Angestellte Lehrer:Froh um jede Stunde

Carin Sattler ist angestellte Lehrerin an zwei bayerischen Gymnasien. Sie hat das Gleiche studiert und macht den gleichen Job wie die verbeamteten Kollegen, verdient aber monatlich mehrere Hundert Euro weniger. Von einer, die am System (ver)zweifelt.

Von Matthias Kohlmaier

Laut OECD ist Deutschland immer noch eines der Länder mit dem größten Gehaltsgefälle zwischen Männern und Frauen. Da ist es doch gut zu wissen, dass wenigstens bei den Lehrern zwischen den Geschlechtern alles gerecht zugeht. Angestellte Lehrer verdienen, vollkommen irrelevant ob Mann oder Frau, konsequent weniger als ihre verbeamteten Kollegen. Sie halten den gleichen Unterricht, besuchen dieselben Konferenzen, tragen dieselbe Verantwortung, plagen sich mit denselben renitenten Eltern herum - und mit deren aufmüpfigen Kindern sowieso.

Trotzdem verdienen Lehrkräfte mit Angestelltenverträgen deutschlandweit im Schnitt etwa 500 Euro monatlich weniger als Beamte. Dazu kommen Nachteile beim Thema Altersvorsorge und bei den meisten Betroffenen die Ungewissheit, ob sie im kommenden Schuljahr denn von ihrem aktuellen Arbeitgeber noch gebraucht werden. Weil all das ganz offensichtlich ungerecht ist und sich die Gewerkschaften mit der Tarifgemeinschaft der Länder nicht auf eine Verbesserung der Bezüge haben einigen können, sind dieser Tage Tausende Lehrer im Ausstand.

Wie sich das anfühlt, gleiche Arbeit für weniger Lohn zu leisten, das weiß Carin Sattler sehr genau. Sie ist Gymnasiallehrerin für die Fächer Englisch und Latein und vor anderthalb Jahren mit ihrem Referendariat an einem bayerischen Gymnasium fertig geworden. Für eine Beamtenstelle hat ihr Staatsexamen mit der Durchschnittsnote 2,5 nicht gereicht, im Lehrberuf bleiben wollte sie trotzdem. Also schrieb sie Bewerbungen, um zumindest als angestellte Lehrerin unterzukommen. Viele Bewerbungen. "Teilweise habe ich noch nicht mal Absagen bekommen", sagt sie. Bei telefonischen Nachfragen habe man sie meist abgewimmelt: kein Bedarf.

Wenige Tage vor dem Halbjahreswechsel bot ihr dann doch noch ein Gymnasium einen Halbjahresvertrag im Umfang von 17 Wochenstunden an. Dabei griff jedoch ein weiterer Nachteil angestellter Lehrer gegenüber ihren verbeamteten Kollegen. Denn bei Halbjahresverträgen sind nur die ersten drei Ferienwochen für den betreffenden Lehrer vergütet. Übertragen auf Sattlers Situation bedeutet dies: Während der Faschings- und Osterferien wurde sie bezahlt, während der Pfingst- und Sommerferien nicht. Bei der Arbeitsagentur sagte man ihr, sie habe keinen Anspruch auf das Arbeitslosengeld I, da sie im Referendariat als Beamte auf Widerruf nicht in die gesetzliche Sozialversicherung eingezahlt habe. Und auch das Arbeitslosengeld II konnte sie nicht beziehen - weil sie einen Bausparvertrag hat. "Für einen Teil des Sommers war ich wieder auf das Geld meiner Eltern angewiesen", sagt die 28-Jährige.

Vier Stunden mehr, immerhin

Bei Jahresverträgen werden die Ferien übrigens komplett vergütet. Aus "Arbeitgebersicht" ist es daher freilich günstiger, einem angestellten Lehrer zwei Halbjahresverträge zu geben und so noch weiter am Gehalt zu sparen. Inwiefern das an bayerischen Gymnasien Praxis ist, dazu gibt es keine verlässlichen Informationen.

Carin Sattler hatte nach den Sommerferien Glück und bekam an ihrer bisherigen Schule nun einen Jahresvertrag über zwölf Stunden. In den Herbstferien ergab sich wenige Wochen später die Möglichkeit, an einer weiteren Schule vier Stunden Latein zu unterrichten. Die beiden Bildungsstätten sind zwar mehr als 50 Kilometer voneinander entfernt, trotzdem sagte Sattler zu: "Man überlegt sich das schon, ob die Fahrt für vier Unterrichtsstunden Sinn macht. Aber ich war und bin einfach froh um jede Stunde, die ich halten darf."

