Bundeswehr an Schulen:Aus Afghanistan ins Klassenzimmer

Abzug der Bundeswehr aus Kundus

Bundeswehrsoldaten verlassen 2013 das Feldlager Kunduz in Afghanistan.

(Foto: Michael Kappeler/dpa)

Immer häufiger halten Jugendoffiziere der Bundeswehr Vorträge an Schulen. Unnötige Beeinflussung der Schüler oder sinnvolle politische Bildung?

Von Matthias Kohlmaier

Wahre Stärke findest du nicht zwischen zwei Hanteln. Und Grünzeug ist auch gesund für deine Karriere. Weil du Krisenherde nicht mit Abwarten und Teetrinken löschen kannst.

Was nach Glückskekssprüchen klingt, ist Teil einer Werbekampagne der Bundeswehr. Titel: "Mach, was wirklich zählt." Die Truppe hat ein Nachwuchsproblem, spätestens, seit im Juni 2010 die Wehrplicht ausgesetzt worden ist. Deshalb wendet sie sich mit Kampagnen aller Art an potenzielle Berufssoldaten.

Die Zielgruppe ist meist im Teenageralter und geht noch zur Schule. Auch dort hat die Bundeswehr ihre Präsenz deutlich ausgebaut, wie kürzlich eine Kleine Anfrage der Linken im Bundestag gezeigt hat. Demnach erreichten die Jugendoffiziere - die nicht ihres Alters wegen so heißen, sondern weil sie hauptsächlich mit jungen Menschen kommunizieren - im vergangenen Jahr allein mit Vorträgen an Schulen fast 120 000 Schüler; nochmal 10 000 mehr als 2016.

Ein Soldat kommt in die Klasse und spricht über Sicherheitspolitik, Auslandseinsätze und damit auch über seinen Berufsalltag - ist das in Ordnung? Darf die Bundeswehr an Schulen um Nachwuchs werben? Nein, meinen Friedensaktivisten sowie die Lehrergewerkschaft GEW. Ja, sagt das Verteidigungsministerium. Denn um Nachwuchsgewinnung gehe es beim Job der Jugendoffiziere überhaupt nicht.

Diese seien zwar "ein wichtiger Teil der Öffentlichkeitsarbeit der Bundeswehr", sagt ein Sprecher des Ministeriums. Bei Schülerfragen nach einer Karriere bei der Bundeswehr aber verwiesen sie grundsätzlich an die Karriereberater, die für die Truppe zum Beispiel auf Jobmessen unterwegs seien. "Die Jugendoffiziere unterstützen die Lehrkräfte im weitesten Sinne im Rahmen der politischen Bildung, indem sie den Auftrag und die Aufgaben der Bundeswehr erläutern und zu militärischen und sicherheitspolitischen Fragen Stellung nehmen", so das Ministerium weiter. An die Schulen kämen die Soldaten nur auf Einladung der Lehrkräfte, bei denen auch jederzeit die Unterrichtsverantwortung liege.

Die Linke fürchtet Militärpropaganda

Also alles gut, eine Beeinflussung der Schüler ausgeschlossen? Mitnichten, findet die Linke. Deren innenpolitische Sprecherin im Bundestag, Ulla Jelpke, forderte in der Neuen Osnabrücker Zeitung: "Dieser Wehrkundeunterricht gehört ein für alle Mal abgeschafft." An Schulen solle es Wissens- und Wertevermittlung geben, Militärpropaganda habe dort nichts zu suchen. Besonders perfide sei die Einbindung von Lehrern, die zu Vermittlern der Kriegspolitik gemacht würden: "Das untergräbt die gebotene politische Neutralität der Schulen."

Der Begriff "Wehrkundeunterricht" erinnert an DDR-Zeiten, wo von 1978 bis 1989 Wehrunterricht verpflichtendes Schulfach war. Dort wurden militärische Belange nicht nur theoretisch, sondern auch praktisch gelehrt. Schüler lernten etwa den korrekten Wurf einer Handgranate oder wie bei Bedarf eine Gasmaske aufzusetzen war.

"Die Bundeswehr hat keinen Bildungsauftrag"

Wenngleich es heute nicht mehr um die Handhabung von Waffen, sondern um Syrien, Afghanistan und weitere Krisenherde geht, fürchten viele Lehrer, dass Kinder durch die Besuche ein falsches Bild von den Aufgaben eines Berufsoffiziers bekommen. Der Berliner Pädagoge Jörg Tetzner spricht sich gegen jegliches Engagement der Bundeswehr an Schulen aus. Im Interview-Podcast sagt er: "Die Bundeswehr ist kein normaler Arbeitgeber. Wir können unseren Schülern doch keinen Job empfehlen, bei dem die Chance relativ groß ist, getötet zu werden oder zu töten."

