Berlin verweigert Auskunft über Schulabbrecher:Transparenz: ungenügend

Rütli-Hauptschule in Berlin

Note 4,1: Die Rütli-Schule in Neukölln schneidet bei "Schulradar" schlecht ab - obwohl sie inzwischen zu den Vorzeigeschulen in dem Berliner Brennpunkt-Viertel gehört.

(Foto: dpa/dpaweb)

Welche Schule ist die beste fürs Kind? Bei dieser Frage will die Webseite "Schulradar" Eltern helfen. Für die Benotung der Schulen spielen auch Abbrecherquoten eine Rolle - doch über die verweigerte der Berliner Senat die Auskunft. Jetzt wurde vor Gericht verhandelt.

Von Constanze von Bullion, Berlin

Es soll Menschen geben, die das Gericht für den Hort ewiger Gestrigkeit halten. Papierstapel werde da auf altmodischen Aktenwägelchen herumgekarrt, und die moderne Informationsgesellschaft scheint einer ferner Planet. In Berlin etwa saßen vor nicht allzu langer Zeit noch Staatsanwälte und Richter in Amtsstuben, in denen es keine Dienstcomputer gab und Telefone, mit denen man nicht direkt rauswählen konnte in die Welt.

Das ist jetzt anders geworden, und mit dem digitalen Datenfluss hat auch ein anderes Denken über das Netz die Justiz erreicht. Zu besichtigen war das am Donnerstag am Berliner Verwaltungsgericht, Saal 1202. Dort klagten die Betreiber der Internetplattform "Spickmich" gegen den Berliner Schulsenat. "Spickmich" ist ein Forum, bei dem Schüler anonym ihre Schulen und Lehrer benoten können. Der dazugehörige Verlag "Schulradar" will Eltern helfen, eine gute Schule zu finden.

2010 wollte "Spickmich" von der Berliner Schulverwaltung die Zahlen der Schulabbrecher an allen weiterführende Schulen haben. Der Senat verweigerte das.

Nur in den neuen Ländern gibt es mehr Schulaussteiger

Nun könnte man annehmen, dass die Behörde nicht bekannt machen will, dass 7,1 Prozent der Berliner Schüler im letzten Schuljahr ohne Abschluss abgegangen sind. Das waren zwar 2,7 Prozent weniger als im Vorjahr. In ehemaligen Hauptschulen aber liegt die Abbrecherquote bei 27 Prozent. Nach einer Studie der TU Dortmund gibt es nur in den neuen Ländern noch mehr Schulaussteiger als in Berlin.

Darum aber geht es dem Berliner Senat offiziell gar nicht. Dort will man die Abbrecherquote einzelner Schulen nicht verraten, weil man ein ungerechtes Ranking befürchtet. "Diese Quote hängt stark vom sozialen Umfeld einer Schule ab, das kann in Berlin sehr unterschiedlich ausfallen", sagte die Sprecherin der Bildungsverwaltung, Beate Stoffers. Eine Schule im reichen Zehlendorf könne nicht mit einer im armen Wedding verglichen werden. "Schulradar" aber berücksichtige solche Umfeldfaktoren nicht, das könne "bei den Bürgern zu falschen Schlüssen und zur Beeinträchtigung der pädagogischen Arbeit führen."

Unreflektiertes Zusammenschustern von Daten stigmatisiert Schulen in benachteiligten Kiezen, denen dann die letzten Bildungsbürgerkinder weglaufen, heißt das im Klartext.

Nun kann man die Methoden von "Schulradar" sicher hinterfragen. Wer dort Berlin anklickt, sieht Dutzende Schulen, von denen eine einzige rot aufleuchtet und bewertet wurde: die Rütli-Schule in Neukölln, Note 4,1. Wer jetzt vom Chefredakteur wissen will, ob sich nicht herumgesprochen hat, dass die Rütli-Schule inzwischen zu den Vorzeigeschulen Neuköllns gehört, landet dreimal im Callcenter und einmal auf einer Mailbox, aber nie in einer Redaktion. Gibt es die überhaupt?

"Konstitutiv für eine demokratische Gesellschaft"

Doch, gibt es, versichert ein Anwalt in Saal 1202 des Verwaltungsgerichts Berlin, wo drei Vertreter des Schulsenats eine Schlacht schlagen, gegen die Zeiten und das Gesetzbuch.

Solche Netzbewertungen, sagt einer, seien "keine objektiven Kriterien, sondern ein selbstreferentielles System", das den "pädagogischen Prozess" beschädige, unseriös sei. Die Richterin antwortet: "Sie trauen den Menschen offenbar nicht zu, dass sie diesen Filterungsprozess selbst vornehmen können." Dass der mündige Bürger sich Informationen verschaffe und sie bewerte, sei "konstitutiv für eine demokratische Gesellschaft".

Eine Vertreterin des Senats versucht es wieder, mit dem Schulgesetz. Vergebens. "Es ist überhaupt nicht einzusehen", sagt der Vorsitzende Richter und meint das Zurückhalten von Daten durch Behörden, das dem Informationsfreiheitsgesetz entgegen stehe. Auch die Polizei veröffentliche die Kriminalstatistik, die "nicht nur intern zu evaluieren, sondern auch der Öffentlichkeit gegenüber plausibel zu machen" sei.

Der Rest ist Ankunft in der Wirklichkeit. Der Senat erklärt den Fall für erledigt und gelobt, die Daten herauszugeben. Bei "Spickmich" geht immer noch keiner ans Telefon.

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