Chancengleichheit:Aufstieg eines Arbeiterkindes

Als Erster aus der Familie an die Uni: Wo es Unterstützung gibt

Arbeiterkinder studieren seltener als Kinder von Akademikern.

(Foto: dpa-tmn)

Der Sohn einer Friseurin soll Molkereifachmann werden - aber doch kein Akademiker: Journalist Marco Maurer beklagt ein Bildungssystem, das Arbeiterkindern wie ihm den Weg zum Traumberuf schwer macht.

Von Hannah Beitzer

Marco Maurer hat es geschafft - so sagt man das wohl. Er, Sohn eines Schornsteinfegers und einer Friseurin, Scheidungskind aus einer bayerischen Kleinstadt, hat die Heimat verlassen, studiert, ist Journalist geworden. Welche Hürden er überwinden musste, beschreibt er in einem Buch. "Du bleibst, was du bist" heißt es und macht in seinen stärksten Momenten deutlich: "Es geschafft zu haben" ist eine verkürzte und unzureichende Floskel für das, was Maurer erlebt hat und immer noch erlebt.

In Deutschland studieren Kinder von Nicht-Akademikern viel seltener als Akademiker-Kinder. Und selbst für die, die den Weg an die Universität finden, bleibt ein Rest von dem Gefühl zurück, nicht dazuzugehören.

Erst einmal Molkereifachmann

"Du bleibst, was du bist" ist in Folge eines Artikels in der Zeit entstanden. In "Ich Arbeiterkind" erzählt Maurer ebenso wie im Buch von dem Grundschullehrer, der seiner Mutter mit den Worten "Das hat doch keinen Wert bei ihm" für den Sohn den Gang auf die Haupt- statt die Realschule empfahl. Ein Urteil, das seine Mutter, die Friseurin, von dem Akademiker, der vor ihr saß, hinnahm. Und hinterher sagte: "Ich habe mich einfach machtlos gefühlt." Marco selbst setzte durch, dass er die Aufnahmeprüfung für die Realschule machen durfte, schloss mit der Mittleren Reife ab, inklusive Ehrenrunde.

Seinen Traumberuf - Sportjournalist - redete ihm ein Mann vom Arbeitsamt erst einmal aus und riet ihm stattdessen zu "etwas Vernünftigem". Maurer lernte Molkereifachmann, holte das Abitur nach und traf zum ersten Mal auf einen Menschen, der seine Träume nicht abgehoben fand. "Sie würden einen ausgezeichneten Journalisten abgeben", sagte ihm ausgerechnet die strenge Deutschlehrerin, die ihre Schüler mit anspruchsvoller Literatur herausforderte, die der Lehrplan gar nicht vorsah. Maurer ist heute tatsächlich ein ausgezeichneter Journalist im Wortsinn, insgesamt 13 Journalistenpreise listet er auf seiner Homepage auf, drei allein für "Ich Arbeiterkind".

Was Maurer jedoch sonst so aus seinem Leben erzählt, macht deutlich, dass "Du bleibst, was du bist" nicht nur für Arbeiterkinder gilt, die in den vorgesehenen Bahnen bleiben. Sondern auch für Maurer selbst, der sich zuweilen in beiden Welten fremd fühlt: in seiner Familie, aber auch in seinem neuen akademischen Freundeskreis mit den reichen, behüteten Mädchen, von denen eine seine Freundin ist.

Fremd in beiden Welten

Er schreibt von schwierigen Gesprächen mit seinem Vater, der Schwule als "warme Brüder" bezeichnet und findet, heute noch Auschwitz-Wärter zu verfolgen, sei übertrieben. Und er schreibt mit leiser Verwunderung über das seltsame Gefühl, das ihn manchmal in Gegenwart der Eltern seiner Freundin befällt. Mit denen macht er zum Beispiel Weihnachtsurlaub in einem Chalet in der Schweiz, zu viert sitzen sie abends am Kaminfeuer, jeder von ihnen ein Buch oder eine Zeitung in der Hand. Bei seinen Eltern zuhause läuft stattdessen immer der Fernseher. Bücher hat er von ihnen nie bekommen.

Seine Herkunft beeinflusst allerdings nicht nur sein Privatleben. Maurer fühlt sich persönlich angesprochen, wenn er als Journalist über Themen wie die gescheiterte Hamburger Schulreform schreibt. Über Eltern, die sich sorgen, was passiert, "wenn unterqualifizierte Kinder von Nichtakademikern auf fortführende Schulen gehen und dort den Bildungsfortschritt der begabteren Schüler aus bildungsaffinen Haushalten aufhalten", ärgert er sich sehr.

Vieles verletzt ihn noch heute

Als beleidigend hat er 2013 die Diskussion darüber empfunden, ob einer wie der gelernte Metzger Stefan Raab das TV-Duell der Kanzlerkandidaten moderieren dürfe. Politik sei doch keine Unterhaltungsshow, monierten die Kritiker Raabs damals. Für Maurer war die Botschaft klar: Politik soll bitte weiterhin den Akademikern, den Gebildeten vorbehalten bleiben. Einer wie Raab irritiert da nur.

In dem viel zu langen Kapitel zu Beginn von "Du bleibst, was du bist" berichtet er von dem großen Erfolg seines Zeit-Artikels, von den vielen Reaktionen und der Aufmerksamkeit, die er erhalten hat. Es wirkt ein bisschen wie eine Rechtfertigung dafür, dass er dieses Buch hat schreiben müssen - oder dürfen?

Im Buch besucht Maurer weitere Aufsteiger, einigen von ihnen kommt er sehr nah. Bahnchef Rüdiger Grube zum Beispiel: Einer der einflussreichsten Manager Deutschlands erzählt dem jungen Journalisten, wie er mit 26 Jahren, nach seinem ersten Studium, an einem schweren Erschöpfungszustand litt. Dieses Schicksal teilt er mit vielen Arbeiterkindern, die sich nicht mit dem Platz zufrieden geben wollen, den ihr Umfeld ihnen zuteilt. Das Geld ist knapp, da sind keine Eltern, die mal eben was zuschießen, sie müssen neben dem Studium arbeiten und sich nicht zuletzt in einem Umfeld zurechtfinden, in das sie anders als Akademikerkinder nicht hineingeboren wurden.

"Jeder junge Mensch will etwas aus seinem Leben machen"

Andere Protagonisten bleiben blass, lassen Maurer nicht so richtig an sich heran. Außenminister Frank-Walter Steinmeier zum Beispiel, der spätestens dann dicht macht, als der Journalist ihn auf die SPD anspricht, von deren Bildungspolitik viele Arbeiterkinder enttäuscht sind. Die älteren unter ihnen berichten in dem Buch noch von der Politik Willy Brandts, die ihre Eltern dazu ermutigt habe, für die eigenen Kinder nach Höherem zu streben. Die Jüngeren, dieser Eindruck verfestigt sich in Maurers Schilderungen, sind viel mehr auf Eigeninitiative und glückliche Fügung angewiesen. Zum Beispiel in Gestalt von Menschen, die an sie glauben. Maurer kommt zu dem Schluss, dass der Aufstieg durch Bildung in den vergangenen Jahren schwieriger geworden ist.

Dabei genügt eigentlich ein Satz, um zu verstehen, worum es geht. "Jeder junge Mensch will etwas aus seinem Leben machen", schreibt Maurer schlicht. So einfach ist das. Und doch so schwer, in diesem Deutschland.

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