Buch über Schulmassaker:Wer plant, verrät sich

Todesliste, Gebäudepläne, Motto-T-Shirt: Bisherige Schulmassaker waren meist akribisch vorbereitet. Darin liegt eine Chance, sagen die Autorinnen eines neuen Buches - denn so könnten Lehrer und Mitschüler die Täter schon vor der Tat erkennen.

Von Nadia Pantel

Ob Erfurt, Emsdetten, Memmingen oder Winnenden - wenn ein Jugendlicher seine Mitschüler erschießt, wird diese Frage zum Mantra: Warum? Doch dieses Warum sucht nur selten nach Antworten. Es fasst nur Schock, Anklage und Entsetzen zusammen. Es ist ein Warum im Angesicht eines Monsters: Warum gibt es dich? Nicht: Warum hast du das getan?

Die Tat erscheint zu grausam, im wahrsten Sinne zu unfassbar, um sie rationalisieren zu wollen. Die Psychologin Sarah Neuhäuser und der Journalist Armin Himmelrath versuchen nun in ihrem Buch über "Amokdrohungen und School-Shootings" in Deutschland den Taten das Unerklärliche zu nehmen. These der Studie: "Schulanschläge und ihre Androhung sind schreckliche Taten. Doch so hilflos Schulen, Eltern und Mitschüler auf den ersten Blick scheinen, sind sie nicht."

Mit dieser Losung eröffnen die Autoren ihr Buch - indem sie Tätern und auch Trittbrettfahrern mit empirischen Daten ein Täterprofil geben, nehmen sie der Debatte die Hysterie. Dafür verabschieden sie sich zunächst vom Begriff "Amoklauf". Wer Amok läuft, tue dies im Affekt und in rasender Wut. Das Gegenteil, so die Autoren, sei bei Schulattentätern der Fall. Sie planten ihre Taten genau und langfristig: "Die Erschaffung von Plänen führt zu dem Gefühl, endlich mal Kontrolle ausüben zu können." Exekutionen also, keine Affekthandlungen; der Begriff "School-Shootings" oder Schulattentat treffe das Phänomen besser.

Linktipp: "Schulmassaker ähneln Terroranschlägen", sagt Vincenz Leuschner, Koordinator des "Networks against School Shootings". Lesen Sie hier das vollständige Interview mit ihm.

Wer plant, erzählt früher oder später davon

So erschreckend das übliche detaillierte Vorbereiten ist, Todesliste, Gebäudepläne oder die Wahl eines Motto-T-Shirts am Tattag - aus Perspektive von Neuhäuser und Himmelrath biete eben dieser Vorlauf die Chance für Lehrer und Schüler, Täter schon vor der Tat zu erkennen. Denn: Wer plant, erzählt früher oder später davon, er verrät sich.

Im Fall Winnenden, wo 2009 zwölf Menschen starben, hatte der Täter kurz vor dem Anschlag Fotos mit Waffen und Drohungen ins Netz gestellt. Ein Großteil der Studie dreht sich darum, wie solche Drohungen zu erkennen sind. Die Hilfestellung geht dabei allerdings nicht sehr weit über die Aufforderung zu mehr Aufmerksamkeit hinaus.

Schulattentate als bleibendes Phänomen

Statistisch betrachtet ist der typische Täter nicht weit weg von seinem Klischee: männlich, 16 Jahre, schüchtern, gewaltaffin, mit einem Hang zu Ego-Shooter-Spielen. Die Killerspiele, so die Studie, seien nicht die Auslöser der Taten, aber sie erleichterten sie. Jugendliche lernten mit Simulatoren, die auch im Militär dazu dienen, Soldaten die Hemmungen vorm Schießen zu nehmen. Die Autoren rufen nicht zum Verbot auf, aber dazu, dass Eltern darauf achten, was ihre Kinder spielen.

Ihre "Kinder", nicht ihre Söhne. Auch wenn bislang alle Täter männlich waren; die beiden Experten rechnen damit, "dass in den nächsten fünf bis zehn Jahren ein erstes School-Shooting mit einem Mädchen als Täterin verübt wird." Das Buch betrachtet Schulattentate als ein bleibendes Phänomen. Schaut man sich die deutschen Fälle der Vergangenheit an, ist ein Todesschütze an Schulen pro Jahr statistisch wahrscheinlich. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.

Es stellt sich die Frage, wie Medien in Zukunft mit den Verbrechen umgehen sollten. Die ideale Antwort wäre: ignorieren. Für Schulattentate gelte das Gleiche wie für Suizide - die Gefahr von Nachahmern. Denn mit jedem Attentat an einer Schule steigt die Zahl der Attentatsdrohungen. Seit 2005 wurden insgesamt 2612 Fälle von Drohungen polizeilich registriert.

Täter dürfen nicht zu Identifikationsfiguren werden

Doch es ist unmöglich geworden, über Schulanschläge nicht zu berichten. Die Tat wird meist gar von Schülern und Lehrern in Echtzeit über soziale Netzwerke verbreitet. Ist die Nachricht in der Welt, bleibt den Medien nur noch die Frage, wie sie berichten. Das Buch zeigt, dass Täter im Nachhinein oft zu Identifikationsfiguren werden. Indem sich Medien auf die Opfer, nicht auf den Täter, konzentrieren, könne eine Heroisierung des Mörders vermieden werden.

Wo die Analyse des Phänomens zum Lösungsversuch übergeht, wird das Buch etwas unbeholfen. In der Logik der Studie ist die beste Prävention ein Schulklima, das frei von Mobbing und Angst ist und keinen Anlass für Rachegedanken schaffe. Zudem sei das "Üben des Rammbockalarms" an jeder Schule "dringend notwendig." Rammbock-Alarm heißt: Schüler fliehen nicht wie bei einem Feuer, sondern verbarrikadieren sich in den Räumen.

Es bleibt unklar, wie ein gutes Klima entstehen soll, wenn die Schüler sich gemeinsam in die Situation hineindenken müssen, dass einer von ihnen mit geladener Pistole und Todesliste zur Schule kommt.

Armin Himmelrath/Sarah Neuhäuser: Amokdrohungen und School Shootings. hep-Verlag Bern, März 2014, 160 Seiten, 19 Euro.

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