Der Referendar über seine Schüler:Meutereigefahr durch Notengebung

Kolumne "Der Referendar"

Montag, erste Stunde: Französisch. Da möchten nicht nur Pascal Grüns Schüler weinen.

(Foto: SZ.de/Katharina Bitzl)

Referendar Pascal Grün hat den Rettungsring über Bord geworfen - er unterrichtet selbständig zwei Klassen. Logbuch eines Jungkapitäns in unbekannten Gewässern.

Kolumne "Der Referendar"

Pascal Grün ist 27 Jahre alt und unterrichtet als Referendar an einem bayerischen Gymnasium die Fächer Französisch und Spanisch. Auf SZ.de berichtet er regelmäßig über seine Erlebnisse als Referendar. Pascal Grün ist ein Pseudonym - zu seinem eigenen Schutz und zum Schutz der Personen, über die er schreibt. Ansonsten ist "Der Referendar" aber maximal offen und ehrlich.

Anker lichten, Leinen los! Ich habe das Steuer übernommen. Seit einigen Wochen unterrichte ich zwei Klassen: eine elfte Klasse in Spanisch und eine zehnte Klasse in Französisch. Logbuch eines Jungkapitäns.

Tag 1: In ruhigem Wasser

Meine elfte Klasse in Spanisch kenne ich bereits: Es ist die, in der ich meinen allerersten Lehrversuch gehalten habe ("Guacamole-Stunde"). Weil die Umstände dieses ersten Treffens außergewöhnlich waren, beginne ich nun denkbar profan mit einem Kennenlernspiel. Jeder Schüler soll seinen Namen und ein Hobby nennen, alles auf Spanisch natürlich.

Ich wollte solche bemühten Lehrer-macht-auf-locker-Einlagen eigentlich sein lassen, aber mein erster Unterrichtsversuch hat mich gelehrt: Routine vor Kreativität. In diesem Sinne: "Yo soy el señor Grün y me gusta viajar." ("Ich bin Herr Grün und reise gerne.") "Me Ilamo Maria y me encanta ir de compras." ("Mein Name ist Maria und ich gehe gerne shoppen.") Alle Mädchen der Klasse shoppen gerne oder treffen in ihrer Freizeit am liebsten Freunde. Hier gilt wohl noch der Pubertätsleitsatz: Individualität ist was für Außenseiter.

Ingesamt wirkt die Klasse eher angepasst. Meine Arbeitsaufträge werden anstandslos ausgeführt - Meuterei sieht anders aus. Ob der Leistungsdruck im G8 schuld ist? Oder werde ich gerade Opfer einer besonders perfiden Schülerstrategie? So ganz traue ich dem ruhigen Wasser nicht.

Tag 2: Tückische Untiefen

Klasse zehn in Französisch passt mir zunächst gar nicht. Ich kenne die Schüler nicht und der Stundenplan ist mies. Montag, erste Stunde - mon Dieu, da stöhnen nicht nur die Schüler. Außerdem habe ich mit dem zu behandelnden Stoff so meine Probleme. Berufe und Arbeitswelt - als Ex-Student und hoffentlich bald Beamter ist mein Erfahrungsschatz begrenzt und mein Blickwinkel eher nicht repräsentativ. Klar, ich hatte diverse Nebenjobs, aber eine ernsthafte Bewerbung habe ich selbst noch nie geschrieben. Und jetzt auf Französisch?

Trotzdem gehe ich dann gerne in die Klasse. Die Schüler arbeiten gut mit und erledigen fast immer ihre Hausaufgaben (16-Jährige!). Außerdem sind sie "aufgeweckt", wie ältere Kollegen gerne sagen. Zum Beispiel Johannes: Auf der Namensliste, die ich von meinem Vorgänger erhalten habe, steht ein dickes Ausrufezeichen hinter seinem Namen. Was wohl auch an Sätzen wie diesen liegt:

"Herr Grün, bald ist Wochenende. Wo steigt die Party?"

"Wie geht's Ihnen? Sie schauen fresh aus!"

"Wieso zum Teufel wollen Sie Lehrer werden? Ich würde mir das ja nicht antun!"

Ja, ich muss ihn manchmal zur Ordnung rufen, aber generell ist auf seine Mitarbeit Verlass. Warum dann nicht auch ab und zu einen "fachfremden Unterrichtsbeitrag" (Lehrerdeutsch für: störenden Zwischenruf) zulassen, wenn er für allgemeine Erheiterung sorgt?