Wie es weitergeht? Keine Ahnung!

Und natürlich bedeuteten die vier Stunden mehr Unterricht auch ein kleines Gehaltsplus. Derzeit verdient Sattler für 16 gehaltene Wochenstunden an ihren beiden Schulen monatlich etwa 1650 Euro netto. Ab 23 Wochenstunden geht man bei einem Lehrer im Übrigen von einer Vollzeitstelle aus. Vergleicht man Sattlers Bezüge mit denen eines Kollegen, frisch als Beamter eingestellt und in der entsprechenden Besoldungsgruppe, selbe Stundenanzahl und Steuerklasse, dann ergibt die Rechnung: die 28-Jährige verdient etwa 400 Euro weniger als ein Beamter mit vergleichbarem Job.

Ein Sprecher des bayerischen Kultusministeriums sagt zu der finanziellen Diskrepanz auf Anfrage nur, angestellte Lehrer im Freistaat Bayern würden nach dem Tarifvertrag der Länder beschäftigt. "Dieser ist ein Ergebnis der Verhandlungen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmervertretern und im gegenseitigen Einvernehmen ausgehandelt."

Aus Sicht des Ministeriums ist das Problem in Bayern ohnehin kaum relevant, da "rund 95 Prozent" der Lehrkräfte als Beamte beschäftigt seien. "Geschönt", nennt Anton Salzbrunn von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) diese Zahlen. Es würden weder befristete Verträge an beruflichen und Förderschulen einbezogen, noch die Verträge, die während des laufenden Schuljahres dazukämen. Allein die Zahl der befristeten Verträge an Realschulen sei von 151 im Jahr 2010 auf 396 im Jahr 2012 gestiegen. Die Warnstreiks sind aus Sicht der GEW daher nur folgerichtig. Auch in Bayern will sie in der kommenden Woche zum Ausstand aufrufen.

Lieber nicht aufmucken

Wenn es soweit ist, wird Carin Sattler trotzdem nicht streiken. Sie habe zwar nur wenig, aber doch immer noch Hoffnung auf eine Planstelle, sagt sie - die Chance wolle sie sich mit der Teilnahme am Streik nicht verbauen. Aus demselben Grund möchte sie auch nicht ihren richtigen Namen in diesem Artikel lesen. Tatsächlich gehört eine gewisse Chuzpe dazu, als angestellter Lehrer auf die Straße zu gehen. Wer negativ auffällt, bekommt eben im Zweifelsfall keinen Anschlussvertrag. Die Gründe für so eine Entscheidung müssen so wenig transparent dargelegt werden, dass viele angestellte Lehrer lieber nicht aufmucken wollen.

Die junge Lehrerin macht ihren Job dennoch gern. Trotz der komplizierten Logistik, die sie mit ihren Anstellungen an zwei Schulen meistern muss. Trotz der Menschen, die blöd gucken, wenn man als Lehrer einräumt, kein Beamter zu sein: "Die Leute denken ganz oft: Lehrer in Angestelltenverträgen sind die Deppen, die sonst keinen Job kriegen." Und trotz der Unsicherheit, wenn der Direktor einer Schule heute mehr Unterricht in Aussicht stellt und morgen das Angebot zurücknimmt, weil das Land leider doch keine Mittel dafür bereitstellt.

Wie der unplanbare Lehrberuf im Angestelltenverhältnis das Leben beeinflusst, das zeigt eine Begebenheit aus Sattlers Privatleben recht genau. Als ihr mehr Unterricht und damit wenigstens vorübergehend mehr Gehalt zugesichert wurde, zog sie in ihrer Vierer-WG von einem bescheidenen 11qm- in ein etwas weniger bescheidenes 16-qm-Zimmer um; die Miete stieg um etwas mehr als 40 Euro. Den Zusatzunterricht bekam sie kurzfristig doch nicht und sagt: "Ich muss schon schauen, dass ich über die Runden komme." Wie es nach Schuljahresende für sie weitergeht, ist nicht abzusehen.

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