"Bibliomanie":Wissenschaftler soll Zehntausende Bücher geklaut haben

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Selten, alt und wertvoll: Die Polizei hat im Haus eines hessischen Ministerialbeamten kistenweise Bücher gefunden, die aus mindestens 50 Bibliotheken gestohlen wurden. Dass der Bücherdieb überführt wurde, ist einem Prinzen zu verdanken.

Latein kommt in der Polizei-Ausbildung ein bisschen kurz. Das rächt sich jetzt, scherzen die Beamten in Nordhessen. Sie haben dieser Tage mit Diebesgut der etwas anderen Art zu tun: Bücher - alte, wertvolle, seltene Bücher. Rund 24.000 Bände hat die Polizei vor zwei Wochen im Haus eines Wissenschaftlers entdeckt, beschlagnahmt und an einen sicheren, geheimen Ort gebracht.

Das älteste Buch, das sie bisher entdeckten, stammt aus der Mitte des 16. Jahrhunderts und ist auf Latein geschrieben. Die meisten Bände stammen aus dem 18. Jahrhundert. Inhaltlich geht es meist um Naturwissenschaften, Schwerpunkt Geologie. "Millionenwerte", sagt Dirk Virnich von der Polizeidirektion im nordhessischen Korbach. In dem Einfamilienhaus des Familienvaters in Darmstadt gab es kaum eine Stelle, an dem keine Bücher lagen, berichten Augenzeugen, die Regale waren schon lange voll. "Von sachgerechter Lagerung kann keine Rede sein."

Dass der Mann überführt wurde, ist Wittekind Prinz zu Waldeck und Pyrmont zu verdanken. Der 75-Jährige ist ein Verwandter von Königin Beatrix der Niederlande und als Erbe der Fürstlich Waldeckschen Hofbibliothek in Bad Arolsen Herr über 35.000 historische Bücher. Dort wurde der Bücherdieb am 21. Februar auf frischer Tat ertappt, als er mit 53 Bänden das Schloss verlassen wollte. Man hatte ihn im Auge, nachdem immer wieder Werke über Mineralogie, Geophysik und Naturlehre verschwunden waren. "Der machte einen hervorragenden Eindruck", erinnert sich der Prinz an den Besucher, "ein hochintelligenter Kerl".

Mitten im Leben

Der promovierte Geowissenschaftler und Diplomgeologe war Mitarbeiter des hessischen Wissenschaftsministeriums, davor hatte er das Biotechnik-Zentrum der Technischen Universität Darmstadt geleitet. Als Kommunalpolitiker war der verheiratete Vater zweier Kinder für die SPD aktiv.

Jeden Tag dringen neue Details dieser Art an die Öffentlichkeit und stets werden sie von den entsprechenden Quellen bestätigt. Das Ministerium hat den 45-Jährigen inzwischen suspendiert, sein Mandat in der Stadtverordnetenversammlung legte er freiwillig nieder. Den Büchernarren erwartet jetzt eine Anklage wegen schweren Diebstahls, darauf stehen drei Monate bis zehn Jahre Haft.

Die Polizei im beschaulichen Korbach kam - wegen des Orts der Festnahme - zu dem Fall wie die Jungfrau zum Kind. Seit der Fall publik wurde, rufen ständig Bibliotheken an, die glauben, zu den Geschädigten zu gehören. Nach heutigem Stand der Ermittlungen wurde die illegale Privatsammlung aus mindestens 40 deutschen und 10 ausländischen Häusern zusammengeklaut. Auch viele große sind darunter wie die Bibliothek der Berliner Humboldt-Universität. Sie alle werden sich gedulden müssen, bis sie ihre Bestände zurück bekommen. "Die Kollegen sind immer noch beim Kistenauspacken", berichten Mitarbeiter der Arbeitsgruppe der Polizei. "Wir müssen jedes Buch in die Hand nehmen."

Hohe kriminelle Energie

Bücherdiebe gehen nach Einschätzung des Deutschen Bibliotheksverbands (dbv) mit hoher krimineller Energie vor. Vorstandsmitglied Jürgen Heeg erinnert sich an einen Literaturprofessor, der die Buchblöcke aus den Einbänden schnitt und sie durch wertlose Seiten ersetzte oder ähnliche Bücher vom Flohmarkt ins Regal stellte. Da gerade alte Bücher selten ausgeliehen würden, falle ihr Fehlen oft lange niemandem auf: "Bei einem selten genutzten Werk kann es Jahre dauern, bis das einer bemerkt." Mancher Dieb habe es gezielt auf wertvolle Bestände abgesehen - "entweder, um sich zu Hause daran zu erfreuen, oder weil er weiß, dass es einen Markt dafür gibt".

Was den Darmstädter Geologen trieb, ist nicht bekannt. Als die Polizei ihn vernahm, schwieg der Beschuldigte. Um finanzielle Bereicherung scheint es ihm nicht gegangen zu sein. Im Gegensatz zu vergleichbaren Fällen hat er offenbar nie versucht, eines der Bücher über das Internet, bei einem Antiquariat oder einer Auktion zu Geld zu machen. Der Prinz glaubt an eine Art Krankheit: "Bibliomanie."

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