Tetzner findet, dass der Beruf des Soldaten durch die Vorträge einseitig dargestellt wird. Jugendoffiziere berichteten an Schulen nur über positive Erlebnisse. Über Fehler in Einsätzen, über Tote und Suizide bei Auslandseinsätzen werde nicht geredet. Das Fazit des Berliner Lehrers: "Die Bundeswehr hat keinen Bildungsauftrag." Und deswegen an den Schulen nichts zu suchen.

Das sieht Heinz-Peter Meidinger anders. Der Präsident des Deutschen Lehrerverbandes hat laut eigener Aussage in 14 Jahren Schulleitertätigkeit keine schlechten Erfahrungen mit Vorträgen der Bundeswehr gemacht. "Es wäre mit meinem Demokratieverständnis nicht vereinbar, die Bundeswehr aus den Schulen fern zu halten", sagt der Verbandschef, der selbst den Kriegsdienst verweigert hat. Berufsberatung und politische Bildung dürften aber nicht vermischt werden. Und: "Wenn der Jugendoffizier den Standpunkt der Bundeswehr darstellt, muss es die Lehrkraft den Schülern ermöglichen, andere Meinungen einzubringen." Diskussion statt Indoktrination.

So ähnlich klingt das auch in einem Gutachten des wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags aus dem Jahr 2010. "Informationen über die Bundeswehr im Pflichtfach des Schulunterrichts sind verfassungsrechtlich grundsätzlich zulässig", steht dort. Das gelte allein schon deshalb, weil die Streitkräfte Teil des Staates und verfassungsrechtlich verankert seien. Allerdings müsse die Schule bei allen Veranstaltungen mit Bundeswehrvertretern auf Ausgewogenheit achten - etwa indem sie auch militärkritische Vertreter zu Wort kommen lasse oder auf die Vielfalt der Berufe außerhalb der Bundeswehr hinweise.

Und wie laufen Bundeswehrvorträge an Schulen nun in der Praxis ab? Diskussionsträchtig, meint Marius Alois Erbrich. Der Berufssoldat war im Kosovo und in Afghanistan im Einsatz, seit vier Jahren ist er als Jugendoffizier an Schulen unterwegs; allein im Jahr 2017 hat er 147 Vorträge gehalten. "Wir sollen und wollen an Schulen auch kritisch diskutieren", sagt Erbrich, "und das klappt nur, wenn ich meine eigene Meinung äußern kann. Und das darf ich auch." Bei der Gestaltung seiner Vorträge lasse ihm sein Dienstherr völlig freie Hand.

Zuletzt wurde Erbrich oft als Referent zum Syrienkonflikt von Lehrkräften eingeladen. Aber auch über die Terrormiliz IS, die Zuwanderung als sicherheitspolitische Herausforderung oder die Frage, ob Afghanistan nun als sicheres Herkunftsland eingestuft werden kann, hat er schon mit Schülern gesprochen. "Natürlich beantworte ich bei solchen Vorträgen auch Fragen zu meinem Berufsalltag und zu den Aufgaben eines Berufsoffiziers", sagt der 40-Jährige. "Aber ich will niemanden bekehren und mein Job als Jugendoffizier hat auch explizit nichts mit Nachwuchsgewinnung zu tun."

Und wie steht es mit der politischen Neutralität? Denn de facto erklärt Erbrich an den Schulen die Politik der aktuellen Bundesregierung. Würde er auch der Meinung seiner obersten Vorgesetzen, Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen, widersprechen? "Bisher war ich noch nie in der Situation, dass ich mit einem Bundeswehreinsatz oder auch der Zurückhaltung Deutschlands wie damals im Libyen-Konflikt nicht einverstanden gewesen bin. Falls das einmal so wäre, würde ich mich bei entsprechender Nachfrage in einer Schulklasse kritisch zu einer Entscheidung der Bundesregierung äußern - aber eben deutlich machen, dass das meine persönliche Meinung ist", sagt der Jugendoffizier.

Wenn das gelingt, können die praktischen Einsichten der Offiziere eine Bereicherung für den ansonsten oft trockenen Politik- oder Sozialkundeunterricht an Schulen sein. Kritik seitens der Schüler, die alle Beteiligten an der Debatte um Sinn und Unsinn der Arbeit der Jugendoffziere einfordern, muss dabei erlaubt sein. Aber dafür will die Bundeswehr ja auch selbst einstehen - laut einem Plakat ihrer Imagekampagne: "Wir kämpfen auch dafür, dass du gegen uns sein kannst."

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