Bildung im Hamburg-Wahlkampf:"Wenn es regnet, stehen hier überall Eimer"

Gemeinsame Demonstration der Hamburger Hochschulen

"Protest-Semester" - Hamburger Studenten im Dezember bei einem Demonstrationszug für bessere Ausstattung an ihren Hochschulen.

(Foto: Markus Scholz/dpa)

Vor der Wahl in Hamburg hört man an der Universität der Hansestadt viele Klagen. Die Wissenschaftssenatorin zieht trotzdem stolz Bilanz. Einblicke in den Bildungswahlkampf.

Von Thomas Hahn, Hamburg

Eine gediegene Aufbruchstimmung hat eingesetzt im jüngsten Forschungshaus von Hamburg-Bergedorf. Die Hochschule für Angewandte Wissenschaften feiert die Eröffnung ihres neuen Energie-Campus. Sekt und Schnittchen werden gereicht, verschiedene Grußworte sind zu hören, Bürgermeister Olaf Scholz sagt: "Erneuerbare Energien sind ein zentraler Weg in eine sichere, umweltverträgliche und wirtschaftlich erfolgreiche Zukunft."

Von der SPD-Regierung sind außerdem Wirtschaftssenator Frank Horch und Wissenschaftssenatorin Dorothee Stapelfeldt da. Die Leute sollen sehen, dass der Senat einen Sinn für die Forschungsfragen von morgen hat. 3,8 Millionen Euro hat er beigetragen zu den Kosten des Campus von 7,3 Millionen Euro. Stapelfeldt sieht das gerne im größeren Zusammenhang: "Wir sind stolz darauf, dass wir an vielen Stellen große Schritte vorangekommen sind bei dem Bemühen, Wissenschaft und Forschung in Hamburg voranzubringen."

Am 15. Februar sind Bürgerschaftswahlen in Hamburg, die Scholz-SPD steht vor der Wiederwahl. Trotzdem kann ein Termin wie diese Eröffnung der Bergedorfer Zukunftswerkstatt gerade jetzt nicht schaden. Bildung und Wissenschaft sind ein Thema im Wahlkampf. CDU-Spitzenkandidat Dietrich Wersich will Hamburg laut Wahlwerbung "zur Wissens- und Gründermetropole ausbauen". Die FDP skandiert: "Hamburg soll Wissenschaftsmetropole werden." Das klingt nach Ideen, die es noch nicht gibt, und weil die Hochschulpolitik der SPD-Alleinregierung zuletzt nicht nur Positiv-Schlagzeilen machte, hat sie ein Interesse daran, etwas gerade zu rücken.

Wissenschaftssenatorin Stapelfeldt ist sehr aufgeschlossen, wenn man sie um eine Bilanz bittet. Das Fest in Bergedorf nimmt seinen Lauf, eine Band hat angefangen zu spielen. Und Dorothee Stapelfeldt zählt auf, was ihre Behörde seit 2011 noch so alles bewerkstelligt hat: ein neues Max-Planck-Institut in Bahrenfeld, der Beginn der Bauarbeiten am neuen Zentrum für Hybrid-Nanotechnologie und am Campus Bundesstraße, nur als Beispiele. "Alles in allem werden wir für die Bauten von Wissenschaft und Hochschulen bis 2020 eine Milliarde Euro ausgegeben haben." Die Senatorin findet das "schon sehr viel".

Trotzdem ist die Stimmung am größten Wissenschaftsstandort Norddeutschlands getrübt. Das Verhältnis des Senats zur Universität Hamburg (UHH) ist kompliziert. Da kann der Senat noch so oft sagen, dass er jedes Jahr eine Milliarde Euro vom Zwölf-Milliarden-Haushalt für die Hochschuleinrichtungen abzweige. Die UHH mit ihren 40 000 Studenten fühlt sich unterfinanziert, es besteht großer Sanierungsbedarf. Präsident Dieter Lenzen hat das zeitweise ziemlich harsch thematisiert. Der Allgemeine Studierenden-Ausschuss (AStA) hatte dieses Wintersemester als Protestsemester ausgerufen. Und eine Versöhnung scheint nicht direkt bevorzustehen.

Noch kann die Probleme jeder sehen

"Es ist legitim, dass jeder seine Interessen artikuliert", sagt Stapelfeldt, "man muss dann aber auch deutlich machen, was hier passiert." Sie verweist auf Mittel für die Hochschulen, die in den nächsten acht Jahren um jährlich ein Prozent steigen. Auf 292 Millionen Euro, welche die UHH allein dieses Jahr an Zuwendung erhalte. Und sie sagt: "Die Universität Hamburg hat einen großen Teil an Betriebsmitteln, der noch nicht verwendet ist, ungefähr 200 Millionen, und sie hat Reserven in einer Größenordnung von zuletzt definiert 170 Millionen Euro." Warum nicht damit den Campus erneuern?

Uni-Präsident Lenzen sagt, das gehe gar nicht. "Die Universität darf selbst nicht als Bauherr auftreten. Im Übrigen beträgt der Sanierungsstau 640 Millionen." Die Rücklagen? "Die Reserven der Universität machen unter 100 Millionen aus, die bereits für andere dringend erforderliche Maßnahmen reserviert sind." Er findet es nicht überzeugend, dass der Senat die sogenannten Bafög-Millionen nicht direkt an die Hochschulen weitergegeben hat; 30 Millionen stehen Hamburg zusätzlich zur Verfügung, weil der Bund die Finanzierung der Studierenden-Hilfe zu Jahresbeginn voll übernommen hat.

Doch zu dieser Kritik sagt wiederum Stapelfeldt, dass die Bafög-Millionen sehr wohl den Hochschulen zugute kämen, auch wenn der Senat sie nicht direkt deren Grundfinanzierung zugeschlagen habe: "Wir werden das Geld für die Bauvorhaben in der Zukunft nutzen, die noch nicht von der Bürgerschaft beschlossen sind." Die Darstellungen von Politik und Uni passen nicht zusammen.

Esther Bender aus dem AStA-Vorstand führt durch die sanierungsbedürftigen Betonlandschaften der Universität. Zum Philosophenturm, dessen Brandschutzmängel seit Jahren bekannt sind. Vorbei an notdürftig verkleideten Wänden im Gebäude der Wirtschaftswissenschaften, dem sogenannten WiWi-Bunker. Im Foyer der Universität für Wirtschaft und Politik sagt sie: "Wenn es regnet, stehen hier überall Eimer, weil die Decke nicht dicht ist." Und sie zeigt die Holzgerüste am theologischen Institut, die Passanten schützen sollen, damit ihnen die bröckelnde Fassade nicht auf den Kopf fällt.

Ein Umzug der Universität aus der Innenstadt stand mal zur Diskussion, deshalb kam es lange nicht zu den nötigen Renovierungen. Die muss man jetzt nachholen, und Senatorin Stapelfeldt hat auch schon verschiedene Renovierungsarbeiten angekündigt, zum Beispiel am Philosophenturm. Aber noch kann die Probleme jeder sehen.

Studierendenvertreterin Bender findet es etwas schade, dass sich so viel um bauliche Mängel dreht in der Hamburger Debatte. Die AStA-Kritik reicht tiefer. Sie setzt beim Grundverständnis von Bildung an. Die Interessen der Wirtschaft werden ihr zu dominant, im straffen Bachelor/Master-System sorgt sie sich um die Universität als Raum für selbständiges Denken. Hochschulpolitik? "Empfinden wir oft als Standort-Politik", sagt Esther Bender. Ihr kritischer Geist bekommt nicht viel mit von den Hamburger Aufbruchstimmungen.

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