Brief einer britischen Schulrektorin:"Tests erfassen nicht, was euch einzigartig macht"

Prüfungsergebnisse können Schülerseelen verletzen. Das weiß auch die Rektorin einer britischen Grundschule und legt den Ergebnissen eines Leistungstests einen persönlichen Brief bei. Ihre Botschaft an die Kinder: Lasst euch von Noten nicht entmutigen.

Es gibt Lehrer, die das System Schule irgendwann so verinnerlicht haben, dass ihnen eine kritische Distanz schwerfällt. Und dann gibt es Rachel Tomlinson, Grundschulrektorin aus Großbritannien. Die oberste Lehrerin der Barrowford School in Nelson in der Grafschaft Lancashire im Nordwesten Englands macht jetzt mit einem Brief Schlagzeilen, den sie zum Ende des Schuljahres verschickte. Das Begleitschreiben zu den Ergebnissen eines Leistungstests hat eine klare Botschaft an die Schüler: Nehmt euch Bewertungen und Noten nicht so zu Herzen.

Einer der Briefe fand den Weg auf Twitter und machte die Absenderin zum Social-Media-Star. Die Barrowford School war am Dienstagmorgen "trending topic", dem Guardian zufolge schlugen einige Nutzer Rektorin Tomlinson sogar als neue Bildungsministerin vor. Mit ihren einfühlsamen Worten hat die Lehrerin einen Nerv getroffen, konkret heißt es in dem Brief:

Lieber Charlie O.,

Anbei findest du die Ergebnisse deiner Jahresabschlusstests. Wir sind sehr stolz auf dich, du hast großes Engagement gezeigt und in dieser schwierigen Woche dein Bestes gegeben.

Allerdings befürchten wir, dass diese Tests nicht immer erfassen, was jeden von euch so besonders und einzigartig macht. Die Menschen, die diese Tests konzipieren und auswerten kennen euch nicht so, wie es eure Lehrer und hoffentlich ich tun, und sie kennen euch mit Sicherheit nicht so gut, wie euch eure Familien kennen.

Sie wissen nicht, dass viele von euch zwei Sprachen sprechen. Sie wissen nicht, dass ihr ein Musikinstrument spielen oder tanzen oder malen könnt. Sie wissen nicht, dass eure Freunde auf euch zählen oder dass eurer Lachen den trostlosesten Tag aufhellen kann.

In Großbritannien sind an staatlichen Schulen sogenannte "Key-Stage-Tests" zum Ende jedes Schuljahres üblich. Sie haben das Ziel, den individuellen Leistungsstand von Schülern zu überprüfen, aber auch einen nationalen Vergleich von Schülerleistungen zu ermöglichen. In den vergangenen Jahren hatte die Barrowford School dem Guardian zufolge leicht unterdurchschnittlich abgeschnitten. 14 Prozent der mehr als 320 Schüler sprechen demnach Englisch nicht als Muttersprache, etwa 12 Prozent sind bedürftig und bekommen in der Schule freies Mittagessen.

Auf ihrer Webseite wirbt die Grundschule mit dem Motto "Learn to love, love to learn", zu deutsch: "Lerne zu lieben, liebe zu lernen". Schulsymbol ist ein auf der Seite liegendes Herz. Offenbar nicht nur schöner Schein: Bei der jüngsten Überprüfung habe die Schule die Bewertung "gut" bekommen, schreibt der Guardian, die Schulinspekteure hätten ausdrücklich die warme, einladende Atmosphäre gelobt, die das Selbstvertrauen der Kinder stärke und ihnen helfe, sich wohlzufühlen.

Da macht es auch nichts, dass Lehrerin Tomlinson sich bei ihrem Schreiben offensichtlich von einer amerikanischen Lehrerin hat inspirieren lassen. Die hatte bereits im vergangenen Jahr auf ihrem Blog einen Beitrag mit ähnlichem Wortlaut veröffentlicht.

Warum sollte eine gute Idee nicht Schule machen?

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