stellen und Geld lockerzumachen, wird Karliczeks Geschick erfordern.

Das Budget, das ihr für ihre lange Aufgabenliste zur Verfügung steht, könnte üppiger sein, schlecht ist es nicht: Seit 2005 hat es sich mehr als verdoppelt, auf 17,6 Milliarden Euro. Das ist fast dreimal so viel, wie Julia Klöckner im Agrarministerium ausgeben darf.

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