Arbeitsmarkt für Pädagogen:"Der Lehrerbedarf im Osten wird massiv unterschätzt"

Lehrer werden immer gebraucht, heißt es. Doch inzwischen stehen in einigen Regionen junge Lehrer auf der Straße - anderswo werden händeringend Lehrkräfte gesucht. Wie kann das sein? Ein Faktencheck zum Lehrermangel.

Von Karin Janker

  • Der Lehrerbedarf in den neuen Bundesländern wird wohl weiter steigen, auch im angelaufenen Schuljahr bleiben Stellen unbesetzt.
  • Im Westen Deutschlands herrscht dagegen tendenziell ein Überangebot an Lehrern, bei sinkendem Bedarf.

Das neue Schuljahr hat inzwischen in allen Bundesländern begonnen, doch nicht überall verläuft der Start reibungslos. Während in einigen Schulen im Osten Deutschlands noch immer Lehrerstellen unbesetzt sind, ruft die "Bewegung in Bildung" in Bayern gleich in der ersten Schulwoche zum Flashmob auf, um unter anderem auf die schlechte Einstellungssituation an bayerischen Schulen aufmerksam zu machen. Auf der einen Seite also zu wenige Lehrer und auf der anderen zu viele? Wie steht es tatsächlich um den Arbeitsmarkt für Lehrer? Ein Faktencheck.

Herrscht in Deutschland derzeit Lehrermangel?

Experten wollen nicht von einem generellen Lehrermangel in Deutschland sprechen, auch wenn in einigen Regionen tatsächlich Lehrkräfte gesucht werden. Der Arbeitsmarkt für Lehrer teilt sich grob in Ost und West: Der Kultusministerkonferenz zufolge übersteigt im Westen die Zahl der Lehrer den Bedarf um 39 Prozent. In Ostdeutschland dagegen müssten zwölf Prozent mehr Lehrer eingestellt werden. Trotzdem waren laut Statistik der Bundesagentur für Arbeit im August 2014 im Osten etwa 2000 Lehrer arbeitslos. Ein Grund dafür ist, dass der Bedarf für bestimmte Schulfächer und -arten größer ist als für andere. Im Westen waren sogar knapp 8200 Lehrer arbeitslos.

Gibt es im Westen ein Überangebot an Lehrern?

Je nach Bundesland, Schulart und Fächern gibt es momentan tatsächlich einen Überhang auf dem Arbeitsmarkt für Lehrer. Vor allem Gymnasiallehrer in Bayern finden momentan schwer eine Stelle. "Das ist aber normal. Die Studenten müssen wissen, dass sie nicht immer mit direkten beruflichen Anschlüssen rechnen können", sagt Axel Gehrmann, Bildungsforscher an der TU Dresden. Die Mär von der "Lehrerschwemme" findet er gefährlich, da sie junge Leute vom Lehramt abschrecken könne, die dann in ein paar Jahren wiederum als Lehrer fehlen.

Was ist der Grund für die Ungleichverteilung?

Der Lehrermangel im Osten ist eine Folge des dortigen Geburtenrückgangs nach 1990: Weil es weniger Schüler gab, wurden Lehrer in Teilzeit versetzt und kaum neue Stellen geschaffen. Inzwischen hat sich die Geburtenrate etwas erholt, zudem wächst der Bedarf wegen einer Pensionierungswelle. "Der Arbeitsmarkt für Lehrer ist kein Markt wie in der freien Wirtschaft: Trotz starker Konjunkturschwankungen kann man Mitarbeiter nicht einfach freisetzen", sagt Bildungsforscher Gehrmann. Da der Lehrerbedarf stark davon abhängig ist, wie viele Kinder geboren werden, verläuft er in Wellen und mit Echoeffekten. Neben der Bevölkerungsentwicklung müssen Prognosen auch Faktoren wie Klassengröße, bildungspolitische Maßnahmen und Pensionierungen antizipieren.

