Akademisches Leben:Die Macht guter Verwaltung

Akademisches Leben: Die Bibliothek an der Univeristy of Notre Dame in South Bend, Indiana schmückt der berühmte "Touchdown Jesus".

Die Bibliothek an der Univeristy of Notre Dame in South Bend, Indiana schmückt der berühmte "Touchdown Jesus".

(Foto: AP)

Gemeinschaftsgeist und Wettbewerb: In seinem Buch vergleicht Mark Roche die Bildungssysteme in Deutschland und in den USA. Und zeigt, was deutsche Universitäten von Amerika lernen können.

Von Vittorio Hösle

Dass es um die deutschen Universitäten nicht zum Besten steht, ist seit zwanzig Jahren sattsam bekannt. Anstatt eine neue Jeremiade vorzulegen, hat der philosophierende Germanist Mark Roche, der siebzehn Jahre in der Verwaltung zweier angesehener amerikanischer Universitäten, der Ohio State University und der University of Notre Dame, als Chair und Dean arbeitete und auch das deutsche System gut kennt, ein brillant übersetztes Buch verfasst, das durch die Fülle an konstruktiven Vorschlägen und den - sehr amerikanischen - Optimismus besticht, mit dem er den deutschen Universitäten das Potenzial zu einer Regeneration ihrer alten Größe zuerkennt.

Eine normative Vision für deutsche Universitäten

Drei Züge zeichnen dieses Werk aus: Roche beherrscht eine Fülle an einschlägigen Statistiken zum Bildungssystem beider Länder; er ist von einer normativen Vision beseelt, erkennt also präzise einerseits den intrinsischen Wert intelligenten Wissenserwerbs, andererseits den gesellschaftlichen Nutzen guter Universitäten an; und er flicht immer wieder Anekdoten aus seiner eigenen Lebenserfahrung ein.

Was die deutschen Universitäten von den amerikanischen lernen können und was sie vermeiden sollten.

Eine Leseprobe stellt der Verlag hier zur Verfügung.

Das Buch ist vorbildlich gegliedert: Nach dem ersten Kapitel zu Idee und Geschichte der Universität werden im zweiten Kapitel sieben Hauptmerkmale des amerikanischen Universitätswesens im Detail diskutiert, nämlich Vielfalt, Flexibilität, Wettbewerb, Anreizstrukturen, Verantwortlichkeit und Rechenschaftspflicht, Studentenzentriertheit und schließlich Gemeinschaftsgeist. Das dritte Kapitel gilt den Herausforderungen und Chancen des Wandels in Deutschland, der unter anderem durch den Bologna-Prozess in Gang gekommen ist.

Von 2000 bis 2010 gingen 78 Nobelpreise in die USA

Die neuere Geschichte der Wissenschaftsinstitution Universität ist entscheidend durch zwei Länder bestimmt: Deutschland und die Vereinigten Staaten. Am Anfang des 19. Jahrhunderts hat, nach einer langen Epoche des Niedergangs der Institution, Wilhelm von Humboldt, inspiriert von einem neue Bildungsideal, in seinen sechzehn Monaten als preußischer Sektionschef die neue Universität als Ort der Einheit von Forschung und Lehre konzipiert - eine Tat, die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts auch die USA inspirierte: Harvard, inzwischen die reichste Universität der Welt, führte erst 1872 die Promotion ein.

Schon nach dem Ersten Weltkrieg wird das Studium in den USA ein Massenphänomen, aber erst die Selbstzerstörung der deutschen Universität im Nationalsozialismus mit der Flucht der bedeutendsten Intellektuellen über den Atlantik hat zum Primat der Universitäten der USA beigetragen, der heute unstrittig ist: "Von den 117 zwischen 2000 und 2010 für Forschung vergebenen Nobelpreisen gingen 78 an Wissenschaftler, die in den USA tätig sind" (davon immerhin 21 keine gebürtigen US-Bürger, die freilich das Land an sich zu ziehen vermochte). Nur das Vereinigte Königreich (zehn) und Japan (sieben) brachten es auf mehr als fünf.

