Bildungssystem in Deutschland:Das Elend der Kleinstaaterei

Bildungsstreik

Opfer der Bildungsmisere in Deutschland: Schüler und Studenten bei einer Kundgebung.

(Foto: dpa)

Es hat viele Schwächen und ist im internationalen Vergleich nur Mittelmaß: Das deutsche Bildungssystem kränkelt daran, dass Bund und Länder laut Grundgesetz nicht kooperieren dürfen. Eine große Koalition hätte die Chance, das zu ändern.

Eine Außenansicht von Klaus Kinkel

Die sich abzeichnende große Koalition kann in ihren Koalitionsverhandlungen die große Chance ergreifen, bei der Bildung endlich die Politik der Tippelschritte zu verlassen und statt Sonntagsreden Fakten zu schaffen. Die Mehrheitsverhältnisse im Bundesrat würden helfen, den auch durch föderales Gezänk und Gezerre verursachten Flickenteppich zu beseitigen, der unser Bildungssystem leider seit langer Zeit behindert.

Warum ist das so dringend nötig? Es ist kein Geheimnis, dass das deutsche Bildungssystem Schwächen hat und international mittelmäßig ist. So steht Deutschland nach dem vom Bundesverband der Deutschen Industrie und der Deutschen-Telekom-Stiftung herausgegebenen Innovationsindikator in der Bildung auf Platz 17 - von 28 untersuchten Nationen. Für dieses Jahr ist eine leichte Besserung in Sicht, aber wirklich nach vorn geht es damit nicht.

Damit kann und darf sich eine große Wissenschafts-, Forschungs- und Technologienation nicht zufriedengeben. Denn ohne gut ausgebildeten Nachwuchs und gut ausgebildete Fachkräfte wird das Land auf Dauer international nicht bestehen. Das gilt vor allem in Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft, Technik. Deutschland muss höllisch aufpassen, dass es das Land der Ingenieure und eine führende Technologienation bleibt.

Was aber muss geschehen, damit Bildung wirklich zum Megathema wird? Das Grundgesetz verbietet in Artikel 104a und 104b dem Bund und den Ländern, in der Bildung zu kooperieren. Dieses Verbot muss verschwinden, das ist ganz wichtig, und zwar für den Schul- ebenso wie für den Hochschulbereich. Da sind sich eigentlich alle einig, die in der Bildung Verantwortung tragen. Die Föderalismusreform von 2006 war in diesem Punkt ein Fehler, der korrigiert werden muss.

Zu wenig Geld für Bildung

Um es klar zu sagen: Niemand will an der Kulturhoheit der Länder rütteln. Ein zentralistisches Bildungssystem steht überhaupt nicht zur Debatte. Aber der Bund sollte dort helfen können, wo es die Länder allein nicht schaffen. Nach einer Grundgesetzänderung - die auch vor der Bundestagswahl von Vertretern aller großen Parteien ins Gespräch gebracht wurde - wäre es dem Bund erlaubt, sich finanziell an großen und wichtigen Bildungsvorhaben zu beteiligen.

Dies ist auch dringend notwendig, denn im internationalen Vergleich gibt Deutschland immer noch zu wenig Geld für Bildung aus, etwa 4,8 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Der OECD-Durchschnitt liegt bei 5,9 Prozent. Das heißt also, das Land muss mehr Mittel aufbringen, um die Finanzierung von Bildung und Wissenschaft auf international hohem Niveau und damit auch zukunftssicher gestalten zu können.

Die Schulen brauchen mehr Geld. Und auch die Hochschulen sollten auf Dauer mit einer stabilen finanziellen Basis rechnen können, um international konkurrenzfähig zu bleiben (beziehungsweise zu werden). Dies alles können die Länder nach heutiger Rechtslage und ihren Möglichkeiten allein nicht leisten.