"Lehrer/in für Geo, Physik und Familienglück"

Warum lässt sich die Ungleichverteilung nicht ohne Weiteres bundesweit ausgleichen?

Der Wechsel in ein anderes Bundesland ist für Lehrer mit einigen Hürden verbunden. Sie müssen dafür von ihrem Kultusministerium die Erlaubnis erbitten und können sich dann auf freie Stellen bewerben. Zusätzlich gibt es eine Tauschbörse, für die gilt: Es können sich nur verbeamtete und festangestellte Lehrer bewerben, aus familiären oder gesundheitlichen Gründen.

Berufsanfänger könnten vor dem Problem stehen, dass einzelne Fächer nicht in allen Bundesländern anerkannt würden, sagt Marlis Tepe, Vorsitzende der Lehrergewerkschaft GEW. Hinzu kommt Tepe zufolge, dass die Ausbildung relativ lange dauert: "Beim Berufseinstieg sind viele bereits familiär gebunden und stehen dann vor dem Problem, dass es im Osten zwar Lehrerstellen gibt, aber ihr Partner dort vielleicht keine Arbeit findet."

Wie werben Bundesländer im Osten um junge Lehrer?

Mecklenburg-Vorpommern verkündet zu Beginn des Schuljahres 2014/15 stolz, man habe 565 neue Lehrer eingestellt, von denen 291 verbeamtet worden seien. Insgesamt 650 neue Lehrer wollte Kultusminister Mathias Brodkorb (SPD) dieses Jahr einstellen. Noch immer sind nicht alle Stellen besetzt. Dabei wirbt das Bundesland mit einer großen Kampagne für junge Lehrer: "Mecklenburg-Vorpommern stellt ein: Lehrer/in für Geo, Physik und Familienglück", heißt es da zum Beispiel, daneben das Bild einer strahlenden Familie am Ostseestrand. Ähnliche Kampagnen gibt es von anderen östlichen Bundesländern. "Sie machen sich attraktiv, indem sie Beamtenstatus und eine etwas höhere Besoldung anbieten", so die GEW-Vorsitzende Tepe.

Kann der momentane Bedarf so gedeckt werden?

Christiane Schnippert, die in Mecklenburg-Vorpommern für die Anwerbung von Lehrernachwuchs verantwortlich ist, ist mit dem Erfolg der Kampagne "sehr zufrieden". Der normale Unterricht könne abgedeckt werden, auch wenn noch immer einige Stellen unbesetzt seien. Allerdings fehlen vor allem an Sonder- und Berufsschulen in Ostdeutschland und für naturwissenschaftliche Fächer nach wie vor Lehrer. Denn die sind auch in den alten Bundesländern rar.

Deshalb geht man in immer mehr Ländern dazu über, Quereinsteiger nach einer kurzen pädagogischen Schulung unterrichten zu lassen. In Berlin beispielsweise stehen Physikerinnen und Journalisten vor der Klasse. Bildungsforscher Gehrmann kritisiert, dass den Quereinsteigern häufig Kompetenzen im Umgang mit Schülern fehlten und fordert, die Qualifizierung müsse über die Universitäten laufen und mindestens zwei Jahre dauern.

Wie sind die Prognosen für die kommenden Jahre?

Vorhersagen sind schwierig, die Kultusministerkonferenz erwartet, dass der Bedarf bis 2025 in den neuen Bundesländern weiter zunehmen wird, vor allem an Sonderschulen und in den MINT-Fächern (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft, Technik). Im Westen dagegen gehe er kontinuierlich zurück. Bildungsforscher Gehrmann ist sich sicher: "Der Bedarf im Osten wird noch immer massiv unterschätzt."

Er warnt allerdings davor, genau berechnen zu wollen, welche Fächer und Schularten Lehramtsstudenten ansteuern sollen. In Mecklenburg-Vorpommern soll die Werbekampagne mit der glücklichen Familie am Strand jedenfalls weiterlaufen.

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