Bloggende Lehrer:Im Netz der Pädagogen

Mal anonym, mal vollkommen ohne Scheu: In Deutschland gibt es eine kleine, aber eifrige Szene bloggender Lehrer. Sie diskutieren Frust, Freude und Fachdidaktik - und die Höchststrafe der Woche.

Johann Osel

Herr Rau gibt es offen zu: "Mitteilungsdrang" ist der Grund Nummer eins. Der 43-jährige Gymnasiallehrer für Deutsch, Englisch und Informatik betreibt ein eigenes Blog im Internet, über den Schulalltag mit seinen Schnurren, Ärgernissen oder Entzückungen, über Trends aus Schulpolitik und Fachpädagogik, teils auch über nicht so ganz alltägliche Hobbys wie alte amerikanische Hörspiele.

Von seinem Wohnort München zur Schule in Fürstenfeldbruck sitzt er hin und zurück täglich mehr als eine Stunde in der S-Bahn, Unterhaltungen mit Kollegen sind da an der Tagesordnung. Und auch seiner Frau erzählte Thomas Rau am Abend oft, was er erlebt hat - bis diese, selbst Bloggerin, ihm vorschlug, das Ganze doch ins Internet zu stellen. Und so ist Rau mittlerweile einer der aktivsten Lehrer-Blogger in Deutschland, neben dem Mitteilungsdrang hat er längst andere Vorteile erkannt: den Austausch mit Kollegen, die Selbstreflexion und das Informieren über den Beruf. "Es gibt ja dieses Vorurteil, dass Lehrer humorlos sind, ständig meckern, alles besser wissen."

Der Anstoß durch die Gattin ist nun acht Jahre her. Damals, als Raus Blog mit dem Namen "Lehrerzimmer" in Betrieb ging, war die Szene überschaubar. Hätte man alle Pädagogen, die ein solches Tagebuch führen, zusammengetrommelt, wäre wohl gerade mal eine Skatrunde dagewesen. Inzwischen sind es gut 60 Blogger (teils übrigens anonym), wenngleich nicht alle ihre Seite regelmäßig aktualisieren. Kaum ein Angebot gleicht dem anderen: Manche nutzen das Blog zur Selbsttherapie, andere erörtern Notengebungsverordnungen, die nächsten ausschließlich die Trends ihres Fachs.

Fünf Dutzend Seiten bei mehr als 800.000 hauptberuflichen Lehrern bundesweit - diese Zahl wirkt dürftig, womöglich fremdeln viele Lehrer noch immer mit dem Internet; wobei Rau aber sagt, dass die Zahl in der Relation beträchtlich sei: "Außer bloggenden Journalisten oder Rechtsanwälten gibt es wohl in kaum einer Berufsgruppe so viele." Die Grundskepsis vieler Kollegen gegenüber dem "Angstmedium Internet" sieht der Lehrer allerdings schon, etwa wenn Kollegen Schülern raten, sich unbedingt nur unter falschem Namen in sozialen Netzwerken anzumelden.

Das mit dem Zusammentrommeln hat Rau übrigens auch schon mal gemacht, sieben Kollegen kamen nach München. Bei einigen Gästen wollte er einfach wissen, wer diese Leute sind, die er nur aus dem Internet kannte, deren Blogs er regelmäßig las. "Lehrer sollten viel mehr zusammenarbeiten, sich austauschen. Das Internet kann da wunderbar helfen", meint Rau. Meist dreimal pro Woche gibt es etwas Neues bei ihm zu lesen, die Zeit dafür investiert er an Nachmittagen und am Wochenende.

Fräulein Krise und die Kunst

Ein kleiner Streifzug: Aus den Lehrplänen des Ministeriums zitiert Rau, was ein Schüler in welcher Stufe können sollte. Viele User kommentieren das, Rau moderiert, diskutiert mit. Derart harte Themen gibt es, aber auch mal eine Analyse der Schludrigkeit von Schülern, wenn es Internetquellen für ein Referat über Max Frisch auszuwählen gilt. Zu finden ist etwa ein Bericht vom Weihnachtsmarkt in der Schulaula, eine Szene über den "Geruch von Zucker und verbranntem Teig, Glitzerperlen, Waffeln, schulfremde Randalierer, Musik, Lärm, viele Eltern und Schüler"; und die Umrisse eines gigantischen männlichen Gemächts, das ein Unhold nahe der Schule in den Schnee gezeichnet hat, gibt es fotografisch dokumentiert dazu. Mit Einverständnis der Schüler lädt er gelungene Aufsätze hoch, ansonsten werden die Jugendlichen in den Beiträgen anonymisiert.