Kleinstaaterei ist auf Dauer auch schädlich

Natürlich sind die Beseitigung des Kooperationsverbots und die Finanzierung allein auch nicht der Schlüssel zum Glück. Aber sie wären ein wichtiges psychologisches Zeichen. Was Deutschland darüber hinaus braucht, sind verlässliche, handlungsfähige Bildungspartnerschaften von Bund, Ländern und Kommunen. An die Stelle des Verbots muss daher unbedingt ein Kooperationsgebot treten, das die Zusammenarbeit der drei Partner verbindlich regelt.

Wie sich ein solches Kooperationsgebot auswirken könnte, hat eine Expertengruppe um Professor Jürgen Oelkers im Auftrag der Telekom- und der Robert-Bosch-Stiftung untersucht. Die Studie zeigt, dass ein Kooperationsgebot viele Vorteile hätte: für Lehrplangestaltung und Lehrerbildung (die besonders im Argen liegt), für den Einsatz moderner Medien an den Schulen oder die Umsetzung der Bildungsstandards, die deutlich schneller vorangetrieben werden müsste.

Hinzu kommen Aufgaben wie der gemeinsame Unterricht von Behinderten und Nichtbehinderten (um die UN-Behindertenrechtskonvention umzusetzen) und die flächendeckende Realisierung der Ganztagsschule. Auch hier ist Zusammenarbeit von Bund, Ländern und Kommunen notwendig.

Die Untersuchung belegt aber auch, dass Bund, Länder und Kommunen viele Schwachpunkte des Bildungssystems heute schon angehen könnten, wenn sie nur wollten. Gleiche Startchancen in allen Bundesländern, vergleichbare Schulstrukturen oder vergleichbare Bedingungen für den Übergang von der Schule in eine Ausbildung oder ein Studium - das wäre alles jetzt schon möglich. Aber die Länder nehmen für sich in Anspruch, mit den jeweils eigenen Strukturen und Vorhaben erfolgreich unterwegs zu sein. Das stimmt nur teilweise. Die schon zitierten Studien und weitere beweisen das Gegenteil. Es gibt hier bisher keine umfassende gesamtstaatliche Bildungsverantwortung - das ist der Grund, weshalb Deutschland in der Bildung international nur Mittelmaß ist. Die Kleinstaaterei in der Bildung ist daher nicht nur unzeitgemäß, sondern auf Dauer auch schädlich.

Große Koalition hat Riesenchance

Es ist also wirklich an der Zeit, dass sich Bund, Länder und Kommunen mit dem Willen zum gemeinsamen Erfolg zusammensetzen. Ein Nationaler Bildungsrat könnte hier Unterstützung leisten. Dieses Gremium müsste nach dem Vorbild des Wissenschaftsrates Politiker und unabhängige Fachleute zusammenbringen, um wichtige Konzepte für die Bildungspolitik vorzubereiten. Es könnte die bestehenden Gremien sinnvoll ergänzen; insbesondere die Kultusministerkonferenz (KMK), die die Abstimmung zwischen den 16 Bundesländern vorantreibt. Die KMK hat es trotz einiger Fortschritte bisher nicht geschafft, die zentralen Schwächen im deutschen Bildungssystem zu beseitigen.

Fazit: Deutschland muss nun endlich auch in der Bildungspolitik eine führende Nation werden. Die große Koalition hat jetzt die Riesenchance, dieser Aufwärtsbewegung den entscheidenden Impuls zu versetzen. Alle haben nun jahrelang von der Bildungsrepublik geredet, durchgreifende Reformen aber nicht geschafft. Indem die große Koalition auch im Bundesrat über eine große Mehrheit verfügen wird, ist jetzt die Zeit, die großen Fragen anzugehen und zu lösen.

Das Herumgerede in dieser für Deutschland so wichtigen Frage muss aufhören. Deutschland ist hier für die Gegenwart nicht gerüstet und für die Zukunft nicht vorbereitet. Die künftigen Koalitionäre müssen den Weg nun mutig beschreiten. Deutschland muss ein einig Bildungsland werden, denn Bildung ist das wichtigste, ja das Megathema für Deutschlands Zukunft.

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