Eine Ursache dafür liegt auf der Hand: Die USA investierten 2012 2,64 Prozent ihres Bruttosozialproduktes in Ausgaben für das Hochschulwesen, Deutschland weniger als die Hälfte (1,28 Prozent), deutlich unter dem OECD-Durchschnitt von 1,58 Prozent. Mehr als die Hälfte der amerikanischen Investitionen sind privater Natur. Das verringert sicher die Chancengleichheit - etwas, was Roche ebenso beklagt wie den Import von Doktoranden aus dem Ausland aufgrund eines schlechten einheimischen Schulsystems: Von den in den USA in Ingenieurwissenschaften Promovierten waren 1977 56 Prozent amerikanische Staatsbürger, 2007 nur noch 29 Prozent!

Ein wichtiger Unterschied: Die enorme Vielfalt

Weitere wichtige Unterschiede zum deutschen System waren von Anfang an die hohe Bedeutung, die der Lehre zugewiesen wurde, und die enorme Vielfalt an ganz unterschiedlichen Einrichtungen der höheren Bildung: öffentliche sowohl wie private, innerhalb dieser sowohl profitorientierte als auch Non-Profit-Stiftungen (dazu gehören alle berühmten Privatuniversitäten), kirchliche (allein 200 katholische Einrichtungen in einem mehrheitlich protestantischen Land) ebenso wie säkulare, schließlich ein enormes qualitatives Spektrum von den zweijährigen praxisorientierten "Community Colleges" über vierjährige "Liberal Arts Colleges", von denen einige Weltgeltung haben, bis zu den (privaten und öffentlichen) Forschungsuniversitäten mit Promotionsrecht.

Die geringere Regulierungsdichte, die größere Kollegialität in Departments trotz aller Rang- und Einkommensunterschiede, die weitgehende Autonomie bei der Umschichtung von Stellen sind Aspekte der Flexibilität. Der Wettbewerb erfolgt um Studenten ebenso wie um Professoren; er findet global wie inneruniversitär statt, ohne doch den Gemeinschaftsgeist wirklich zu korrodieren. Die unterschiedlichen Rankings sind für den Wettbewerb wichtig, auch wenn deren Parameter oft Verschiedenes messen.

Die deutschen Unis brauchen mehr Vielfalt und mehr Geld

Besonders konkret sind die Kapitel zu Anreizstrukturen und Verantwortlichkeit, die auch für die Verwaltung gilt, die viel mehr Macht hat als in Deutschland: Präsident, Provost und Dean können viel gestalten (Letzterer ist vom deutschen Dekan sehr unterschieden, der zweite ist gewissermaßen der Innenminister der Universität).

Trotz teilweise exorbitanter Bezahlung (manche Präsidenten sind Einkommensmillionäre) streben weniger als 30 Prozent der Provosts ein Präsidentenamt an, das sich hauptsächlich um Spendeneinwerbung dreht; und als ihr zweitgrößtes Problem (neben zu wenig Geld) nennen Provosts, dass zu wenige Professoren in die Verwaltung wollen, die in der Tat einem Kopf mit wissenschaftlicher Berufung selten liegt: Roche selbst ist eine Ausnahme.

Lob für Reformen, Kritik an Studiengebührenfreiheit

Was die deutsche Situation angeht, so lobt Roche manche der Reformen der letzten Jahre, insbesondere dass sich die Universitäten endlich nach Qualität und Schwerpunkt ausdifferenzieren. Aber ohne mehr Finanzmittel wird die deutsche Universität nicht ihren früheren Rang wiedergewinnen. Diese sollten wesentlich durch maßvolle, sozial abgestufte Studiengebühren zustande kommen, denn die Studiengebührenfreiheit ist in Deutschland mit seiner geringen sozialen Mobilität alles andere als sozial gerecht.

Zudem führt die Erfahrung, dass Bildung etwas kostet, zu mehr Einsatz und zur Stärkung des Wettbewerbs. Freilich ist Roche Realist genug, um zu wissen, dass nur ein überparteilicher Konsens in dieser Frage Erfolg haben kann. Ich bezweifle leider, dass er in Sicht ist. Dieses Buch sollte von allen, denen die Zukunft der deutschen Universitäten am Herzen liegt, gründlich gelesen werden.

Mark Roche: Was die deutschen Universitäten von den amerikanischen lernen können und was sie vermeiden sollten. Meiner Verlag, Hamburg 2014. 22,90 Euro.

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