Vom Leder ziehen - das ist nicht das Ziel, so Rau. Dem steht auch das Bloggen unter echtem Namen im Wege. Die Schulleitung habe keine Probleme mit seinem "Hobby", liest aber immer wieder mal mit. Würde er Interna preisgeben oder seine Loyalitätspflicht als Beamter verletzen, könnte das heikel enden.

Das sieht bei anonymen Bloggern völlig anders aus, etwa auf der Seite einer Berliner Problemschul-Lehrerin - "Fräulein Krise interveniert an der pädagogischen Borderline", lautet der Name, nur wenige Kollegen sind eingeweiht. Ihr Motiv sei das Beschreiben von "Problemen, die nicht lösbar sind, das Gegen-die-Wand-Rennen im Alltag", sagt die Bloggerin im Gespräch. Natürlich gebe es auch mal Liebenswürdiges zu berichten, vereinzelt könne ein Lehrer viel an Zuwendung zurückbekommen. Aber es gebe eben auch Enttäuschung und die Frage, warum man den Job überhaupt mache.

Und so schreibt Fräulein Krise zum Beispiel über die "Höchststrafe", eine Kunststunde der zehnten Klasse immer am Freitag: "Eigentlich sind die Jungen einzeln ganz nett, aber in der Gruppe tun sie so, als wären sie junge Hunde, die ständig balgend übereinander herfallen müssen. Die Mädchen der Klasse sind ganz annehmbar, bis auf einige Krawallschachteln." Erwähnung findet ein türkischer Junge, der nach dem Praxis-Schnuppertag konstatiert: "Ich werde Metall." Geschildert wird ein Besuch der Polizei, weil Sam und Deniz laut Schüleraussage "vollfetten Böller in der Klasse geschmissen haben", samt Knalltrauma bei einem Lehrerkollegen. Durchaus kommt im Blog Erfreuliches vor, das aber oft einer gewissen Komik nicht entbehrt: Im Unterricht wird ein in die Jahre gekommenes Naturgedicht als "voll schööön" empfunden - trotz den Schülern unbekannter Worte wie "Tal", das ein Junge am Ende doch als "so Schüssel mit Wald" zu identifizieren weiß.

Der Lehrerin geht es um das Festhalten von Erlebnissen - und Aufklärung: "Jeder redet über Problemschulen, ohne eine Ahnung zu haben, was dort tatsächlich abläuft. Viele Lehrer würden am ersten Tag schreiend davonrennen." Sie wünsche sich behördliche Anstrengungen, eventuell sogar Schulzuweisungen, um zu verhindern, dass Schulen fast ohne deutschstämmige Kinder entstehen. Sonst könne Integration nicht funktionieren. "Man muss sich nicht wundern, dass es da sprachlich drunter und drüber geht; und die wenigen Wurzeldeutschen verlernen die eigene Sprache."

Einmal wurden ihre offenen Worte politisch vereinnahmt. Auf Neonazi-Seiten wurde sie zitiert, jemand schrieb später unter ihrem Namen Hetzerisches, unerwünschte Leser tummelten sich plötzlich auf ihrer Seite. Kurz hatte Fräulein Krise da ans Aufhören gedacht. Doch bei 6000 bis 8000 Seitenbesuchern pro Tag sollten nicht alle darunter leiden.

Thomas Rau verbucht gut 600 Stammleser, diese kämen eher nicht von der eigenen Schule. Jugendliche seien etwa bei Facebook sehr aktiv, mit dem Nischenprodukt Blogs könnten sie dagegen meist wenig anfangen. Allerdings könne er Vorbild sein, zumal soziale Medien von vielen Seiten verteufelt werden. Rau will den Schülern zeigen, dass es sehr wohl funktionieren kann, etwas von sich online preiszugeben.

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