Krieg an den Kopierern

Tag 4: Stürmischer Wellengang

Von wegen Captain, höchstens gemeiner Matrose! "Nun übernehmen Sie Ihre eigenen Klassen", hieß es - aber von selbstständiger Klassenführung keine Spur. Wir haben Stoffverteilungspläne zu erstellen, in denen minutiös jede Stunde bis zum Zwischenzeugnis aufgeführt ist und bereits festgelegt wird, welcher Stoff drankommt. Als Schüler habe ich mich immer geärgert, wenn Lehrer es kategorisch abgelehnten, im Unterricht auf aktuelle Ereignisse einzugehen. Als Referendar kann ich sagen: Man ist froh, mit dem gesetzten Programm irgendwie durchzukommen.

Selbstverständlich muss ich die Stoffverteilungspläne absegnen lassen; außerdem müssen wir Referendare vor jeder Unterrichtsstunde den jeweiligen Stundenverlaufsplan inklusive aller Arbeitsmaterialien in Kopie in einem Ordner abheften, der regelmäßig von den Seminarlehrern kontrolliert und kommentiert wird. Das führt zwischen 7.30 und acht Uhr zu Krieg an den Kopierern.

Tag 7: Rettungsring über Bord

Selbstständiger Unterricht bedeutet vor allem: jede Menge Schul-Bürokratie. Ich muss Absenzenlisten pflegen, Entschuldigungen überprüfen (Härtefälle mit Attestpflicht habe ich zum Glück nicht in meinen Klassen) und akribisch Strichlisten für fehlende Hausaufgaben führen. Letzteres halte ich in Klasse zehn und elf zwar für kontraproduktiv, schließlich soll ich die Schüler auf ein eventuelles Hochschulstudium vorbereiten - da ist Selbstdisziplin gefragt. Aber die Seminarlehrer haben uns zu einer gewissen Strenge geraten, um uns Respekt zu verschaffen. Also mache ich brav Striche und träume von einer eigenen Sekretärin.

Tag 8: Gefahr einer Meuterei

Ich erkenne einen potenziellen Nährboden für Meuterei: die Notengebung. Ungerechtigkeiten werden von der Besatzung zu Recht nicht geduldet. Vor allem bei sogenannten mündlichen "Rechenschaftsablagen" habe ich aber oft Probleme, mich für eine Note zu entscheiden. Nach Möglichkeit sollen wir jede Stunde Schüler mündlich prüfen, wobei Fragen und individueller Erwartungshorizont vorab schriftlich festhalten werden müssen. Trotz dieser schematischen Herangehensweise fällt es mir schwer, mich von äußeren Einflüssen komplett freizumachen.

Soll ich ignorieren, wenn mir eine Schülerin mit tränenunterdrückter Stimme erzählt, ihr Haustier sei gestern gestorben und außerdem schreibe sie doch heute noch eine Mathe-Prüfung? Oder berücksichtige ich das bei der Bewertung? Wenn ja, wie stark?

Und, Hand aufs Herz: Auch von persönlichen Sympathien kann ich mich nicht komplett freimachen. Fand man Streber als Schüler noch ätzend, schlägt mein Herz jetzt für die Fleißigen, die Aufgaben ohne Diskussion erledigen. Ich mag aber auch faule Rebellen wie Johannes, weil sie wichtig sind für eine entspannte Arbeitsatmosphäre in der Klasse. Schwierigkeiten habe ich dagegen mit der breiten mundfaulen Durchschnittsmasse. Da helfen nur Gespräche mit Kollegen. Und Erfahrung.

Tag 11: Freie Fahrt voraus

"Herr Grün? Herr Grün, bitte!" Ein Kollege schaut fragend in die Runde. Nach einigen Sekunden merke ich, dass tatsächlich ich gemeint bin. Einer meiner Schüler stehe vor dem Lehrerzimmer und frage nach mir, wird mir mitgeteilt. Als ich zur Tür gehe, durchströmt mich ein Glücksgefühl: Mein! Schüler! Der Zehntklässler hat eine Frage zu dem Referat, das er in der kommenden Stunde halten soll.

"Uuuuuuh", tönt es von meinen Mitreferendaren, als ich zurück an den Tisch zurückehre, "samma wichtig, oder was?" Als ich zwei Stunden später auch noch die ersten Schüleraufsätze in meinem Fach finde, weiß ich: Ich bin wirklich Lehrer.

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