Berlin:Wenn der Lehrer Verschwörungstheorien verbreitet

Berlin: Ein Lehrer kann die Bühne des Klassenraums nutzen, um seine Therorien zu verbreiten.

Ein Lehrer kann die Bühne des Klassenraums nutzen, um seine Therorien zu verbreiten.

(Foto: imago; Collage Jessy Asmus)

Einer betreibt einen fragwürdigen Youtube-Kanal, der andere macht Wahlkampf für die AfD. Wie politisch darf ein Lehrer sein?

Von Hannah Beitzer, Berlin

Wie kann es sein, dass "so jemand" auf Kinder losgelassen wird? Diese Frage stellte sich, als der AfD-Politiker und Geschichtslehrer Björn Höcke in einer Rede das Holocaust-Mahnmal als "Denkmal der Schande" bezeichnete, eine "erinnerungspolitische Wende um 180 Grad" forderte.

Wie kann es sein, dass "so jemand" auf Kinder losgelassen wird?, war auch die Frage im Fall eines Berliner Grundschullehrers, über den der Tagesspiegel berichtet hatte. Der Mann postet auf seinem Youtube-Kanal Videos, in denen er sich als rechts bezeichnet, das "weiße Europa" vom Aussterben bedroht sieht und Verschwörungstheorien verbreitet. Er bezweifelt etwa, dass das deutsche Grundgesetz eine Verfassung ist. Vieles erinnert an die Reichsbürger-Bewegung, die in den vergangenen Jahren in den Fokus der Sicherheitsbehörden gerückt ist.

Politische Polarisierung macht vor Schulen nicht halt

Der Lehrer lässt sich außerdem von einem Kameramann dabei begleiten, wie er Veranstaltungen stört, etwa eine Schweigeminute auf dem Evangelischen Kirchentag für Menschen, die auf der Flucht ums Leben kamen. Auch auf Veranstaltungen mit deutschen Politikern - in der Vergangenheit neben anderen Angela Merkel und Renate Künast - tritt er immer wieder als Störer auf. Inzwischen hat die Berliner Schulbehörde Anzeige gegen den Mann erstattet und ihn bei der Senatsverwaltung für Inneres als möglichen "Reichsbürger" gemeldet. Solange die Ermittlungen laufen, ist er freigestellt.

Die politische Polarisierung der Gesellschaft, wie sie sich im Aufstieg der AfD, in den Pegida-Demonstrationen in Dresden, in den heftigen Diskussionen in sozialen Netzwerken und in der Debatte um "Fake News" zeigt, macht auch vor der Schule nicht halt. Und natürlich haben auch Lehrer eine politische Meinung. Nur wie damit umgehen?

Björn Höcke ist beileibe nicht der einzige von ihnen, der sich in der AfD engagiert. Wie Ilka Hoffmann von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) erzählt, bewegt das Thema auch einige Kollegen. "Ich bekomme immer wieder Nachfragen: Mein Kollege macht im Ort Wahlkampf für die AfD - darf er das?" Die Expertin erklärt dann die Regeln, die für politisches Engagement von Lehrern gelten.

Was Lehrer dürfen - und was nicht

"In der Schule gilt grundsätzlich das Neutralitätsgebot", sagt Hoffmann. Das bedeute allerdings nicht, dass ein Lehrer keine politische Meinung äußern dürfe. "Wenn ich zum Beispiel eine Meinung zu einem Bundeswehreinsatz habe, dann darf ich die äußern. Ich muss aber auch immer die Gegenseite erwähnen - ganz egal, ob meine Meinung davon geprägt ist, dass ich früher in der Bundeswehr war oder in der Friedensbewegung."

Schüler sollen so lernen, dass es verschiedene Meinungen gibt, die sie debattieren können. Auf keinen Fall dürfen Lehrer im Unterricht Werbung für Parteien machen, zum Beispiel Wahlflyer verteilen. Dabei macht es keinen Unterschied, ob es Werbung für die SPD oder die AfD ist.

Außerhalb der Schule wird es dann schon komplizierter, zum Beispiel in der Unterscheidung zwischen verbeamteten und angestellten Lehrern. Beamte dürfen sich ausdrücklich politisch engagieren, auch ein Mandat für eine Partei anstreben, die nicht verboten ist. "Für sie gilt allerdings auch außerhalb der Dienstzeit das Mäßigungsgebot, sie müssen sich auch abseits des Schulalltags tadellos verhalten." Dazu gehöre zum Beispiel, keine "Fake News" zu verbreiten und keinen Zweifel daran aufkommen zu lassen, dass sie ihre Pflicht insbesondere zur Neutralität trotz des politischen Engagements erfüllen können.

In besonderem Maße der Verfassung verpflichtet

Beamte sind in besonderem Maße der Verfassung verpflichtet, sobald eine der in der Freizeit vertretenen Positionen im Widerspruch dazu stehe, sei eine Grenze überschritten. "Bei einigen Äußerungen führender AfD-Politiker, wie zum Beispiel zu einem wünschenswerten Schießbefehl an europäischen Grenzen, wäre das womöglich der Fall. Aber solange die AfD nicht verboten ist, reicht eine Mitgliedschaft allein nicht aus für einen Verstoß gegen die Pflichten", sagt Hoffmann.

Sobald Beamte übrigens tatsächlich ein Mandat in einem Parlament errungen haben, ruhen in dieser Zeit ihre Rechte und Pflichten aus dem Beamtenverhältnis. So ist es etwa beim Geschichtslehrer Björn Höcke, der seit 2014 Abgeordneter des Landtags in Thüringen ist und vorher in Hessen verbeamtet war. Das hessische Bildungsministerium möchte eigenen Angaben zufolge verhindern, dass er nach einem möglichen Ausscheiden aus der Politik wieder als Lehrer arbeitet.

Wer ist hier radikal?

Anders verhält es sich im Fall des Berliner Lehrers, der an seiner Schule nur angestellt ist. "Für angestellte Lehrer gelten nicht dieselben strengen Regeln wie für Beamte", sagt Hoffmann. Aber ein strafrechtlich relevantes Verhalten könne auch hier eine Entlassung zur Folge haben.

Dass zurzeit hauptsächlich Fälle rechter Lehrer in der Öffentlichkeit diskutiert würden, sei neu, sagt die Gewerkschafterin noch. Sie erinnert an den "Radikalenerlass" von 1972, der im Zuge des RAF-Terrors vor allem linke Staatsfeinde im öffentlichen Dienst verhindern sollte und nicht nur von Kritikern aus dem radikalen politischen Segment als "Berufsverbot" bezeichnet wurde.

Und an Fälle, die noch gar nicht lange zurück liegen. Wie etwa der des Realschullehrers und Antifa-Aktivisten Michael Csaszkóczy, den der Staat nach seinem Referendariat nicht in den Schuldienst lassen wollte. Der Lehrer zog vor Gericht, bekam Recht und sogar Schadensersatz zugesprochen und wurde schließlich eingestellt und verbeamtet. Der Verfassungsschutz beobachtete den Mann jedoch auch nach den Prozessen weiter.

Beim Verfassungsschutz liegt inzwischen auch der Fall des Berliner Lehrers mit dem umstrittenen Youtube-Kanal. Der lädt weiterhin fleißig Videos hoch, in denen er sich bei den Medien für die Berichterstattung über seine Person bedankt. Denn das sei ja die beste Werbung.

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