Berliner Hochschule:"Wer liest schon Habilitationsschriften?"

Peter Beuth

Beamter und Judenfeind: Christian Peter Beuth.

(Foto: bpk/Kupferstichkabinett, SMB)
  • Seit 2008 heißt eine Berliner Hochschule nach dem preußischen Beamten Christian Peter Beuth.
  • Der Wegbereiter der Ingenieurwissenschaften war jedoch Antisemit, nun ist an der Hochschule eine Diskussion um die Namensgebung im Gange.

Von Christine Prußky

Eltern wissen es: Einen Namen zu finden, ist Stress pur. In akademischen Gemeinschaften ist das nicht anders. Besonders viel Sprengkraft enthält die Namensdebatte, wenn historische Persönlichkeiten als Identifikationsfiguren verhandelt werden. Wie würdig muss ein Mensch sein, um einer Hochschule als Leitfigur zu dienen?

Die Hochschule für Technik im ehemaligen Berliner Arbeiterbezirk Wedding war mit dieser Frage ein sattes Jahr beschäftigt. "Nach bestem Wissen und Gewissen" sei "alles Denkbare" abgewogen und geprüft worden, sagt der damalige Präsident Reinhard Thümer rückblickend. Trotzdem war am Ende ein Abstimmungsmarathon von drei Stunden nötig, bis eine Mehrheit für den Wegbereiter der Ingenieurwissenschaften Christian Peter Beuth (1781 - 1853) gefunden war. Im Januar 2008 war das. Zehn Jahre später steht die Hochschule vor einem politischen Scherbenhaufen. Beuth war Antisemit. In einer Rede aus dem Jahr 1811 wünschte der preußische Ministerialdirigent Juden den Tod und reproduzierte antisemitische Ressentiments jener Zeit.

"Wir wussten das nicht", sagt Monika Gross, die den damaligen Entscheidungsprozess als Professorin miterlebte. Heute steht die Molekularbiologin als Präsidentin der Berliner Hochschule im Licht. Von Beuths Antisemitismus habe sie nichts geahnt, obwohl sie es eigentlich hätte wissen können. Der Literaturwissenschaftler Stefan Nienhaus hatte schon 2003 für seine Habilitation ein Buch zur "Geschichte der Deutschen Tischgesellschaft" geschrieben. Vor jenem elitären Berliner Zirkel aus Politikern, Unternehmern, Technikern, Dichtern und Philosophen hielt Beuth damals seine Hassrede - wie andere Tischgenossen auch. "Aber", fragen Thümer und Gross unabhängig voneinander, "wer liest schon Habilitationsschriften?"

So oder so: Nach dem Schnitzer soll in der Aufarbeitung der Causa Beuth jetzt alles richtig laufen. Die Hochschule hat sich Transparenz und einen offensiven Umgang verordnet. Ein Beuth-Blog ist eingerichtet. Ein erstes Gutachten von Historikern liegt vor, und es gibt Stellungnahmen dazu, die bei einer öffentlichen Veranstaltung im Juni gleich mit diskutiert wurden. "Die Beuth-Hochschule", war danach in der Jüdischen Allgemeinen zu lesen, "will sich möglichst rasch umbenennen."

So weit ist die akademische Gemeinschaft im Wedding allerdings längst noch nicht. Vergangene Woche konstituierte sich eine hochschulinterne Arbeitsgruppe. Studierende, Beschäftigte, Professoren sollen darin gemeinsam die weitere Debatte orchestrieren. Die gesamte Hochschule soll "mitgenommen werden", sagt Gross. Tatsächlich ist die Hochschule mit ihren 12 000 Studierenden und knapp 800 Beschäftigten nach dieser Namenspleite zerrüttet. Während manche darüber diskutieren, die Stoffbeutel der Hochschule mit dem Gesicht des Namensgebers in Nähaktionen zu entfremden, suchen andere noch nach einer Haltung.

"Wenn wir den Namen Beuth jetzt einfach so ablegen, ändert das doch nichts daran, dass Antisemitismus zu unserer Geschichte gehört", sagt Gross und plädiert für eine "kontinuierliche Auseinandersetzung". Für Achim Bühl, Techniksoziologe an der Hochschule, gehört dazu vor allem die strikte Trennung vom Namenspatron. Beuth sei mit seiner "völkisch motivierten Judenfeindschaft" auch als Ministerialbeamter darauf bedacht gewesen, "mit aller Macht die Judenemanzipation des 19. Jahrhunderts zu Fall zu bringen", schreibt Bühl in seiner Stellungnahme. Eine "im zeitüblichen Spektrum durchaus als rigide zu bezeichnende judenfeindliche Haltung", wird Beuth auch in dem von der Hochschule bestellten historischen Gutachten attestiert.

Carl von Clausewitz, die Dichter Ludwig Achim von Arnim, Clemens von Brentano und der Philosoph Johann Gottlieb Fichte gehörten neben Beuth zu jener Berliner Tischgemeinschaft, bei der üblicherweise erst nach einem üppigen Essen mit gelöster Zunge das Wort geführt wurde. Dass es dabei in hohem Maß antisemitisch zuging, ist unstrittig. "Der Fall Beuth", schlussfolgert die Jüdische Allgemeine, zeige "erneut, dass das systematische Verschweigen von Antisemitismus in den Biografien" beendet werden müsse. Es gibt viel zu tun. Nicht nur in Berlin.

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